Einfach hat er es sich und anderen nie gemacht: Dieter Lattmann, Verlagsbuchhändler, Schriftsteller, Publizist und ehemaliger Kulturpolitiker wird heute 90 Jahre alt. Sein Leben lang sah sich der Spross einer preußischen Offiziersfamilie in der Pflicht; Schwäche zeigen, war ihm lange Zeit fremd, erst im Alter lernte er, wie er sagt, loszulassen. Neben seiner Autorentätigkeit wurde Lattmann politisch aktiv und initiierte gemeinsam mit Günter Grass 1969 eine SPD-Wählerinitiative. Von Willy Brandt gefördert, war er von 1972 bis 1980 Mitglied des Bundestags und avancierte zum gefragten Kulturpolitiker. Als solcher entwarf er mit dem damaligen Bundesarbeitsminister Herbert Ehrenberg das "Gesetz über die Sozialversicherung der selbstständigen Künstler und Publizisten", also die Künstlersozialversicherung. Sie betreute zum Stichtag 1. 1. 2015 rund 181 000 Freiberufler: bildende Künstler, Schauspieler, Tänzer, Musiker und Journalisten. Die weltweit einmalige Versicherung, die bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und zur Alterssicherung einspringt, funktioniert so, dass die Kasse den Arbeitgeberanteil für Kranken-, Pflege und Rentenversicherung übernimmt; die Mittel kommen vom Bund und von den "Verwertern künstlerischer und publizistischer Leistungen", also Verlagen, Theatern oder Galerien. "Meine wichtigste politische Leistung", ist sich Dieter Lattmann bewusst. Nach seinem Abschied von der politischen Bühne war er eine der zentralen Figuren der Friedensbewegung und engagierte sich in der Drogen- und Suchttherapie. Nach dem Tod seiner Frau vor einem halben Jahr lebt er heute alleine in einer Seniorenresidenz in München. Und er schreibt noch immer.