So!: Herr Eckert, in Ihrem neuen Politthriller geht es um das NSU-Trio, das 2011 aufflog. Was hat Sie an diesem Thema gefesselt?

Horst Eckert: Zuerst die Monstrosität der Verbrechensserie dieses Trios, dann die Verquickung der Verfassungsschutzbehörden. Wer Akten vernichtet, statt sie den Ermittlern herauszugeben, hat etwas zu verbergen. Ich habe mich gefragt, was das sein könnte.

So!: Wieviel in Ihrem Roman sind Fakten, wieviel ist Fiktion?

Eckert: Ein Thriller ist immer Fiktion. Wahrhaftig wird "Wolfsspinne" dadurch, dass man sich vorstellen kann, es sei so gewesen. Zu diesem Zweck erzähle ich zum Teil haarscharf an den Fakten entlang. Interessant für mich sind die offenen Fragen. Auf sie habe ich mit meiner schriftstellerischen Fantasie geantwortet. Ich bin ja kein Ermittler.

So!: Wie lange haben Sie dafür recherchiert?

Eckert: Seit November 2011 habe ich gesammelt. Die eigentliche Arbeit am Roman dauerte eineinhalb Jahre. Im Internet findet man neben allerlei kruden Verschwörungstheorien auch spannendes Material, das nur von Whistleblowern aus Polizeikreisen stammen kann.

So!: Sie widersprechen in "Wolfsspinne" der offiziellen Version, dass Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt Selbstmord begangen haben. Was hat Sie zu dieser Schlussfolgerung veranlasst?

Eckert: Es gab im ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach keine ernsthafte Spurensicherung. Viele Indizien widersprechen der Selbstmord-These. Das beginnt mit der ausgeworfenen Patronenhülse nach dem letzten Schuss aus der Pumpgun, wofür man eigentlich den Vorderschaft zurückschieben muss, was ein Toter nicht kann, und endet noch lange nicht bei den fehlenden Rußpartikeln in den Atemwegen der beiden Uwes, obwohl einer von ihnen das Feuer gelegt haben müsste. Manches lässt sich erklären, aber nur durch eine Verkettung von Unwahrscheinlichkeiten. Auch der parlamentarische Untersuchungsausschuss in Thüringen hat die Selbstmord-Version in seinem Abschlussbericht bezweifelt.

So!: Sie sehen die Arbeit des Verfassungsschutzes sehr kritisch. Wie beurteilen Sie die Rolle der Sicherheitsbehörden?

Eckert: Es gab auch viele ernsthaft arbeitende Ermittler. Doch als die Polizei in Kassel nach dem Mord an Halit Yozgat einen Beamten des Landesamts für Verfassungsschutz als Verdächtigen im Visier hatte, wurde ihre Arbeit durch den damaligen Innenminister behindert. Ich bin mir sicher, dass der Beamte entscheidende Hinweise hätte liefern können, denn er war nicht rein zufällig zur Tatzeit am Ort des Attentats. Aber die Bewahrung irgendwelcher Geheimnisse war dem Verfassungsschutz offenbar wichtiger als die Beendigung der Mordserie.

So!: Sie glauben also an bewusste Manipulationen bei den Ermittlungen - und nicht an "Pannen"?

Eckert: Eine Panne kann es immer geben, aber nicht in solcher Serie.

So!: Waren Sie erzürnt, als Sie die vielen Ungereimtheiten entdeckten?

Eckert: Ich war tief erschüttert. Und als Thriller-Autor natürlich fasziniert von dem Stoff.

So!: Bei den Recherchen haben Sie auch Einblick in die Neonazi-Szene erhalten. War das für Sie erschreckend?

Eckert: Die Gedankenwelt und das Verhalten dieser Szene haben mich so abgestoßen, dass ich erst zwei andere Romane schrieb, bis ich einen Zugang fand, um "Wolfsspinne" zu erzählen.

So!: Sie schreiben über einen neuen Nationalsozialistischen Untergrund. Wie realistisch ist das Ihrer Meinung nach?

Eckert: Wer Brandsätze auf bewohnte Flüchtlingsheime wirft, dem kann man auch zutrauen, auf Menschen zu schießen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt bereits gegen organisierte rechtsradikale Gruppen, zum Beispiel in Freital und Bamberg. Das Thema bleibt aktuell.

So!: Verfolgen Sie noch den Prozess gegen Beate Zschäpe in München?

Eckert: Ja, und ich fürchte, dass die zentrale Frage der Nebenkläger nie beantwortet werden wird: Warum habt ihr meinen Vater erschossen, meinen Sohn oder Ehemann? Und auch nicht die Frage, wer noch alles zum NSU gehört hat.

So!: Woher kommt dieser Hass auf Fremde, auf Zuwanderer? Hat das hauptsächlich mit der "Flüchtlingskrise" zu tun oder liegen die Ursachen tiefer?

Eckert: Es gibt eine tief verwurzelte Neigung zur Abgrenzung gegenüber allem, was fremd erscheint, die in Deutschland besondere Tradition hat, aber derzeit auch in anderen Ländern wächst. Politiker heizen das an, wenn sie vor "Überfremdung" warnen, statt Mitgefühl und Hilfsbereitschaft zu organisieren. Im Moment erleben wir eine Welle der rechten Fanatisierung, deren Ende noch nicht absehbar ist. Auch dagegen habe ich "Wolfsspinne" geschrieben.

So!: Sie sind im Moment auf Lesereise unterwegs. Wie wichtig ist Ihnen die Rückmeldung von Ihren Lesern?

Eckert: Sehr wichtig. Und ich erfahre vor allem großes Interesse.

So!: Hatten Sie schon Zeit, ein neues Thema anzugehen? Wird Ihr nächstes Buch auch wieder politisch?

Eckert: In "Wolfsspinne" erfährt mein Ermittler Vincent Veih endlich, wer sein Vater ist, den die Mutter nie verraten hat. Der nächste Fall wird sich um diesen Vater drehen. Aber auch der ist eine politische Figur.

Interview: Andrea Herdegen

Kurz & knapp

Horst Eckert, 1959 in Weiden in der Oberpfalz geboren, lebt seit 29 Jahren in Düsseldorf. Er studierte Politische Wissenschaft und arbeitete fünfzehn Jahre als Fernsehjournalist. 1995 erschien sein Debüt "Annas Erbe". Seine Romane gelten als "im besten Sinne komplexe Polizeithriller, die man nicht nur als spannenden Kriminalstoff lesen kann, sondern auch als einen Kommentar zur Zeit", schrieb der Deutschlandfunk. Sie sind in mehrere Sprachen übersetzt sowie mehrfach preisgekrönt.

Das Buch

"Wolfsspinne" ist ein hochbrisanter Politthriller vor dem Hintergrund von Flüchtlingszuwanderung und Pegida, der die offizielle Version zum Thema NSU infrage stellt.

Eisenach, 2011: Zwei Männer liegen tot in ihrem Wohnmobil. Sie waren Teil eines rechtsextremistischen Terror-Trios, das Deutschland jahrelang unerkannt in Angst und Schrecken versetzt hat. Aber was passierte wirklich? Ein Mann hat den "Nationalistischen Untergrund" für den Verfassungsschutz beobachtet. Er kennt die Wahrheit. Doch er muss schweigen. Jahre später ermittelt der Düsseldorfer Hauptkommissar Vincent Veih im Mordfall der Promi-Wirtin Melli Franck. Die Spur führt ins Drogenmilieu. Aber als weitere Morde geschehen, stößt Veih auf eine Fährte, die in die Vergangenheit weist: zur "Aktion Wolfsspinne", die eng mit dem NSU verknüpft ist.

Horst Eckert, "Wolfsspinne", 496 Seiten, Wunderlich-Verlag (Rowohlt), 19,95 Euro.

Horst Eckert liest aus "Wolfsspinne"

am 5. Oktober in Bamberg, Neue Collibri-Buchhandlung,

am 6.Oktober in Pirk bei Weiden, Gewölbesaal der Brauerei Schwab,

am 7. Oktober in Tirschenreuth, Stadtbücherei,

am 8. Oktober in Sulzbach-Rosenberg, Gasthaus "Landkutsche",

am 10.Oktober in Pressath, Bistro "Nowas",

am 11. Oktober in Regensburg, Stadtbibliothek,

am 12. Oktober in Ebermannstadt, Buchhandlung Fränkische Schweiz.