Karlsruhe (dpa) - Karlsruhe erlebt am 28. Januar eine besondere Uraufführung: Die Oper «Wahnfried» des jungen Komponisten Avner Dorman beschäftigt sich mit der Geschichte des Wagner-Clans kurz vor Hitlers Machtergreifung. Im Fokus steht in dem nach dem ehemaligen Wohnhaus von Richard Wagner benannten Stück der Rassentheoretiker Houston Chamberlain. Das Textbuch stammt vom Autorenduo Lutz Hübner und Sarah Nemitz. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erklärt das Paar, was einen Operntext von dem im Schauspiel unterscheidet.

Frage: Wie kommt man auf die Idee, eine «Wahnfried»-Oper zu schreiben?

Sarah Nemitz: Das war ein Vorschlag des Hauses, von Intendant Peter Spuhler, sich mit Chamberlain zu befassen. Und da waren wir natürlich bei Wahnfried.

Lutz Hübner: Chamberlain ist eigentlich der Mittelpunkt der Oper. Aber das kann man nur erzählen, wenn man zeigen kann, in welchem Kontext er seine berüchtigte Wirkung entfaltet hat. Und da ist man dann bei der Geschichte Bayreuths nach Wagners Tod bis 1923. Das ist der Punkt, wo man sagen kann: Da ist Chamberlain am meisten verbunden mit der ganzen Geschichte des Wagner-Clans.

Frage: Was ist am Wagner-Clan so interessant?

Hübner: Es sind gar nicht so sehr die individuellen Charaktere; sondern es ist einerseits interessant, wie Wagners Werk nach seinem Tod zwar nicht verändert, wie es aber politisiert wird, wie andere Schwerpunkte gesetzt werden. Wie das sozusagen in den politischen Diskurs eingespeist wird, in den nationalen Diskurs; und wie jemand wie Chamberlain dann die Figur von Wagner verändert, Sachen unterdrückt und andere Schwerpunkte setzt. Insofern steht das für eine Radikalisierung, dass der Wagner-Clan einen Ort geschaffen hat für eine bestimmte nationale Revolution. Der Wagner-Clan quasi als Katalysator.

Nemitz: Es geht also absolut nicht um Familienklatsch, sondern es geht um die Funktion, die der Familie im Verbund mit Houston Chamberlain in dieser Zeit zukommt.

Frage: Was unterscheidet einen Schauspiel- von einem Operntext?

Nemitz: In der Oper ist eine extreme Verdichtung nötig. Und man muss stärker in Bildern denken.
Hübner: Man liefert mit dem Text einerseits die Perlenschnur der Geschichte; man entwirft die Figuren, man muss aber sehr viele offene Synapsen schaffen, damit die Emotionalität der Geschichte mit der Musik erzählt werden kann.

Nemitz: Eigentlich ist man nur eine Rampe für die Musik. Im Schauspiel muss man alleine dastehen.
Hübner: Ein Operntext, der für sich funktionieren würde, wäre ein schlechter Text. Man muss etwas schreiben, was nach Musik, nach einer Ergänzung durch ein anderes Medium verlangt.

Frage: Wie läuft die Zusammenarbeit als Duo?

Hübner: Bei uns im Team war es so, dass wir auf eine Methode gekommen sind, gemeinsam über die Themen zu sprechen, gemeinsam Figuren zu entwickeln, Erfahrungen auszutauschen; in der Arbeit am Text überprüft man sich immer gegenseitig. Zum Beispiel schreibe ich einen Dialog, dann bearbeitet Sarah diese Szene. Das ist dann wie in einem Ping-Pong-Spiel, dass man sich das Material zuspielt und dann gemeinsam weiterentwickelt.

Frage: Was ist Ihre Lieblingsoper?

Nemitz: La Traviata.

Hübner: Orpheus und Euridice von Gluck.

ZUR PERSON:
Lutz Hübner, der meist mit seiner Lebensgefährtin Sarah Nemitz schreibt, ist Deutschlands am häufigsten gespielter zeitgenössischer Theaterautor. 1964 in Heilbronn geboren, studierte er Germanistik, Philosophie und Soziologie und wurde später Schauspieler. Heute lebt er als freiberuflicher Schriftsteller und Regisseur mit seiner Familie in Berlin. Unter anderem wurde er für das «Herz eines Boxers» mit dem Deutschen Jugendtheaterpreis ausgezeichnet. Hübners und Nemitz' Erfolgsstück «Frau Müller muss weg» - von Sönke Wortmann verfilmt - kam 2015 auch ins Kino.