Paris - Sie hat die Nobelpreisträger Imre Kertész und Swetlana Alexijewitsch veröffentlicht und mit Paul Auster und Nancy Houston einige der bedeutendsten Namen zeitgenössischer Literatur publiziert. Mit Françoise Nyssen hat der neue französische Präsident Emmanuel Macron eine Frau zur Kulturministerin ernannt, die an der Spitze eines der renommiertesten Verlagshäuser stand. Frankreichs Presse und Kulturszene sind begeistert: Endlich eine wahre Kulturministerin lautet der Tenor.

Die 65-Jährige löst damit die Politik- und Betriebswissenschaftlerin Audrey Azoulay ab. Sie habe keine Zeit gehabt, ihre Rede vorzubereiten, deshalb bitte sie um Nachsicht für ihre Improvisation, erklärte Nyssen bei der Amtsübergabe im Pariser Kulturministerium. Dann schloss sie ihre Ansprache mit einem Zitat von Edgar Morin ab: "Wenn man ständig das Wesentliche dem Dringlichen opfert, vergisst man die Dringlichkeit des Wesentlichen." Auch den international bekannten 95-jährigen französischen Philosophen hat sie publiziert.

Nyssen wurde am 9. Juni 1951 in der belgischen Hauptstadt Brüssel geboren. Sie studierte zunächst Molekularbiologie. Doch ihre Leidenschaft für Bücher gewann die Oberhand. Im Jahr 1980 übernahm sie die Leitung eines Verlagskollektivs in Paradou in Südfrankreich, bevor sie in den von ihrem Vater im Jahr 1977 gegründeten Verlag Actes Sud im südfranzösischen Arles einstieg.

Heute zählt der Verlag zu den renommiertesten Häusern Frankreichs. Er beschäftigt mehr als 200 Mitarbeiter, bietet mehr als 11.000 Titel an und hat mit Laurent Gaudé, Jérôme Ferrari und Mathias Enard drei Autoren veröffentlicht, die mit Frankreichs bedeutendstem Literaturpreis ausgezeichnet wurden, dem Prix Goncourt. Enard erhielt für "Kompass" 2017 auch den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Unter Nyssens Führung sicherte sich der Verlag auch Bestseller wie die Millenium-Trilogie des schwedischen Autors Stieg Larsson.

Frankreichs Presse und Kulturszene hat die Ernennung von Nyssen durch den neuen Präsidenten Emmanuel Macron mit Begeisterung aufgenommen. Endlich eine wahre Kulturministerin schrieb die französische Wochenzeitung "Le Nouvel Observateur" auf ihrer Internetseite. Macron hatte am Mittwoch sein 22-köpfiges Kabinett vorgestellt.

Frankreich hatte mit dem Schriftsteller André Malraux und dem Theaterintendanten Jack Lang zwei bedeutende Kulturminister. Malraux wurde 1959 als erster Minister in diesem Amt in der Fünften Republik ernannt. Er förderte umstrittene Autoren wie Jean Genet und die moderne Kunst. Aus seiner Zeit stammen die Deckenmalereien in der Pariser Oper Garnier und im Théâtre de l'Odéon, die er jeweils bei Marc Chagall und André Masson in Auftrag gegeben hatte. Auf Jack Lang, der heute in Paris die Kultureinrichtung Institut du monde arabe leitet, geht unter anderem die Erweiterung des Louvre zurück und das 1982 erstmals organisierte Fête de la musique, das heute am 21. Juni weltweit gefeiert wird.

Ihnen folgten Namen, deren Amtszeiten kaum Spuren hinterlassen haben und von der Kulturszene als stromlinienförmige Technokraten kritisiert wurden. Mit Fleur Pellerin besetzte von August 2014 bis Februar 2016 eine ehemalige beigeordnete Ministerin für kleine und mittelständische Unternehmen und digitale Wirtschaft das Amt. Sie zog die Entrüstung und Empörung der Kulturwelt auf sich, weil sie öffentlich erklärte, dass sie schon lange keine Bücher mehr gelesen habe. Diese Gefahr besteht bei der neuen Kulturministerin nicht.