Berlin - Mit der ungewöhnlichen Geschichte des bedächtigen Polarforschers John Franklin wurde Sten Nadolny 1983 auf einen Schlag berühmt. Sein Roman "Die Entdeckung der Langsamkeit" hat sich inzwischen 1,8 Millionen Mal verkauft und ist in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt. Am Samstag (29. Juli) wird der Autor, der in Berlin und am Chiemsee lebt, 75 Jahre alt.

Dass keines seiner Bücher seither auch nur annähernd so eingeschlagen hat, schmerzt den gebürtigen Brandenburger nach eigenem Bekunden nicht. "Von Latte oder Maßstab kann da keine Rede sein. Für mich ist jedes Buch wieder ganz neu und ganz frisch", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Anfang September erscheint sein neues Buch "Das Glück des Zauberers", vom Verlag als "großer Roman über das 20. Jahrhundert" angekündigt. "Es macht mir einfach viel zu viel Spaß, Ideen nachzugehen und Dinge auszuprobieren", sagt er. "Deshalb werde ich weiterschreiben, solange es funktioniert und solange ich auch sonst durch den TÜV komme."

Für den Überraschungserfolg der "Entdeckung der Langsamkeit" machte die Kritik damals Nadolnys kunstvolle Erzählweise und seine "leise, unbeugsame Märchenironie" (Süddeutsche Zeitung) verantwortlich. Zudem hatte der Autor in der beginnenden Computerära mit ihren rasanten Entwicklungen offenbar einen Nerv der Zeit getroffen.

Er erzählt - angelehnt an die Biografie des englischen Seefahrers und Polarforschers Franklin (1786-1847) - von einem Menschen, der mit seiner verzögerten Auffassungsgabe aus dem gesellschaftlichen Raster fällt. Mit Ausdauer, Hartnäckigkeit und Geduld macht der Antiheld aus seiner vermeintlichen Schwäche eine Tugend: Mehrmals kann er seine Mannschaft bei gefahrvollen Reisen in die Arktis vor dem Tod bewahren.
Zumindest für seine eigene Arbeit hat der Autor das Prinzip auch in der Praxis umgesetzt. Sein nächstes Werk, der unterschiedlich bewertete Zeitroman "Selim oder Die Gabe der Rede», ließ sieben Jahre auf sich warten. 1994 folgte «Ein Gott der Frechheit", 1999 "Er oder ich". Nach drei, vier weiteren Veröffentlichungen erschien 2012 Nadolnys persönlichster Roman, «Weitlings Sommerfrische» - von der Kritik mit viel Lob aufgenommen.

"Alle meine Bücher sind sehr stark unterfüttert von Sachen, die ich selbst erlebt habe", sagt er, "von meinen Geheimnissen, die ich aber zwecks literarischer Verwertung anders gedreht und anders gewendet habe." So geht es in "Weitlings Sommerfrische" um einen pensionierten Richter, der bei einem Bootsunfall auf dem Chiemsee vom Blitz getroffen und mit einer zweiten Identität als spätberufener Schriftsteller konfrontiert wird.

Viel schimmert hier vom "echten" Autor durch. Als Sohn des Schriftsteller-Ehepaares Isabella und Burkhard Nadolny im brandenburgischen Zehdenick an der Havel geboren, wurde der Junge am Chiemsee groß, im tiefsten Oberbayern, wo er heute noch - gemeinsam mit seiner Frau - das Haus seiner Mutter hat. "Ich bin praktisch zweisprachig aufgewachsen", erzählt er.

Schriftsteller wollte Nadolny wegen seiner Eltern auf keinen Fall werden. Also startete er zunächst als Geschichtslehrer, wechselte aber mit Zwischenstationen als Taxifahrer und Vollzugshelfer bald "zum Film". Erst über die Arbeit an einem Drehbuch ("Netzkarte") kam er schließlich doch zur Schriftstellerei - «ein Beruf, der weder auf Gott noch den Teufel ganz verzichten kann», wie er in einem späteren Nachwort zu seinem Bestseller schreibt.

Dass ihm auch die Schattenseiten des Autorendaseins, Selbstzweifel und Durchhänger, nicht unbekannt blieben, klingt darin ebenfalls an: "Ich wusste ja damals noch nicht, wieviel Scheitern ein Mensch überleben kann." Das Älterwerden sieht Nadolny wie eine "Gewitterfront", die langsam auf einen zukommt: "Man muss sich halt darauf einstellen, dass dann ab und zu die Blitze zucken und der Donner etwas lauter wird - oder man eben im Regen steht."