Eigener Inhalt Die Festungen über den Wolken

Helge Sobik

Auf die Bergspitzen geklebt: Eine Reise zu den Katharer-Burgen im französischen Pyrenäenvorland des Languedoc

 
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Es ist mit einem Mal windstill. Ganz plötzlich. Als hätte der liebe Gott den klemmenden Hebel dafür doch noch in die Aus-Position wuchten und den Sturm einen Moment lang abschalten können. Eben noch hat es in den Ruinen der Festung von Peyrepertuse gepustet, als wollte der Wind die 900 Jahre alte Festung der Katharer von der Felszinne heben. Als wollte er alle Zeiten durcheinander pusten! Und bald kämen diese Ritter wieder hinter den Mauervorsprüngen hervor, als hätten sie dort einfach ein paar Jahrhunderte gewartet, bis ein Orkan die Gegenwart wegblasen würde.

Es stürmt oft in dieser Gegend Südfrankreichs, und es sind harte, böige Winde, die die Zypressen im 50-Grad-Winkel biegen und den mehr als beindicken Stämmen alles an Flexibilität abfordern. Nicht mal die Burgmauern halten den Wind draußen: Er rotiert in den Treppenhäusern der verbliebenen Turmreste, faucht in Rittersälen ohne Dach, als käme er senkrecht herniedergefahren, donnert mit einer Wucht durch schmale Schießscharten, als wären es sperrangelweit geöffnete Portale.

Drumherum ist das Gestern. Wer hier, gut 40 Kilometer außerhalb der Großstadt Perpignan, über die hüfthohen Brüstungen der Festungsmauer schaut, sieht nichts Modernes, keine breiten Straßen, keine Überlandleitung, allenfalls ein an den Hang gegenüber geklebtes Dorf mit kaum mehr als wenigen hundert Einwohnern. Und erst ein Fernglas würde verraten, dass auf manchem alten Schindeldach inzwischen eine Satellitenschüssel montiert ist.

Es hat sich wenig verändert hier im Languedoc, im nördlichen Pyrenäenvorland, das vor Jahrhunderten Zankapfel zwischen den Königen von Aragon und denen von Frankreich war. In dieser Gegend, in der die Katharer zu Hause waren, die einen Sonderweg innerhalb der christlichen Kirche gingen und in einem 16 Jahre langen Kreuzzug unterworfen und von der Inquisition schließlich vernichtet wurden – damals, als die Region als Okzitanien bekannt war und ihre Einwohner noch Okzitanisch sprachen. Ihre Burgen stehen noch heute da – und viele davon an Positionen, die eigentlich nicht sein können. An Stellen, wo es selbst mit modernsten Mitteln kaum möglich wäre zu bauen.

Es ist bis heute, als hätten sie ihre Burgen einfach in die Wolken geklebt, auf die höchsten Felszinnen gebaut, auf eigentlich unerreichbare Vorsprünge im Gebirge. Manche sind deshalb so etwas wie Wow-Burgen geworden. Und erst denkt man bei jeder weiteren, die ins Blickfeld gerät: Hollywood muss schuld sein! Alles Attrappe, vergänglich, von Kulissenbauern für einen Dreh in die Landschaft gezimmert! Was sich da am Horizont abzeichnet, muss aus Pappmaché sein, eine falsche Wand mit viel Farbe und zwei Stützpfosten aus Sperrholz.

Schraubt man sich mit dem Auto über schmale Serpentinen in diese Gegend hinauf und erahnt schließlich irgendwo am Horizont eine Struktur ganz oben auf den Felsen – so rechtwinklig, dass sie nicht von der Natur geschaffen worden sein kann –, dann glaubt man es nicht, dass dieses Grau aus Quadern auf dem Gipfel menschengemacht sein kann. Peyrepertuse ist so ein Fall – und die Burg Quéribus noch umso mehr. Ihre spektakuläre Lage hat beide im Mittelalter fast uneinnehmbar gemacht.

Dreizehn Jahre lang wurde Quéribus einst immer wieder belagert und doch erfolgreich verteidigt, ehe die Angreifer um Olivier de Termes sie 1255 dann endlich einnehmen konnten. Elf Burgen der Katharer und ihrer unmittelbaren Nachfolger gibt es noch heute in der Region, die sie einst beherrscht haben. Darüber hinaus sind etliche ihrer einstigen Abteien erhalten.

Den besten Platz hat diesen Vormittag die Frau im Kassenhäuschen zweihundert Höhenmeter unterhalb des Burgportals von Quéribus: "Was der Eintritt kostet? Erstmal nichts", sagt sie und lächelt. "Wenn Sie es durch den Sturm bis oben in die Burg geschafft haben sollten, sagen Sie mir beim Rausgehen bitte Bescheid. Erst dann zahlen Sie." Und was sie noch nachschiebt: "Heute hat es noch keiner bis hinein geschafft." Sie schaut ganz dankbar, dass sie nicht mit hinauf muss.

Wieder pfeift der Sturm um den Felsen, drückt die Menschen auf dem Weg bergauf ans Gestein, stemmt sich ihnen nach der nächsten Kurve mit Macht entgegen, schiebt sie wieder zurück, als wollte er abermals Respekt für die Leistung der Erbauer dieser Festung einfordern. Es ist ein ganz normaler Quéribus-Sturm. Einer von denen, die hier öfter fegen.

Raymond Fannoy hat keinen Blick mehr für die Steine, die sich seit Jahrhunderten dort oben auf dem Berg türmen: "Für mich ist die Burg ganz normal, sie ist einfach da. Und sie war immer da." Er rührt mit dem Kochlöffel im Topf mit der Rotweinsoße für seine Rouladen – und müsste nur ins Freie treten, um die Silhouette von Quéribus am Horizont zu sehen. Die Burg ist es, die ihm heute die meisten Gäste beschert – diejenigen, die in den vier Zimmern seiner "Auberge de Vigneron" in Cucugnan unterkommen. Und die vielen Tagesbesucher im Sommer, die er in seinem Restaurant an der Südseite des 110-Einwohner-Ortes verköstigt.

"Der Wind? Im Ort spürst du nichts davon. Unsere alten Mauern halten ihn ab. Aber trittst du heraus, packt er dich. Und erinnert dich daran, wo du bist. Und mich. Obwohl ich ihn gut kenne." Jetzt schmeckt er die Soße ab und schenkt sich einen Roséwein von den Weinfeldern der Umgebung ein.

Die Katharerburgen bringen der Region während der Sommermonate einen Besucheransturm, dem die Übernachtungskapazitäten bei Weitem nicht gewachsen sind. Die meisten kommen als Tagesbesucher von der Mittelmeerküste – oder aus Carcassonne weiter im Norden, selber Festungsstadt mit beeindruckenden Mauern und einst ebenfalls ein Sitz der Katharer. Außerhalb der Hochsaison aber versinkt die Region wieder in ihrem Dämmerschlaf – als wäre seit Jahrhunderten nichts geschehen. Und als würde der Wind die Zeiten jedes Mal neu sortieren wollen. Ein Ritter an der nächsten Straßenecke? Könnte sein. Eine Helebarde und ein Kettenhemd an der Garderobe im Gasthof? Gut möglich. Es würde in diese Gegend passen.

ANREISE: Die nächstgelegenen großen Flughäfen sind Toulouse auf französischer und Barcelona auf spanischer Seite. Flüge nach Toulouse z. B. mit Eurowings nonstop aus Hamburg oder Köln, mit Lufthansa aus Frankfurt am Main oder München, mit Air France von zahlreichen deutschen Airports aus via Paris. Tickets realistisch ab rund 90 € pro Strecke. Leihwagen z. B. bei Sunnycars (www.sunnycars.de) ab 187 € pro Woche.

ÜBERNACHTUNG: In Cucugnan gibt es drei kleine Privathotels, die alle dem Reservierungsverbund "Logis de France" angeschlossen sind
(www.logishotels.com); Doppelzimmer z. B. in der "Auberge de Vigneron" ab 90 € pro Nacht.

IM INTERNET: Informationen gibt das Französische Fremdenverkehrsbüro (www.france.fr) bzw. speziell für die Region Languedoc-Rosillon die Seiten www.destinationsuddefrance.com und www.payscathare.org.