Der Wind treibt kalten Regen über die kahle Hochfläche, wir marschieren an der Mühle vorbei und verzichten auch auf eine Besichtigung des hölzernen Glockenturms daneben. Das ausgemusterte Geläut einer Dorfkirche hängt hier und lädt dann und wann zum Gottesdienst unter freiem Himmel. Wenig später klart es auf, in Lampertswalde scheint die Sonne. Hinter einer Feldsteinmauer ein gepflegter Park mit alten Bäumen, ein steingefasster Teich mit viereckiger Insel, zu der eine Bogenbrücke führt. Ein Wasserschloss hat hier gestanden, bis es die Sowjets nach dem Zweiten Weltkrieg abbrechen ließen, um Baumaterial zu gewinnen. Das Rittergut ließen sie stehen, das Burgcafé nutzt einen Teil der Räume. Ein günstiges Pilgermahl wird hier serviert, eine kräftige Suppe gegen Vorlage des Ausweises; solche Angebote begegnen uns immer wieder am Wegesrand.
Dahlen, Börln, Dornreichenbach; auf dem Weg nach Wurzen fügen wir unserer Liste immer neue Entdeckung zu. Laminierte Zettel, an Baumstämme getackert, erinnern mit Bibelsprüchen an die religiösen Wurzeln der Pilgerei: "Der Herr wird seinen Engel mit dir senden und Gnade zu deiner Reise geben." Engel treffen wir keine, dafür Freundlichkeit am Wegesrand und bei den Herbergseltern. In Wurzen rostrote Steingutsäulen im Gedenken an Dichter Ringelnatz: "Die Einsamkeit ist die Treppe in den Gedankenkeller";
passenderweise neben einer Treppe platziert.
Die Stiege führt vom Hügel mit dem mächtigen Dom ins Muldental, wo die noch viel mächtigere Keksfabrik thront. Der Glaube an die Wirtschaft hat dem Glauben an höhere Mächte längst den Rang abgelaufen, denke ich. Nicht mehr die Kirchen sind die größten und höchsten Gebäude, es sind Industriepaläste und Bankentürme. Auch eine Art von Religion, denke ich mit brennenden Füßen, froh, als wir in Nepperwitz die Herberge erreichen. An der Fassade der dritte Vers des Tages, frei nach Augustinus: "Das unruhige Herz ist die Wurzel aller Pilgerschaft. Im Menschen lebt eine Sehnsucht, die ihn hinaustreibt aus dem Allerlei des Alltags und aus der Enge seiner gewohnten Umgebung. Immer lockt ihm das Andere, das Fremde."
So ist es, es treibt mich immer wieder hinaus. Als ich mir für den nächsten Abschnitt neue Schuhe kaufen will, klärt mich der Verkäufer auf. Eher zu weich sei die Sohle, wenn jeder Schritt brennt, sagt er. Das sei ein Zeichen für Muskelkater, ein härterer Schuh könnte Abhilfe schaffen. Dann werde die Fußsohle weniger bewegt, die Muskeln weniger beansprucht.
HINWEISE FÜR IHRE PILGERREISE
– Wandern auf den Spuren der Jakobspilger, auf der Via Regia in Mitteldeutschland geht dies auch etappenweise. Die mittelalterliche Handelsstraße wurde 2003 zwischen Görlitz und Vacha als ökumenischer Pilgerweg eingerichtet. Er gehört seitdem zum stetig wachsenden Netz der Jakobswege in Europa, die im spanischen Santiago de Compestela am Grab des Heiligen zusammenlaufen.
– Der Pilgerausweis ist der Schlüssel zu den Herbergen und dem Pilgerhandbuch des Vereins Ökumenischer Pilgerweg beigelegt. Einzeln kostet er zwei Euro. Die Stationen der Reise werden per Stempel in den Herbergen und von vielen Kirchgemeinden dokumentiert.
– Das Handbuch enthält neben einer Wegbeschreibung mit Herbergsadressen viele Zusatzinformationen zur Orts- und Landesgeschichte. Das Buch kostet zwölf Euro plus Versandkosten und kann im Internet bestellt werden
www.oekumenischerpilgerweg.de. Aktuelle Ergänzungen werden als Download zur Verfügung gestellt.
Fotos: Marco Schreiber