Hof - An der Eingangstür bekräftigt ein Schild: "Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht zufällig." Tatsächlich: Was da das Jugend-Ensemble des Theaters Hof im Studio zeigt, ereignet sich so oder schlimmer täglich im Lande. "Szenen aus unserer Gesellschaft, die wir nicht akzeptieren dürfen", hat die Schauspieltruppe unter ihrer Leiterin Claudia-Maria Wagner entwickelt - und am Sonntag vor beeindrucktem Publikum erstmals aufgeführt -, Szenen über Jugendliche in heillosen Lebenslagen, die "wir nicht akzeptieren dürfen", in die "wir dringend eingreifen müssen".

Für Zuschauer ab dreizehn empfiehlt sich die knapp zweistündige Collage; nicht nur jungen, auch erwachsenen Betrachtern mutet sie beklemmende Bekenntnisse zu. Viel Anspruch auf Aufmerksamkeit und Geduld darf die Produktion erheben, hat es doch das Jugend-Ensemble vielleicht noch nie so ernst gemeint: "Nein! Nicht mit mir!"

Eine Premiere auch in anderem Sinn: Zum ersten Mal kommen die Texte aus der Truppe selbst. Wladislaw Mill und Emre Aksu, Maria Erl und Julia Ammon, Judith Kratzel und Anna Pfeiffer, Mona Schultz und Anika Rießbeck entwarfen die Episoden, modellhafte Situationen mit Figuren, die weniger als Charaktere denn als Repräsentanten von Haltungen auftreten.

Darum gleichen sich die Darsteller, sich ablösend in den Parts der Opfer und der Schuldigen, äußerlich einander an: Schwarze Jeans tragen alle, die Mädchen (Anika Rießbeck, Mona Schultz, Julia Ammon, Frauke Riemen) dazu türkisblaue T-Shirts, rote Hemden die Jungen (Hannes Puchta, Felix Wiesel). Der Typenhaftigkeit der Rollen dienen die Spieler auch, indem sie - in einer schwarzen Szenerie aus Podien, Stufen, Würfeln - viel Wert auf die Worte, Nachdruck aufs Sprechen legen und mit Aktionen klug haushalten. Ein paar Ausrutscher in blauäugige Betroffenheitsrhetorik unterlaufen ihnen, zu stark dehnen sie Momente des Verstummens und Erstarrens, wie sie freilich zu jedem durchgearbeiteten Theaterspiel gehören. Insgesamt gelingen ihnen wiederholt tiefe Einblicke in Verzweiflung, Schmerz und Depression, die den törichten Klischees von unbeschwerter Kindheit und süßer Jugend Hohn sprechen.

Betteln um Absolution

Eine Aussteigerin aus der Scientology Church berichtet stockend von Demütigungen und unerträglichem Druck, vom "Betteln um Absolution" in einer Sekte, die ihren Gefolgsleuten den freien Willen und alles Geld aussaugt: "Halbe Sachen gab es nicht!" Eine Mutter nimmt, indem sie den Sohn knechtet, Rache an seinem "Scheißvater". Eine höhere Tochter, hart an der "Borderline", soll beim Nobelshopping die Kälte der Eltern vergessen. Wieder ein anderes Mädchen, aufgedreht und paranoid, schlägt sich mutterseelenallein durchs Leben, denn "Deutschland will mich umbringen".

Ein Kurde hat seine Schwester erschossen, die "sich wie eine Deutsche benahm" und so die Ehre der Familie befleckte. Eine böhmische Kinderhure - "Augen zu. An was Schönes denken" - sagt ihre Tarife auf wie einen Abzählvers. Und ein Kinderpornohändler greift sich, einen Spielplatz beobachtend, geil in den Schritt ... Mit Block, Fotoapparat, Camcorder spürt eine Journalistin den Fällen nach, immer sensationslüsterner zunächst, am Ende bis zum Erbrechen erschüttert.

Alles Ereignisse, die den Erfahrungshorizont Halbwüchsiger normalerweise überschreiten; umso sorgfältiger recherchierten die Autoren die Umstände, so, dass sich alles, was die Darsteller zeigen, durch Fakten rechtfertigen lässt. Eine ambitionierte Art von Dokumentartheater erschloss sich das Ensemble so; ein aufrüttelndes Thesenstück führt es vor, das erschrecken und die Augen öffnen will und nach Gegenmaßnahmen verlangt. Respekt: Solches Jugendtheater ist kein Kinderspiel.

Nächste Vorstellungen am Mittwoch und am Sonntag, jeweils um 19 Uhr.