Kunst und Kultur Rock im Park: "Tschüss Niveau, bis Montag!"

Rock im Park ist ein Festival für alle. Es gibt Hip-Hop-, Electro-, Indie- und, natürlich, Rockmusik. Die Atmosphäre ist entspannt - trotz Terroralarms beim Zwillingsfestival.

 
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Nürnberg - "Rock im Park" ist die Helene Fischer der Festivals: Perfekt inszeniert und massentauglich. Der Superstar der Festivals in Süddeutschland hat am Wochenende wieder eine erstklassige Show abgeliefert - vor rund 85 000 Fans. Sie alle pilgerten zum Zeppelinfeld in Nürnberg, um Bands wie Die Toten Hosen, Rammstein, Prophets of Rage oder AnnenMayKantereit zu erleben. Insgesamt 90 Bands spielten in diesem Jahr.

Facts zum Festival

320 Duschen standen den Festivalbesuchern zur Verfügung.

40 Kilometer Stromkabel wurden verlegt, zehn weitere Kilometer für den passenden Sound.

20 Kilometer Bauzaun, 1400 Meter Polizeigitter und 1000 Meter Barrikaden sperrten das Gelände ab.

Rund 1300 Mitarbeiter sind auf dem Festival für die Sicherheit zuständig. Im vergangenen Jahr waren es noch 1000.

Die Hauptbühne war 51 Meter breit und 19 Meter hoch. Für alle vier Bühnen wurden an vier Tagen 250 Tonnen Stahl verbaut.

Es gab 600 mobile Toiletten und 130 Toiletten mit Wasserspülung.

Die Gäste konnten dieses Jahr in einem riesigen Supermarkt einkaufen. Auf 1500 Quadratmetern gab es mehr als 200 Artikel - vom gekühlten Grillfleisch bis zur Luftmatratze.

Sprecher von Feuerwehr und Polizei lobten den friedlichen Verlauf des Festivals. So habe sich etwa die Zahl der Diebstähle im Vergleich zum Vorjahr nahezu halbiert - bis Sonntagmorgen kam es zu 40 Fällen. Auch die Zahl der Körperverletzungen sei von 16 im Vorjahr auf bisher 4 zurückgegangen. Die Sanitätsdienste zählten bis zum Sonntagmorgen 2710 Einsätze.

Obwohl der Name "Rock im Park" eine Tendenz zu Rockmusik suggeriert, bekennt es sich nicht zu einer bestimmten Musikrichtung und hat sich auch nicht die Förderung der Subkultur auf die Fahnen geschrieben. Es geht darum, in einem möglichst breiten Spektrum so viele Fans wie möglich anzusprechen.

So breit aufgestellt wie die Musikstile ist auch der Geschmack des gemeinen "Rock im Park"-Fans: Er schwingt seine Mähne zu System of a Down, legt ein bisschen Anarcho-Attitude bei Feine Sahne Fischfilet an den Tag, zeigt ein paar coole Moves zu Chefboss, geht elektrisch ab zu Bonaparte und vergießt ein paar Tränchen bei AnnenMayKantereit - vor allem, wenn Sänger Henning May mit seiner rauchigen Stimme "Barfuß am Klavier" singt.

Der Parkrocker geht zu seinem Festival und lässt sich gehen. Er entflieht dem Alltag in eine Parallelwelt voller Spaß mit Freunden, Musik, Alkohol, Tanz, Freiheit und Zügellosigkeit. Losgelöst von allem, "atemlos durch die Nacht", den zwei beliebtesten Mottos der Festival-Besucher folgend: "Tschüss Niveau, bis Montag!" und "Niemand muss nüchtern sein!" Auch die Sicherheitskräfte und Sanitäter haben gute Laune und ein Lächeln auf den Lippen.

Diese entspannte Fröhlichkeit wird auch nach dem Terroralarm am Freitagabend beim Zwillingsfestival "Rock am Ring" auf dem Nürburgring in der Eifel nicht getrübt. Die Musikfans in Nürnberg feiern unbeirrt weiter, nachdem sie durch "Schutzengel" auf den Bühnen über die Lage informiert werden. Bei "Rock im Park" gibt es demnach "keine geänderte Gefährdungslage". Die Besucher bleiben völlig ruhig. Feuerwehr, Polizei und Veranstalter loben den friedlichen Verlauf.

"Lasst euch nicht verunsichern, alles ist in Ordnung", ruft auch Tote-Hosen-Sänger Campino den Zuschauern zu. Er stimmt Klassiker wie "Hier kommt Alex" an und auch neuere Songs wie "Wie viele Jahre". Nach ein paar Songs erholen sich die Fans langsam vom Schock über die Nachricht vom Terror-Alarm am Nürburgring. Sie lassen sich tatsächlich nicht verunsichern. Niemand will sich die große Party durch Angst vor Terror und Gewalt vermiesen lassen. "Wenn, dann habe ich Angst, dass die Konzerte abgesagt werden - dass etwas passiert, glaube ich nicht", sagt eine junge Besucherin. Und sie ist bei weitem nicht die Einzige, die so denkt. In Nürnberg verläuft alles nach Plan, am Nürburgring sagen die Veranstalter alle Auftritte am Freitagabend ab. Auch Rammstein. Die Fans sind enttäuscht, zeigen aber Verständnis.

Unter den Eindrücken der Terroranschläge der vergangenen Monate waren die Sicherheitsvorkehrungen für das Musikfestival auch in Nürnberg deutlich verschärft worden. Bei der Anreise am Donnerstag etwa mussten die Gäste in langen Schlangen vor den Eingängen ausharren, sämtliche Taschen wurden durchsucht. Auch beim Weg zu den Bühnen gab es neue Regeln: Taschen, Rucksäcke und "Behältnisse aller Art" dürfen in diesem Jahr nicht auf das Festivalgelände.

Zeitgleich mit den Toten Hosen spielen am Freitagabend die Beginner auf der zweiten Bühne für die Hip-Hop-Fans. Ein weiterer Höhepunkt der ersten Nacht sind die Chemnitzer Kraftklub. Am zweiten Tag sorgt System of a Down mit vielen alten Hits für Jubel und wilde Pogo-Tänze. Der krönende Abschluss des Festivals am Sonntag: Rammstein. Feuer, Explosionen und Geschepper auf der Bühne, Extase und Gänsehaut im Publikum.

Und wenn die erschöpften Musikfans nach drei Tagen Festival nach Hause kommen und die Parallelwelt verlassen mit ihren lauten Konzerten, den Menschenmassen, dem Dreck, Regen, Hitze und den hirnlosen Gesängen à la "Willste ein Huhn haben, musste ein Ei legen", schließen sie die Tür hinter sich ab und begrüßen mit einem lauten "Hallo!" wieder das Niveau.

Der eine oder andere legt dann vielleicht Helene Fischer auf, zum Wohlfühlen und Ankommen, ganz heimlich. Muss ja niemand wissen.

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