Länderspiegel Eine Beziehung im Stresstest

Drei Millionen Türkeistämmige - also Personen mit oder mit vorheriger türkischer Staatsangehörigkeit oder mindestens einem Elternteil aus der Türkei - leben in Deutschland. Quelle: Unbekannt

Incirlik, Putschversuch oder Armenien-Resolution: Die Liste der Konflikte zwischen Deutschland und der Türkei ist lang.

 
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Chemnitz/Berlin/Ankara - "Die Liebe der Türken und Deutschen zueinander ist so alt, dass sie niemals zerbrechen wird." Diese Worte klingen - angesichts der aufgeheizten Diskussionen in den vergangenen Wochen - fern. Wie aus einer anderen Zeit. Tatsächlich hat Reichskanzler Otto von Bismarck diesen Satz dem osmanischen Publizisten Basîretçi Ali Efendi diktiert. Es zeigt, wie lange sich beide Länder schon verbunden füllen.

Dennoch ist die Liebe zuletzt abgekühlt. Und das aus gutem Grund. Gerade die engen Beziehungen spielen eine wichtige Rolle dabei, dass die Türkei und Deutschland sich so intensiv miteinander streiten, erläutert Dr. Colin Dürkop, der ehemalige Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ankara. "Die Kritik aus Deutschland trifft die Türken aufgrund ihrer emotionalen Bindung umso mehr", sagt der Türkei-Kenner auf einer Konferenz, die - zumindest auf wissenschaftlicher Ebene - einen Versuch unternahm, das (Liebes-)Feuer wieder zu erwecken. Auf Initiative der Professur Internationale Politik an der TU Chemnitz trafen sich Wissenschaftler aus beiden Ländern, um über die Problemfelder zu diskutieren.

Stresstest Putschversuch und dessen Folgen

Die zurückhaltende Unterstützung aus Europa - und speziell aus Deutschland - schmerzt die Türken bis heute. "Das war eine Beleidigung für die türkische Demokratiebewegung", unterstreicht Professor Dr. Murat Erdogan von der Hacettepe-Universität Ankara. Schließlich hätten alle gesellschaftlichen Kräfte in der Türkei den Putsch verurteilt - nur von den europäischen Partnern fehlte eine uneingeschränkte Solidarität. Dirk Tröndle, Geschäftsführer der türkischen Gemeinde Hamburg, sieht auch Fehler in Deutschland: Die Parteien und Medien hätten von Beginn an eine einmütige Meinung gehabt - nämlich klare Kante zu zeigen. Gerade auch jetzt vor dem Verfassungsreferendum zur Einführung des Präsidialsystems. "Vielleicht ist das Präsidialsystem besser für die Türkei, aufgrund der fehlenden Kompromissbereitschaft in der Politik und ihrer unvollendeten Demokratie", sagt er, vermisst aber die Machtkonkurrenz und -kontrolle. Ganz entgegen der Wahrnehmung in Deutschland positioniert sich der bestens in der türkischen Politik vernetzte Politik-Professor Hüseyin Bagci von der Middle East Technical Universität Ankara: Es sei der Anfang vom Ende von Recep Tayyip Erdogan. "Er wird nicht mehr in der Lage sein, mit Polarisierung Erfolg zu haben", sagt er und hofft auf eine En-Marche-Bewegung in der Türkei, die im direkten Duell mit Erdogan durchaus nicht chancenlos sei. Ein Optimismus, den allerdings nicht alle teilen. Vielmehr gibt es auch Befürchtungen, dass die Zielrichtung eher in Richtung Russland geht.

EU-Mitgliedschaft

"Die Beitrittsverhandlungen sind tot", stellt Prof. Dr. Dr. Arndt Künnecke von der MEF-Universität Istanbul fest. Viel Widerspruch dürfte er für diese Analyse - auch aus der Politik - nicht erhalten. Doch wie geht es weiter? Künnecke vermutet, dass die Verhandlungen so weitergehen wie bisher, auch um das Gesicht der beiden Seiten zu wahren. Sein Vorschlag ist ein anderer: Ein neuer Grundlagenvertrag muss her. "Vielleicht liefert der Brexit ein Modell für die Türkei", sagt er. Denn: Das stets im Raum stehende Modell der privilegierten Partnerschaft, das ein deutscher Vorschlag ist, ist politisch in der Türkei verbrannt.

Nato-Mitgliedschaft

Armin Staigis, Brigadegeneral a. D., sieht die Nato in einer schwierigen Situation. Doch das ist nichts Neues: "Die Türkei war von Beginn an ein schwieriger Partner." Dennoch spricht er sich klar gegen ein Abwenden der Nato von der Türkei aus: "Europas Anker zu den kritischsten Regionen führt nur über die Türkei." Er schlägt deshalb eine interessengeleitete, aber wertegebundene Sicherheitspolitik vor, insbesondere auch, um eine Zuwendung der Türkei zu Russland und China zu vermeiden. Denn insbesondere Europa braucht die Türkei in Sicherheitsfragen - ob beim Flüchtlingsabkommen, der gemeinsamen Terrorbekämpfung, dem Iran-Abkommen und einem möglichen Wiederaufbau des Irak und Syriens.

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