Hof - Sabine Dittrich strickt für ihr Leben gern. Freilich keine Pullover. "Ich stricke Geschichten", stellt die sympathische Hoferin mit einem Lächeln fest. Die Wolle dafür erhält die 51-Jährige aus tagtäglichen Beobachtungen. "Ich sehe mehr als andere, ich bin neugierig auf Menschen." Ihre Erzählungen entwickeln sich dann von selbst. "Dass ich schreibe, hat aber auch damit zu tun, dass ich so gerne lese." Am liebsten hat die Chefin der Hofer Buchhandlung "G. A. Grau & Cie" poetische Schilderungen. "Ich mag Autoren, die mit Worten malen", schwärmt Sabine Dittrich.

Nun hat die leidenschaftliche Leserin die Seiten gewechselt: Eben ist ihr erster Roman erschienen. "Erben des Schweigens" ist die schwierige Liebesgeschichte eines deutsch-tschechischen Paares, das sich mit den bis heute nachhallenden Echos aus der Vergangenheit beschäftigen muss. Gemeinsam gehen Jael und Radek auf eine Expedition zu den Ursprüngen von über Jahrzehnten schwelenden Konflikten, auf die Suche nach der Geschichte, die sich dahinter verbirgt. Es geht um Schuld und Vergebung, um Rache und Versöhnung.

Sabine Dittrich ist selbst eine "Erbin des Schweigens". Ihr Vater, Jahrgang 1922, schwieg bis zu seinem Tod über seine Kindheit in Oberschlesien, über die Erlebnisse an der Ostfront und in der russischen Gefangenschaft. "Als Vertriebenenkind bin ich sicher für dieses Thema sensibilisiert", sagt sie. Den eigentlichen Anstoß für das Buchmotiv aber gab ihre langjährige Freundschaft mit Ivana Vankova aus Prostejov in Mähren. Seit 37 Jahren existiert dieses deutsch-tschechische Band. Aus einer Brieffreundschaft unter Teenagern wurde eine Verbindung fürs Leben. Ostern 1990, nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs, sahen sich die beiden zum ersten Mal. Seitdem besuchen sie sich regelmäßig.

"Ich habe mit vielen Leuten in Mähren gesprochen, ihr Schicksal hat mich wirklich bewegt. Jede Familie dort hat ihre Geschichte mit den Deutschen", erzählt die Hoferin. Irgendwann hatte sie die Idee, das alles aufzuschreiben. "Das ist bereits zehn Jahre her. Zwischendurch hatte ich auch mal aufgehört, aber schließlich wollte ich es doch fertig bringen." Unterstützung erhielt sie nicht nur von ihrer tschechischen Freundin, sondern auch von Verleger David Neufeld aus dem oberpfälzischen Schwarzenfeld, der ihr Werk gerne veröffentlichen wollte.

"Die Jael war zuerst in meinem Kopf. Eine Frau von heute, die zwischen allen Stühlen sitzt", berichtet Sabine Dittrich von ihrer Hauptakteurin. Sie bekennt, dass Jael durchaus autobiografische Züge besitzt. Als ihr dann noch Else, eine gütige alte Frau, die von den entsetzlichen Ereignissen im Zweiten Weltkrieg berichtet, in den Sinn kommt, formte sich die Geschichte wie von allein. Erstaunt war die Autorin, als ihre Charaktere ein Eigenleben entwickelten: "Vor allem die Figur des Radek hat mich überrascht. Mit ihm hatte ich eigentlich etwas ganz anderes vor."

Fast ein Jahr lang hat die Buchhändlerin für den Roman recherchiert. An allen Orten der Handlung hat sie sich genau umgesehen und sehr viel über jene Zeit und über das Verhältnis von Deutschen und Tschechen gelesen. Gerade die Aufarbeitung der Vergangenheit im Nachbarland interessiert Dittrich. Denn auch dort wird, wie sie festgestellt hat, immer öfter das Schweigen gebrochen. "Das Thema ist mir auch heute noch wichtig - da bleibe ich dran." Besonders freut sie sich, dass derzeit Verhandlungen mit einem tschechischen Verlag laufen. Denn es ist ihr großer Wunsch, dass "Erben des Schweigens" bald auch in einer tschechischen Übersetzung erscheint.

Mittlerweile "strickt" Sabine Dittrich bereits fleißig an ihrem zweiten Werk: Es ist ein geschichtlicher Roman, der sich um eine reale historische Figur dreht. "Beim Schreiben denke ich immer, das könnte heute genauso geschehen. Dabei ist es schon vor 500 Jahren passiert."

Erneut will sie die Abgründe des menschlichen Herzens erforschen und literarisch ausleuchten. Denn darin gebe es kaum Unterschiede zwischen dem Mittelalter, der Zeit der Vertreibung im 20. Jahrhundert und dem Hier und Jetzt. Was also soll nach der Lektüre von "Erben des Schweigens" beim Leser im Gedächtnis bleiben? "Dass es für die Zukunft zweier Länder nicht gut ist, die Vergangenheit unter den Teppich zu kehren", sagt die Autorin bestimmt. Notwendig sei die Auseinandersetzung und dann die Vergebung, um dadurch die Beziehung auf ein anderes Niveau zu heben. "Europa ist auf Sand gebaut, solange die Vergangenheit nicht aufgearbeitet ist."

Hauptsächlich wünscht sich Sabine Dittrich jedoch, dass sie mit ihrem Roman den deutschen Lesern die Scheu vor Tschechien nehmen kann. "Es ist ein schönes Land, das eine Reise wert ist", sagt sie voller Überzeugung, wenn man es jenseits aller Tankstellen, Vietnamesenmärkte und Straßenstriche unvoreingenommen erkundet.

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Sabine Dittrich: "Erben des Schweigens". Neufeld-Verlag Schwarzenfeld, gebunden, 144 Seiten, 12,90 Euro.

Aus der Werkstatt


Europa ist auf Sand gebaut, solange die Vergangenheit nicht aufgearbeitet ist.

Sabine Dittrich


Ich mag Autoren, die mit Worten malen.

Sabine Dittrich