Wie sieht die Geschichte hinter den (Bibel-)Geschichten aus, die bis heute erzählt werden? Vor allem: Was davon kann wirklich so geschehen sein, was wurde erfunden und warum? Antworten auf solche Fragen gibt der Historiker Werner Dahlheim in seinem Buch "Die Welt zur Zeit Jesu", das bei C. H. Beck erschienen ist. Auf unterhaltsame Weise hat der Autor leichtverständlich und in übersichtlicher Gliederung aufgeschrieben, was im Film einmal "Die größte Geschichte der Welt" genannt wurde. Und Dahlheim erzählt noch vieles mehr.

In sechzehn, in Abschnitte unterteilten, Kapiteln schlägt er ein großes Panorama auf: zeitlich - von etwa 100 vor Christus bis zum Beginn des dritten Jahrhunderts danach - wie geografisch, gemäß dem scheinbar grenzenlosen Römischen Reich, das damals dank seiner Legionen seine größte Ausdehnung erreicht hatte: von Persien bis zum Atlantik und von den Küsten Nordafrikas bis Nordengland. "Die Römer", schreibt der Autor in Kapitel eins, wenn er den "Raum" des Geschehens vorstellt, "haben die Welt nicht erschaffen, die sie für viele Jahrhunderte beherrschten. Aber sie haben sich die ihnen überlegene griechische Kultur einverleibt und alle anderen Lebensformen so geprägt, dass das meiste von dem, was vor ihnen da war, seine Bedeutung verlor."

Der Leser erfährt, wie Herodes - alles andere als ein orthodoxer Jude - an die Macht kam; wie er sich, dank der Fähigkeit, sich immer beim jeweils amtierenden Kaiser Liebkind zu machen, fast vierzig Jahre lang als sogenannter Klientel-König hielt; und was nach seinem Tod im Jahr 4 nach Christus mit seinem Herrschaftsgebiet passierte. Ein eigener Abschnitt ist im Kapitel "Jesus von Nazareth" dessen römischem Richter gewidmet, der in diesen Tagen wieder besonders im Fokus steht: Pontius Pilatus.

Dieser war in der Armee aufgestiegen und übte seit dem Jahr 26 das Amt des römischen Statthalters in Judäa aus. Dahlheim erzählt, dass er darin sehr erfolgreich gewesen sei. Den kaiserlichen Befehl, von dem sein Wohl und Wehe abhing, nämlich dafür Sorge zu tragen, dass es in seiner Provinz ruhig bleibe, setzte er vorbildlich um. - Bis im Jahr 36 ein falscher Prophet in Samaria auftauchte und Pilatus sich genötigt sah, dessen vielzählige Anhänger gewaltsam auseinanderzutreiben. Für dieses Einschreiten musste er sich schließlich in Rom verantworten, und von da an verlieren sich seine Spuren in der Geschichte.

Deutlicher dagegen beleuchtet das Buch Pilatus' Situation sechs Jahre davor, als ihm vom jüdischen Hohepriester ein gefangener Nazarener vorgeführt wurde, der in den Augen der Priester das schlimmste Verbrechen überhaupt verübt hatte: Dieser Jesus hatte sich als "König der Juden" bezeichnet. Welche rechtliche Vorgaben der römische Statthalter zu beachten hatte, welche Spielregeln er im Umgang mit den Juden einhalten musste und welch nüchternen Vorgehensweisen er schließlich wählte - all das beschreibt Werner Dahlheim anschaulich.

Er untersucht auch die Zeit nach Tod und Auferstehung von Jesus Christus, berichtet, wie und durch wen dessen Botschaft Verbreitung fand: von Palästina aus zunächst in Griechenland, dann in Italien und von da aus ins gesamte Römische Reich. Dahlheim betrachtet die aus der Bibel bekannten Geschichten von verschiedenen Seiten, untersucht die Entstehung der vier bekannten Evangelien und verschweigt auch nicht Existenz und Inhalt der "Apokryphen" (deutsch: Verborgene), also jener Schriften, die nicht in den Kanon des Neuen Testamentes aufgenommen wurden.

Zudem stellt der Autor jedem Kapitel Zitate aus alten Schriften voran, aber auch Bibelstellen und Texte aus dem Mittelalter und jünger, um seine Ausführungen zu illustrieren. Er lässt Widersacher der Christen zu Wort kommen und Fürsprecher des Glaubens; und er verschweigt auch nicht, dass durch die mündliche Weitergabe unmittelbar nach Jesu Tod, durch die ersten Aufzeichnungen in den Jahren 70 bis 100 nach Christus und vor allem durch die Übersetzungen ab Anfang des dritten Jahrhunderts und später vom Griechischen in die mittelalterliche Universalsprache Latein vieles beschönigt, gewollt missinterpretiert oder schlicht falsch wiedergegeben wurde.

"Die Welt zur Zeit Jesu" ist ein sehr aufschlussreiches Buch für alle, die nach Zusammenhängen fragen und wissen wollen, wie es wirklich gewesen sein könnte. Damals, vor 2000 Jahren. Kerstin Starke

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Werner Dahlheim: Die Welt zur Zeit Jesu. C. H.Beck, 492 Seiten, 50 Abbildungen, zwei Zeittafeln, gebunden, 26,95 Euro.

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