So!: Herr Milberg, nach sieben Jahren mit Sibel Kekilli als Kommissarin Sarah Brandt an seiner Seite, ermittelt Klaus Borowski am Sonntagabend wieder allein im "Tatort". Vermissen Sie die Kollegin?

Unser Sonntagsstar

Axel Milberg, am 1. August 1956 in Kiel geboren, hat seine Schauspielausbildung von 1979 bis 1981 an der Otto-Falckenberg-Schule in München absolviert. 1981 wurde er von Intendant Dieter Dorn an die Münchner Kammerspiele engagiert und blieb bis 1998 festes Mitglied des Ensembles. Neben seinem Theater-Engagement spielte Milberg ab Ende der 1980er-Jahre verschiedene Rollen im Fernsehen und im Kino. 2002 verkörperte er erstmals den eigensinnigen Hauptkommissar Klaus Borowski, erst in der TV-Serie "Stahlnetz", dann im Kieler "Tatort". Seit 2010 tritt der Grimme- und Goldene-Kamera-Preisträger, der in München lebt, gemeinsam mit seiner Frau in der Kultur-Reihe des Bayerischen Rundfunks "Mit Milbergs im Museum" auf.


Der neue Fall

Sein 31. Fall führt den Kieler "Tatort"-Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) auf die fiktive nordfriesische Insel Suunholt. Dort will er den Tod eines Mannes aufklären, der vor Jahren in einen Kieler Korruptionsskandal verstrickt war. Famke Oejen, die Geliebte des Ermordeten, zieht auch Borowski in ihren Bann. Emmy-Preisträgerin Christiane Paul spielt diese Episoden-Hauptrolle in "Borowski und das Land zwischen den Meeren", der am 25. Februar im Ersten ausgestrahlt wird.


Axel Milberg: Na ja, sie hat sich entschieden, ihren Vertrag nicht zu verlängern. Das verstehe ich übrigens, denn Co-Ermittlerin ist immer eine heikle Position. Das muss man für sich wollen. Ich habe aber in diesem aktuellen "Tatort" ein so tolles Buch gehabt, dass ich da keine Lücke sehe. Ich habe Mit-Ermittler bei diesem Fall nicht vermisst. Ganz im Gegenteil.

So!: Als Frau Kekilli dabei war, hat es aber gut funktioniert zwischen Ihnen beiden, oder?

Milberg: Es hat sehr gut funktioniert. Ich hatte Sibel Kekilli ja selbst nach einer Begegnung in Finnland vorgeschlagen. Sie ist, glaube ich, eine sehr schöne Ergänzung zu der Figur Borowski gewesen.

So!: Der neue Fall gibt Ihnen viel Raum, darstellerisch zu glänzen, die Vielschichtigkeit Ihrer Figur zu zeigen. Wie nah ist Ihnen dieser Kommissar Borowski inzwischen, den Sie seit gut fünfzehn Jahren bei 31 Fällen verkörperten?

Milberg: Er ist mir tatsächlich näher gekommen. Das ist ganz eigentümlich. Da ist eine Bewegung, es ist nichts Starres. Das ändert sich auch, je differenzierter die Bücher sind. Und je weniger definiert die Figur darin ist. Es ist doch Quatsch, wenn man sagt, der Borowski muss so und so sein. Denn die Figur ist unterschiedlich und auch widersprüchlich in verschiedenen Situationen. Natürlich war vorgegeben, dass die Figur am Anfang etwas cholerisch und aufbrausend, unkollegial und einsam daher kam. Das hat nichts mit mir als Schauspieler zu tun oder gar mit Wünschen, die ich an die Redaktion geäußert hätte. Das war die Vorgabe des Kommissars aus der "Stahlnetz"-Reihe des Jahres 2002. Der "Tatort" wollte diesen Klaus Borowski so weitererzählen. Dann aber merkte man mit der Zeit, was noch interessanter wäre. Jeder Autor schreibt ja ein wenig anders, manches gelingt besser, manches weniger gut. Borowski reagiert in den jeweiligen Situationen. Deshalb macht die Figur jetzt noch mehr Spaß. Ich muss mir nicht mehr so viel vornehmen.

So!: Klaus Borowski ist Axel Milberg also näher gekommen?

Milberg: Ja. Ich will nicht sagen, dass er mir ähnlicher geworden ist. Das kann ich selbst wahrscheinlich auch gar nicht so beurteilen. Aber ich finde ihn jetzt interessanter.

So!: Sven Bohse hat die Folge sehr düster und mystisch inszeniert, nimmt spukig Bezug auf uralte Schauergeschichten. Sind die Menschen auf den Nordseeinseln so? Oder bedient das nur Klischees?

Milberg: Beides. Die sind so. Und es ist auch ein Klischee. Diese Geschichten kommen auf ganz unterschiedliche Weise hoch. Sie werden erzählt, oft auch mit einem Kopfschütteln. Manchmal wird damit auch der Tourismus angekurbelt. Man sucht natürlich immer in jeder Region das Unverwechselbare, um sich zu präsentieren. Aber: Im Verhalten der Menschen kommt das so auch durchaus vor. Diese langen Winternächte, da muss man schon relativ hart sein, damit man sich nicht dauernd am Kopf kratzt und sagt: "Ah, woanders da boxt der Papst, da ist das Leben der Großstadt. Berlin ist weit weg, Hamburg ist elegant und chic. Und ich sitze hier irgendwo." Viele, die dort ihre Galerien betreiben oder kleine Geschäfte für Touristen unterhalten, machen Ende September, Anfang Oktober den Laden dicht und kommen erst im April wieder. Wie die Zugvögel. Die, die da bleiben, die sind schon ein sehr bestimmter Menschenschlag. Das ist heute noch so. Es gibt diese "Menschen im Meer", die ja nicht gezwungen werden, so zu leben, die aber für sich selbst die Ahnung haben, dass das Leben ihnen dort etwas gibt, was sie woanders vielleicht nicht bekommen.

So!: Mit Christiane Paul haben Sie einen stark spielenden Gegenpart. Wächst man als Darsteller an einer Kollegin, die derart präsent ist? Holt man gegenseitig mehr aus sich heraus?

Milberg: Absolut. Ich muss mir dann nicht so viel vorstellen. Ich reagiere auf das, was da ist. Ich glaube, das sieht man auch in dem Film. Ich höre ihr sehr genau zu, ich beobachte sie sehr genau. So vergisst man über große Strecken in einem gewissen Sinn auch das Spielen. Weil man ja gar nichts machen muss. Weil das ja das pure, ungekünstelte Leben oder Erleben ist. Ich glaube, es hat bei uns beiden sehr gut gematcht.

So!: Die Insel Suunholt ist ein Fantasiegebilde, die Handlung ist gelegentlich auch weit entfernt von gängiger Polizeiarbeit. Wie realistisch muss ein "Tatort" sein? Oder anders: Wieviel künstlerische Freiheit verträgt ein Krimi?

Milberg: Das ist eine ewige Streitfrage, die keiner gültig beantworten kann. Das tut jeder Redakteur und jeder Schauspieler wahrscheinlich individuell auf seine Weise. Auch wir diskutieren das immer wieder. Ich selbst mache das immer wieder konkret zum Thema. Wenn wir nicht realistisch sind, dann müssen wir das zumindest wissen. Wir sollten wissen, wie eine Aussage eines Verdächtigen zustande kommen muss, damit sie vor Gericht verwendet werden kann. Wenn ich einen Verdächtigen am Kragen packe, ihn schüttle, anschreie, ihn mit der Waffe bedrohe, ihm Suggestiv-Fragen stelle, ist alles, was er anschließend sagt, für die Katz. Das kann man nicht verwenden. Auf der anderen Seite steht immer das gleiche Problem: Würden wir absolut korrekt den Alltagsablauf abbilden, würde der Zuschauer sich langweilen. Da gibt es viel Bürokratie, viele juristische Vorgaben und so weiter. Es würde auch nicht ein Ermittler in meinem Alter alleine mit Ledersohlen über die Felder rennen. Polizeiarbeit ist immer Teamarbeit. Meine Meinung dazu ist: Man kann alles machen. Man darf alles machen. Film ist Unterhaltung - nicht mehr und nicht weniger. Gute Unterhaltung, spannend, vielleicht lustig, manchmal absurd oder poetisch. Wir dürfen dieses Geschenk des Mediums nicht verkleinern und uns selber nicht - wie der Engländer sagen würde - "painting in the corner", also beim Fußbodenanstreichen merken, dass überall um einen herum nasse Farbe ist und man aus der Ecke nicht mehr herauskommt. Wir dürfen uns dieses Spielzeug nicht selbst zerstören.

So!: Ich will nicht zu viel verraten, aber in der Realität wären Sie doch sofort raus aus dem Fall, sobald Sie einer Zeugin so nahe kommen.

Milberg: Das wird ja auch diskutiert in der Geschichte. Natürlich wäre ich da raus. So etwas geht überhaupt nicht. Mir war es extrem wichtig zu zeigen: Wie liegen wir da im Bett? Wer beugt sich über wen? So absurd die Kleinigkeit ist, aber: Ich trage schwarze Kniestrümpfe, wenn ich morgens aus dem Bett springe. Das ist so ein Detail, wo ich sage: Dieser Mann hat sich nicht nackt ausgezogen in der Hoffnung auf ein Liebesabenteuer. Sie wird es bei ihm auch nicht geschafft haben. Nur; Irgendwann in der Nacht ist er vom Sessel ins Bett gekrochen zu dieser Frau, die sich verfolgt fühlt und Angst hat, und hat tief geschlafen. Wenn er dann seinem Kollegen sagt "Roland, da war nix", dann wollen wir ihm das glauben.

So!: Manche Borowski-Fälle sind angelehnt an Bücher von Henning Mankell. Sie haben auch schon Mankell-Krimis als Hörbücher eingelesen. Was verbindet Sie mit dem vor zwei Jahren verstorbenen schwedischen Autor?

Milberg: Wir haben uns kennengelernt und über viele Gelegenheiten hinweg hat sich tatsächlich eine Freundschaft entwickelt. Wir haben vieles ähnlich gesehen. Wir haben einander gut zugehört und uns ernst genommen. Der Blick eines schwedischen Autors über die Grenze hat mich von Anfang an sehr interessiert. Wie sieht der auf Deutschland? Was bleibt übrig an Szenen und an Menschenschilderung für uns hier in Norddeutschland, wenn wir das Schwedische wegnehmen? Das war dann doch eine ganze Menge. Er hat unsere Filme auch sehr gemocht.

So!: Was ist das Besondere an seiner Art zu erzählen?

Milberg: Mankell ist jemand, der das Grausame, das Problematische immer verbindet mit einer menschlichen Wärme. Man sieht sofort, nach ein paar Sätzen in seinen Romanen echte Menschen vor sich. Man hat Angst um die Figuren, ist hineingezogen in ihre Welt. Das muss erst mal jemand schaffen. Viele der Nachahmer, der skandinavischen Krimi-Autoren heute sind mit einer ganz anderen erzählerischen Kälte unterwegs. Deswegen müssen deren Morde noch grausamer und noch sadistischer sein.

So!: Trotzdem berühren sie einen nicht so sehr wie die menschliche Schilderung von Henning Mankell.

Milberg: Ja, weil es auf Effekte schielt. Da ist - unterstelle ich - viel Kalkül. Das hat Mankell nicht getan. Er hat mir erzählt, er habe nie Krimis schreiben wollen. In den Siebzigerjahren habe er aber die wachsende Fremdenfeindlichkeit in Schweden wahrgenommen und überlegt: "Wie kann ich über Fremdenfeindlichkeit in meinem Land schreiben? Ah! Ich brauche einen Kriminalkommissar." Im Telefonbuch von Göteborg hat er dann den Namen Wallander gefunden. Ein recht langer Nachname, also brauchte er noch einen kurzen Vornamen: Kurt. So entstand die Figur des Kurt Wallander. In allen Büchern von ihm finden Sie eine Gemeinsamkeit: Dem Verbrechen, das dort geschildert wird, geht ein anderes Verbrechen voraus. Jedes Verbrechen ist eine Reaktion auf eine Ungerechtigkeit, die vorher passiert ist. Auf ein soziales Übel, das möglicherweise - wie im "Chinesen" - erst rund 130 Jahre später gerächt wird an den Nachfahren eines sadistischen Aufsehers, der die Chinesen quälte, die die Bahnstrecken in Amerika bauen mussten. Dieser Aufseher stammte aus Südschweden. Das ist Mankells Konstruktion. Nach seiner Überzeugung ist jedes Verbrechen eine Reaktion auf ein vorangegangenes. Ich bin da etwas anderer Ansicht.

So!: Hörbücher einzulesen, ist eine Ihrer Leidenschaften. Eben kam "Träumer - Als die Dichter die Macht übernahmen" von Volker Weidermann heraus. Wie sind Sie an diesen historischen Thriller gekommen, der 1918 in München spielt.

Milberg: Ich wurde gefragt. Der Regisseur, Antonio Pellegrino vom Bayerischen Rundfunk, rief mich an und sagte: "Du musst das machen!" Ich lese gerne Hörbücher ein, weil ich so viel dabei lerne. "Träumer" ist ja ein unfassbar gut recherchiertes Buch mit so vielen Details aus der Stadt, in der ich lebe. Es ist grandios.

So!: München ist Ihre Wahlheimat. Was vermag denn ein gebürtiger Kieler der bajuwarischen Hauptstadt abzugewinnen?

Milberg: Die Entfernung ist schon mal großartig (lacht). Es gab dort eine Schauspielschule, und es war weit weg von Kiel. Deshalb bin ich nach München gegangen. Ich ahnte, wenn ich nach Hamburg gehe, bin ich viel zu nah an meinem Zuhause, hocke dann da wieder und lasse mich trösten von meinen Eltern (lacht). Ich musste irgendwie dort heraus und woanders ein neues Leben beginnen. Deswegen München. Und so war's. Ich war auf der Falckenberg-Schule, dann 17 Jahre an den Kammerspielen, meine Frau ist Münchnerin, unsere Söhne sind Münchner. Durch den Beruf bin ich natürlich überall in der Welt unterwegs und fühle mich als Europäer. Aber: München und das bayerische Umland mag ich sehr. Es hat auch Ähnlichkeit mit Schleswig-Holstein, weil es ein Agrarland zu sein scheint, die Leute sind stur und selbstbewusst und machen einfach ihr Ding. Man muss sehr aufpassen, dass sich München nicht vollkommen einem Ausverkauf hingibt und kein Mensch mehr da leben kann, weil es so teuer ist. Wir wollen doch nicht nur Investoren und Spekulanten, die die Menschen zwingen, morgens in die Stadt zu fahren, weil sie selber wegen der Mieten in Augsburg oder Rosenheim wohnen.

So!: Neulich habe ich Sie im Radio gehört, als Sie in "Bayern 1" das "Betthupferl" für Kinder sprachen. Kennt Ihre Vielseitigkeit gar keine Grenzen?

Milberg: Ich kann vieles nicht. Ist doch klar. Zum Beispiel: Ich kann nicht synchronisieren. Ich kann mich nur selber gut synchronisieren, aber ich versage kläglich auf geradezu mich kränkende Weise, wenn ich versuche, irgendeine Kino-Hauptrolle zu synchronisieren. Ich kann es nicht. Da ist es aus mit der Vielseitigkeit. Ich bewundere die Kollegen, die das richtig gut können. Das ist nämlich eine schwere Kunst.

So!: Gibt es denn einen Hollywood-Schauspieler, den Sie gerne gesprochen hätten?

Milberg: Ja, von der Type her ist es eigentlich Jack Nicholson. Und vielleicht Christopher Walken. Aber das will ich den Originalen nicht antun. Außerdem sind die ja bei ihren Sprechern in guten Händen - oder in guten Zungen.

So!: Gemeinsam mit Ihrer Frau gestalteten Sie auch die BR-Fernsehreihe "Mit Milbergs im Museum". Die Kunsthistorikerin überrascht Sie mit einem Bild, Sie müssen spontan reagieren. Lernen Sie dabei viel? Nicht nur über Kunst, auch über sich selbst?

Milberg: Und über meine Frau! Das hat total Spaß gemacht. Leider ist die Reihe der Programmreform des BR zum Opfer gefallen. Aber meine Frau und ich würden das unverändert gerne weitermachen. Vielleicht findet sich ja ein anderer Sender.

So!: Hat Kunst - egal ob bildende oder darstellende - überhaupt eine Zukunft? In einer Zeit, in der alles aufs schnelle, unkreative Smartphone-Gezwitscher ausgerichtet ist?

Milberg: Die Kunst hat einen Stellenwert in der Gesellschaft wie noch nie! Wir sehen unendlich lange Schlangen vor den Museen. Sie haben in Deutschland mehr Besucher in den Museen als in den Fußballstadien. Das ist eine Sensation! Wie immer und alles auch bedroht: von einer Überhitzung des Kunstmarktes, von einer Manipulationen der Preise. Die Chinesen, die Russen kaufen zu Fantasiepreisen, weil es da so viele Milliardäre gibt und weil sie etwas nachzuholen haben, nämlich die Inbesitznahme abendländischer Kultur. Die Kunst hat tatsächlich erreicht, was sich in den Sechziger- und Siebzigerjahren die Künstler, etwa ein Josef Beuys, gewünscht haben: in der Mitte der Gesellschaft eine tatsächliche Wirkung zu erzielen. Stichwort: soziale Plastik. Das ist meine Beobachtung. Man muss mal schauen. Und es wird neue Formen der Kunst geben, die die digitalen Möglichkeiten nutzen, Environment- oder Video-Kunst. Das ist alles in Bewegung.

Interview: Andrea Herdegen

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"Träumer: Als die Dichter die Macht übernahmen" von Volker Weidermann, gelesen von Axel Milberg und anderen; erschienen bei Der Audio Verlag, Berlin, vier CDs, 16,95 Euro.