Mit beeindruckender Schauspielerei brillieren vor allem Jugendliche: gleich zu Festivalbeginn die famose Ella Frey in "Glück ist was für Weicheier" von Anca Miruna Lazarescu (Kinostart: 7. Februar), nicht viel anders Stephanie Amarell und Lisa Vicari in "Schwimmen", Roland Kagan Sommer in "Sandstern", Jerome Hirthammer in Henning Beckhoffs "Fünf Dinge, die ich nicht verstehe" … Oder die aus fünf sehr unterschiedlich temperierten Typen bunt gemischte Truppe, die in "Raus" der modernen Welt den Rücken kehrt, weil die "am Arsch" ist; zwischen den Bergen Südtirols, bei einem Guru hoffen sie Erlösung zu finden. Kann es im Leben einen "Neustart wie bei einem Computer" geben? Spielfilm-Debütant Philipp Hirsch verfolgt das Quintett durch viel Landschaft hindurch und auf viele Höhenmeter hinauf, durch Freundschaft und (beinah) tödliche Feindschaft, durch Hoffnung und Lüge, Enttäuschung und Liebe. Letztere sieht so künstlich aus wie in Randal Kleisers süßsofter US-Schnulze "Die blaue Lagune" von 1980. Aber das Plädoyer für Träume, die auch noch zerplatzt ihren Wert behalten, berührt durchaus. Ein Film explizit "mit Botschaft", und die klingt, wie der Brief des geheimnisvollen Gipfel-Gurus, "ein bisschen verstaubt, aber auch saucool".
Nach überdreht hippem Beginn schließt sich auch "Raus" der Entschleunigung an, die das deutschsprachige Kino seit Jahren pflegt. Und natürlich bleiben jugendliche Liebe und Sexualität konstant ein Interessensgebiet der vielfach jungen Filmemacher. Regelwidrig, wenn auch berückend erotisch geht es zwischen zwei Geschwistern in Thomas Imbachs "Glaubenberg" zu: Zum Inzest-Drama geriete die Schweizer Produktion, erläge der Bruder den körperlichen Avancen der begehrlichen Schwester. Inspiriert hat den Regisseur, wie er mitteilt, ein antiker Stoff, und gern bestätigt man ihm, dass er für die "alte Legende" des Dichters Ovid "wahre Charaktere" fand. Indem die Kamera sich so zudringlich wie diskret fast ausschließlich auf die Gesichter richtet, schiebt sie die Grenze zwischen erträumter Lusterfüllung und realer Ernüchterung mal mehr zur einen Seite, mal mehr zur andern. So können sich Pein und Paranoia der unerfüllten Schwester immer heilloser steigern - und sich am Ende doch in Poesie vollenden.
Ein anderes junges Mädchen geht mit einem älteren Mann auf amouröse Tour. Nabokovs Lolita? Falsch: Emily in "Für immer und dich". Zum ersten Mal hat die als Dokumentaristin wie als Spielfilmregisseurin versierte Julia von Heinz einen "Tatort" gedreht - und erwartungsgemäß die Krimi-Standards ihrem eigenen Stilwillen angepasst: Tief dringt sie in die Charaktere der Figuren ein, genau zeichnet sie zwischenmenschliche Abhängigkeiten, Ansprüche und Überforderungen nach. Als Emily, die kindliche Geliebte eines 40-jährigen Lebensflüchtlings, darf sich auch die 18-jährige Meira Durand unter die imponierenden Frühbegabungen deutscher Schauspielerei rechnen. Und die Regisseurin weist nach, dass deutsche Krimiserien, ungeachtet ihrer Inflation, immer mal wieder mit Sternstunden aufwarten.
Authentizität verdankt ihr Film - ähnlich wie "Glaubenberg", "Schwimmen", "Raus" - einer Dialogführung, die trotz subtiler Formulierungen oft wie improvisiert wirkt. Dass indes ein Film, der ganz ohne festgelegten Text auskommen soll, wohl nie befriedigend gelingt, bekräftigt die Impro-Produktion "Kanun". Noch einmal die Geschichte einer Vergeltung: Als Berliner Flaschensammler Agim lässt sich Serienstar Kida Ramadan ("4 Blocks") für ein Versöhnungstreffen zur Reise ins heimatliche Albanien überreden; dort aber wird er mit der Gegenwart einer Blutrache konfrontiert, die uralten Gesetzen unausweichlich folgt. Das klingt spannend. "Drehbücher", schnoddert Regisseur Til Obladen in Hof daher, "werden total überschätzt." Das klingt vermessen.
Auch hierorts ist der aktuelle Hype um Kida Ramadan zu spüren. Einen guten Schauspieler macht der Rummel aus ihm nicht. In redundantem Geplapper ertrinkt die erste, Berliner Hälfte des per Whats-App entwickelten Plots. Die balkanische zweite hingegen lädt sich frostig mit einer Atmosphäre tödlicher Bedrohung auf - bis zum Showdown in trostloser Schnee-Einsamkeit. "Unterschiedliche Temperaturen", sagt Regisseur Obladen, wolle er herrschen lassen. Immerhin am Schluss gefriert das Blut, und der Besucher, der nachts das Kino verlässt, wähnt sich auf Hofs knackig kalten Straßen für Augenblicke im hohen Südtirol oder in Albanien.