Kulmbach Von der Wucht der Luther-Sprache

Rainer Unger
Pfarrer Gerhard Bauer aus Kulmbach macht mit Bibelrezitationen von sich reden. Das Johannesevangelium kennt er auswendig. Foto: Rainer Unger

Der Kulmbacher Pfarrer Gerhard Bauer hat sich als Bibelrezitator einen Namen gemacht. Wenn er loslegt, wird die Kirche Zuschauerraum und Bühne zugleich.

 
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Kulmbach - Eine nahezu einmalige Angelegenheit stellen die Bibelrezitationen von Pfarrer Gerhard Bauer dar. Mit "Ganzkörpereinsatz" bringt er den Gläubigen biblische Texte auf Basis der von Martin Luther im Jahr 1545 letztmals überarbeiteten Bibel nahe.

Nächste Rezitation

Am 6. Dezember um 17 Uhr findet die nächste Bibelrezitation mit Pfarrer Gerhard Bauer in der Spitalkirche zum Thema "Jesus, der Endzeitprophet - geht die Geschichte der Menschen zu Ende?" statt. Für die musikalische Umrahmung sorgt Dekanatskantor Christian Reitenspieß.


"Diese letzte Fassung ist die Grundlage meiner Rezitation", sagt Bauer und ergänzt: "Ich sehe mich als Schauspieler, als Aktionskünstler, ich führe etwas auf, ich performe Bibeltexte und versuche, theatralische Elemente mit reinzubringen. Die Kirche wird dabei zur Bühne und zum Zuschauerraum zugleich. Ich bleibe nicht am Altar, ich bewege mich frei im Raum und ziehe den Raum spontan ganz bewusst mit ein."

"Ich habe irgendwann, so vielleicht vor zwanzig Jahren, angefangen, Bibeltexte auswendig zu lernen, nur für mich zu meiner eigenen Erbauung", blickt er zurück. Ursprünglich hatte er nie den Gedanken, die Texte in der Öffentlichkeit vorzutragen. Das änderte sich erst durch das Jubiläumsjahr 2017: 500 Jahre vorher hatte Martin Luther seine 95 Thesen in Wittenberg veröffentlicht. Gerhard Bauer dachte nun darüber nach, die Texte doch zu rezitieren, gibt aber zu, dass er lange mit sich gerungen habe. "Es ist was vollkommen anderes, ob ich mir Texte für mich einpräge oder ob ich etwas vor Publikum aufführe."

2016 fand schließlich ein "Probelauf" während eines Gottesdienstes in der Nikolaikirche statt. Dabei merkte er, dass die Texte ein zu großes Eigengewicht besitzen, und dass sie in einem Gottesdienst verschwinden. Im Lutherjahr selbst gab es nun eine Rezitations-Reihe zusammen mit Kirchenmusikdirektor Ingo Hahn. Seit damals hält der Geistliche jährlich zwei Bibelrezitationen, die stets musikalisch begleitet werden. Die einstündigen Veranstaltungen teilen sich in 45 Minuten Rezitieren und eine Viertelstunde Musik.

Gerhard Bauer beeindruckt die Wucht der Luthersprache. "In die muss man sich reinhören. Es ist eine fremde, antiquierte Sprache, sie führt weit zurück ins Mittelalter, soll bewusst Abstand bringen. Dennoch ist die Luther-Sprache gut verständlich. Vielleicht kommt sie in zwei oder drei Generationen wie eine Fremdsprache rüber, aber noch geht es", bemerkt er.

Viele musikalische Werke beruhen auf dieser Sprache, die Bach-Oratorien beispielsweise oder diverse Psalm-Vertonungen. Den Gottesdiensten lag bis ins 20. Jahrhundert hinein die alte Luther-Sprache zugrunde, erst nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Revisionen des Luthertextes und moderne, zeitgemäße Übersetzungen, klärt er auf.

Bei den Rezitationen geht der Pfarrer voll aus sich heraus, ist er mit ganzem Körpereinsatz dabei, wie er zugibt. "Es gibt zwei Situationen, in denen ich richtig schreien kann, eine ist die Bibelrezitation", erläutert er. Im Anschluss stellt er bei den Gläubigen jeweils eine tiefe Betroffenheit fest. "Sie sind aufgewühlt und können zunächst nichts sagen. Sie fragen sich, was das gerade war. Der Vortrag hat eine direkte Wirkung auf die Seele", führt er auf.

Nach einer gewissen Zeit fragen die Zuhörer ihn dann, wie er sich das alles merken kann, wie man das alles im Kopf haben kann. Seine Intention ist es, den Leuten zu zeigen, was in der Bibel steht, die Texte so vorzutragen, dass die Auslegung gleich mit enthalten ist. Dabei trägt er jeweils eine weiße Albe, ein langes weißes Tuch.

Nahmen anfangs maximal 15 Personen an seinen Rezitationen teil, kamen bei der letzten im Juni dieses Jahres über 40 Frauen und Männer in die Petrikirche, bei der das Thema "Jesus - der Herr der Geister" war. "Obwohl wir in einem aufgeklärten Land leben, hat das Thema Dämonen und böse Mächte eine besondere Wirkung", erläutert Gerhard Bauer und fragt sich, ob es nur an der Thematik lag und ob das nächste Mal wieder so viele Menschen oder sogar mehr kommen. Dann wird das Thema "Jesus, der Endzeitprophet - geht die Geschichte der Menschen zu Ende?" lauten. "Der Wanderprediger aus Nazareth hat sich dazu auch Gedanken gemacht", sagt er.

In einer Zeit, in der sich die Menschen kaum noch Sachen merken, weil sie alles auf ihrem Computer haben, in der das Auswendiglernen verlorengegangen ist, möchte er ihnen aber auch zeigen, dass sie sich etwas merken können. "Oft sagen Leute zu mir, das könnte ich mir nicht merken und ich antworte ihnen: Doch, du kannst das!", erzählt er. Und es freut ihn, wenn er mit seinem pädagogischen Anliegen Erfolg hatte, wenn sich die Leute von seinem Enthusiasmus anstecken lassen und ihm beim nächsten Treffen sagen, dass sie etwas fertiggebracht haben, was sie sich vorher nicht zugetraut hätten. "Das trägt unheimlich viel zu ihrem Selbstbewusstsein bei", hat er festgestellt. Sie machen einen heilsamen Prozess in unserer schnelllebigen Zeit durch, sie entdecken Dinge neu, wenn sie sich längere Zeit mit einer Sache befassen. Der Austausch mit dem Publikum ist ihm wichtig, zu sehen, welche Wirkung seine Bibelrezitation auf die Menschen hat.

"Es gibt Leute, die Gedichte rezitieren und es gibt Märchenerzähler. Aber ich habe trotz umfangreicher Recherche noch nie gehört, dass es noch jemanden außer mir gibt, der solche Bibelrezitationen macht", gibt Gerhard Bauer zu. Und bei noch etwas steht er ebenfalls fast allein da: Er hat das komplette Johannesevangelium auswendig gelernt. Er kennt in ganz Deutschland nur einen zweiten Geistlichen, der mit so einer Leistung aufwarten kann, Pfarrer Johann Hillermann aus Berlin, der sich das Matthäusevangelium eingeprägt hat. Nähere Infos gibt es übrigens unter www.InwendigeSchriftlesung.de

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