So!: Herr Degen, Sie lebten nach dem Krieg als junger Mann einige Zeit in Israel und lernten damals Hebräisch. Waren Sie denn nun als Dolmetscher gefragt, als Sie für die Romanverfilmung „Die Seele eines Mörders“ in Israel vor der Kamera standen?

Michael Degen: Manchmal musste ich schon als Helfer einspringen, wenn jemand dringend ein bestimmtes Wort wissen wollte. Allerdings ist Hebräisch ja nicht meine Muttersprache, und wenn Sie da einige Zeit weg sind und die Sprache nicht mehr sprechen, vergessen Sie schon viel. Wenn mich hier in Deutschland plötzlich ein Israeli anspricht, fehlen mir oft einzelne Worte und ich greife zum Englischen oder zum Deutschen – und das, obwohl ich damals ja sogar auf Hebräisch Theater gespielt habe.

So!: Wie war es für Sie, wieder in Israel zu drehen?

Degen: Es war auf jeden Fall weit weniger anstrengend als vor einiger Zeit bei einem anderen Film, „Leo und Claire“, für den wir in der Altstadt von Jerusalem gedreht haben, obwohl ich Regisseur Joseph Vilsmaier gewarnt hatte, dass das heikel werden könnte. Bei den Dreharbeiten lief ich gekleidet wie ein frommer Jude die Straße entlang auf eine versteckte Kamera zu, als plötzlich zwei Leute vor mir standen und ich merkte, dass die unter den Jacken Waffen haben. Ich wusste: Das sind Palästinenser, die wollen mir eine über die Birne hauen. Zum Glück tauchte plötzlich die israelische Geheimpolizei auf, und die beiden Männer entfernten sich im Laufschritt. Diesmal gab es solche bedrohlichen Szenen nicht, wir haben bevorzugt in Villen gedreht, von wo aus man einen wunderbaren Blick auf Jerusalem hatte.

So!: Haben Sie bei den Dreharbeiten ein Auge darauf gehabt, dass spezifische Ausstattungsdetails wie die Kopfbedeckung Kippa oder der rituelle jüdische Leuchter richtig verwendet werden?

Degen: Da gab es einen älteren Herrn am Set, der hat darauf geachtet, dass solche Dinge stimmen, er sprach Deutsch und konnte sich mit dem Regisseur und den Schauspielern verständigen. Insgesamt gab es aber keine Probleme – wenn allerdings Szenen vorgekommen wären, die am Sabbat gespielt hätten, wäre es schon etwas schwieriger geworden.

So!: Wie war die Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Israelis?

Degen: Es waren ja auch einige Palästinenser dabei, die in Israel leben, und die Zusammenarbeit war absolut reibungslos. Man darf nicht vergessen: Die Leute waren auch einfach interessiert daran, dass sie Arbeit hatten (lacht).

So!: Kann ein ambitionierter Unterhaltungsfilm wie dieser, aus dem ja möglicherweise eine ganze Krimireihe wird, das Verhältnis zwischen Deutschen und Israelis positiv beeinflussen?

Degen: Das glaube ich eher nicht, da gibt es zu viele Vorurteile, die zum großen Teil auf deutscher Seite liegen. Ich weiß nicht, ob das ausschließlich etwas mit Antisemitismus zu tun hat, aber zum Teil sicherlich. Dieses Volk hat damals schließlich die Nazis gewählt und bis zum letzten Augenblick am „Führer“ festgehalten. Diese zwölf Jahre können nicht spurlos am deutschen Volk vorbeigegangen sein.

So!: Aber dann ist es doch gut, wenn ein solcher mit Stars besetzter Film, der zur besten Sendezeit läuft, ein wenig Nachhilfe über die Geschichte Israels gibt und dabei auch die unvorstellbaren Verbrechen an den Juden im Nationalsozialismus thematisiert?

Degen: Ich halte es für fraglich, ob diese Nachhilfe etwas bringt. Es gibt in Deutschland eine zunehmende intellektuelle Verwahrlosung des Volkes, vor allem was sich in der jungen Generation abspielt, ist für mich schockierend. Die Gewaltbereitschaft wird immer größer, die Hemmschwellen werden immer niedriger. Ich erinnere an das, was in München passiert ist, wo Jugendliche an einer S-Bahn-Haltestelle diesen Manager umgebracht haben, der Kindern helfen wollte. Erschreckend.

So!: In dem Film spielen Sie einen Anwalt, dessen Frau im Konzentrationslager von KZ-Arzt Josef Mengele gefoltert wurde. Im Haus des Anwalts darf das Thema nicht angeschnitten werden, weil die Erinnerungen zu schrecklich sind. Empfinden Sie ähnlich? Ihr eigener Vater starb, nachdem er im KZ Sachsenhausen gefoltert worden war.

Degen: Ich kann durchaus nachempfinden, was in dieser Frau vorgegangen ist und verstehe, dass der Name Mengele in ihrem Haus nicht ausgesprochen werden darf. Was sie da an Qualen durchgemacht hat bei den Versuchen, die an ihr vollzogen wurden – es ist einfach nicht möglich, über diese Dinge zu sprechen. Ich selber habe es nur ein einziges Mal versucht.

So!: Was war der Anlass?

Degen: Ich wollte mit einem Kollegen, der Auschwitz überlebt hat, darüber sprechen, was er erlebt hat, weil ich das für eine Rolle brauchte. Er hat mir auch einiges erzählt. Zum Beispiel, wie er als 15-Jähriger auf der Rampe ankam, wo ein hocheleganter Herr in Uniform mit einer kleinen Reitgerte auf ihn zukam und ihn ansprach. Dieser Mann hat ihn zuerst nach dem Bombenangriff auf Essen gefragt und ihn dann auf die Seite geschickt. Das war Herr Mengele. Er wollte nur wissen, ob der Junge reines Deutsch spricht, weil er jemanden fürs Büro brauchte. Das hat mir mein Kollege erzählt, und seine Frau hat mir danach berichtet, dass er nächtelang immer wieder im Schlaf geschrieen hat, weil durch unser Gespräch alles wieder hochkam. Seitdem habe ich solche Fragen nie wieder gestellt.

Interview: Cornelia Wystrichowski