So!: "Hart wie Marmelade" heißt Ihr autobiografischer Roman, genau wie ein "Extrabreit"-Song von 1980. Diesen Titel haben Sie sicher nicht zufällig gewählt. Ist er bezeichnend für Ihr Leben?

Kai Havaii: Ja, insofern, weil das ja ein Paradox ist, ein Widerspruch. Ich denke, das passt schon ganz gut zu meinem Leben. Viele Aufs und Abs, viele unvorhergesehene Wendungen, viele gute, inspirierte Momente, viele glückliche, erfolgreiche Momente - aber auch böse Abstürze...

So!: ...vor allem mit Drogen. Eine Zeile in "Hart wie Marmelade" lautet: "Und dann zieh" ich weißes Pulver, bis die Nasenflügel qualmen." War Ihnen nicht klar, welch gefährlichen Weg Sie einschlagen?

Havaii: Als ich den Text geschrieben habe, hatte ich mit Kokain noch gar nichts zu tun. Das kam mehr vom Hörensagen. Eigentlich war es eine Satire über dieses Klischee vom Popstar. Als es dann losging mit den Drogen, habe ich mir, wenn ich ganz ehrlich bin, über die Gefährlichkeit keine Gedanken gemacht. Ich habe gedacht: Das ist schon okay, das gehört dazu. In den 80er-Jahren war Kokain wieder schwer im Kommen, war ziemlich teuer, hatte etwas Exklusives, etwas sehr Chices. Das war eine Sache, die das Gefühl abgerundet hat, Rockstar zu sein. Und es hat ja auch durchaus Spaß gemacht. Die Wendung ins Böse hat es bei mir erst genommen, als ich mit dem Heroin anfing.

So!: Nach den großen Erfolgen mit "Extrabreit" folgte der persönliche Absturz. Alkohol, Kokain, Heroin, fast das Ende. Wie haben Sie es geschafft, doch noch die Kurve zu kriegen?

Havaii: Das war ein längerer Prozess, so etwas geht nicht von heute auf morgen. Es hat mehrere Versuche gebraucht, Entzüge, erst alleine, dann mehrmals im Krankenhaus. Es musste aber erst etwas geschehen, wie es mir in Köln passiert ist: Dass meine ganze Welt um mich zusammenbrach. Es war keine Kohle mehr da, ich ging allen Leuten in meiner Umgebung ziemlich auf den Geist. Und ich hatte da einen Moment, als ich mir, ziemlich abgerissen, mit meinem letzten zusammengekratzten Geld am Neumarkt Drogen kaufen wollte und prompt reingelegt wurde. Da hat mir einer Zitronentee verkauft, das sieht genauso aus. Und dann sitze ich auf der Parkbank und will das gerade auspacken, da klicken schon die Handschellen. Die konnten mir zwar nichts, denn es waren ja keine Drogen, aber: Das Gefühl, von irgendeinem schnöseligen Bengel, der vielleicht 16 war, furchtbar abgeledert worden zu sein ... und dann noch die Bullen schon wieder auf dem Hals - da hat"s in meinem Kopf Klick gemacht. Da habe ich gesagt: Nein, nein, nein. Die Alternative ist jetzt entweder Parkbank und Tod, Ende. Oder: noch leben. Das war der Moment, als ich mich darauf besinnen konnte, was Leben für mich bedeutet. Ich bin ja nicht mit 16 auf Droge gekommen, ich war ja schon 30. Ich hatte ja eine starke Erinnerung, wie es ohne ist. Ich fand auch das Leben vorher nicht so schlecht. Da war der Wille, weiterzuleben, auch wirklich noch etwas zu machen, noch ein paar Runden zu drehen. Das war in dem Moment stärker, als sich der Sucht zu ergeben. Mit dem Entzug ging es dann ganz schnell. Ich habe keinen Rückfall mehr gehabt, weil einfach alles klar war, so klar wie nie.

So!: Ihr früheres Leben war geprägt von Exzessen und Provokationen. Hätten Sie gerne einiges anders gemacht?

Havaii: Sicherlich war der Gedanke oft da: Das war ein Fehler, das hat dir nicht gut getan. Aber man kann nicht immer alles vorhersehen. Und man kann vor allem nicht Dinge ungeschehen machen. Deswegen hat es auch keinen Sinn, sich in einer solchen Situation wer weiß wie Vorwürfe zu machen. Man kann nur nach vorne blicken und sagen: Ich werd" das doch auf die Reihe kriegen.

So!: "Extrabreit" war Anfang der Achtziger der Schrecken der Etablierten, das Bad-Boy-Image wurde kräftig gepflegt. Wie ist es heute, ist die Band zahmer geworden?

Havaii: Wir gehen jetzt alle auf die Sechzig zu, unser Gitarrist ist inzwischen dreifacher Großvater. Das sagt ja schon ein bisschen was aus. Ich kann mit 56 nicht so tun, als sei ich der, der ich mit 25 oder 30 war. Ich fände das auch albern und lächerlich. Das betrifft auch Drogen. Wir sind keine Betschwestern, keine Mönche geworden. Bei bestimmten Gelegenheiten - wenn sich das ergibt, oder es ein schönes Konzert war - sitzen wir zusammen und trinken auch vielleicht mal einen über den Durst. Aber dabei bleibt es dann.

So!: In Bayern waren Sie mit ihrem ersten Erfolg von 1981, "Polizisten", wegen Verunglimpfung der Staatsorgane auf dem Index. Kann man heute noch mit Songs provozieren? Wollen das junge Bands überhaupt?

Havaii: Das ist schwer. Man hat ja jetzt schon vieles versucht. "Die Ärzte" zum Beispiel oder Sido mit seinem Arschfick-Song und was nicht alles. Es ist heute wirklich schwierig geworden, mit Songtexten zu provozieren. Es sei denn, es wird politisch, aber dann wird es oft heikel - wenn es rechts wird. Noch groß Mauern einreißen und Tabus offen legen? Nein, die Zeiten sind eigentlich vorbei.

So!: Mit welchen Gefühlen schauen Sie auf die Zeit der Neuen Deutschen Welle zurück? Immerhin gehören "Extrabreit" zu den wenigen, die im schnelllebigen Musikgeschäft bis heute überlebt haben.

Havaii: Der Anfang war sehr aufregend und spannend, weil die Sache wirklich kreativ war und weil es eine Menge Leute gab, die originell waren und viele Dinge plötzlich ganz anders machten. Das war eine sehr selbstbewusste und künstlerische Atmosphäre, aber es hat nicht allzu lange gehalten. Als die NDW sehr erfolgreich wurde, als auf einmal alle deutsche Bands hören wollten, haben die großen Plattenfirmen - die zuerst überhaupt nicht ahnten, was da drinsteckt - unheimlich viel Geld hineingeblasen. Acts wurden aufgebaut, neue Stars aus dem Boden gestampft. Das hatte einen faden Beigeschmack. Es wurde einfach so überhypet, dass die Leute irgendwann morgens aufwachten und feststellten: Ich haben einen NDW-Kater, ich kann das Wort nicht mehr hören. Das war schade. Es hätten da nämlich durchaus noch ein paar interessante Sachen rauskommen können. Aber ich finde schon, dass jene neue Kreativität, jene Art mit deutschen Texten umzugehen, sicherlich einen Grundstein gelegt hat für die vielfältige deutsche Musikszene, die wir heute haben. Eine Szene, die ja von Hip-Hop über "Rammstein" bis hin zu Neo-Schlager geht. So etwas hat es vor der NDW nicht gegeben.

So!: In "Nichts ist für immer" heißt es: "Wir bleiben uns treu!" Es gab viel Auf und Ab in der Band. Sind Sie sich trotzdem immer treu geblieben?

Havaii: Ich denke schon, dass der eigentliche Spirit der Band durchaus noch lebt. Manchmal fühlt man sich heute auf der Bühne wie in einer Zeitblase. Vom eigenen subjektiven Gefühl her ist es manchmal kaum zu unterscheiden - was man empfindet bei einigen Songs, obwohl man sie vielleicht schon tausendmal gespielt und über die Zeit auch verändert hat. Beim Live-Spielen ist das Gefühl in mancher Hinsicht noch ganz ähnlich dem, wie es vor 30 Jahren war.

So!: Songtexte zu schreiben, das hat Ihnen irgendwann nicht mehr gereicht. So begannen Sie mit Ihrem autobiografischen Roman, der für seinen großartigen Schreibstil gelobt wurde. Planen Sie ein neues Buch?

Havaii: Ich würde gerne wieder etwas schreiben, ich habe auch verschiedene Ideen in der Schublade. Aber im Moment komme ich nicht dazu, weil ich eine ganz andere Sache mache: Ich arbeite als Autor und Producer für TV-Dokumentationen, für verschiedene "Terra-X"-Formate wie etwa "Deutschland von oben". Es betrifft vor allem die Animationen, wir haben eine Menge Animationen da drin, die von einer englischen Company gemacht werden. Mit denen arbeite ich sehr eng zusammen: Ich mache die Storyboards, die setzen das um. Das ist ein Fulltime-Job. Wir brauchen immer etwa ein Jahr für drei neue Folgen. Zwischendurch mache ich noch "Deutschland von unten" - man kann ja auch mal in die Erde gehen. In den nächsten ein, zwei Jahren werde ich damit ziemlich ausgelastet sein. Da kann ich auch nicht einfach Nein sagen - der Job ist zu gut. Danach habe ich mir fest vorgenommen, einen Break zu machen und mich hinzusetzen und ein neues Buch zu schreiben.

So!: "Extrabreit" ist zudem ständig auf Tour. Lieben Sie es noch immer, auf der Bühne zu stehen?

Havaii: Absolut. Das ist die perfekte Abwechslung zu der anderen Tätigkeit, die sich ja mehr am Schreibtisch abspielt. Wobei: Ab und zu flieg" ich mal mit bei den Flugdrehs. Aber das ist halt Arbeit. Auf der Bühne zu stehen, ist ein toller Ausgleich.

So!: Wer besucht heute die Konzerte - die eingefleischten Fans von damals? Oder gibt es auch junge Besucher, die in den Achtzigerjahren noch gar nicht geboren waren?

Havaii: Das kommt auch vor, aber die sind natürlich in der Minderheit. Früher haben wir fast nur vor Teenies gespielt, heute können ein Viertel der Leute, die vor uns stehen, das damals noch gar nicht mitgekriegt haben. Die sind wirklich zu jung. Das ist immer ganz schön, weil es uns das Gefühl gibt, dass tatsächlich noch irgendetwas Interessantes an unserer Musik ist. Das ist natürlich auch eine Bestätigung. In vielen Songs steckt offensichtlich doch eine gewisse Zeitlosigkeit.

So!: "Extrabreit" hat sich der Aktion "Respekt - Kein Platz für Rassismus" angeschlossen. Wie politisch ist die Band heute?

Havaii: Wir haben politisch immer für eine linke Richtung gestanden, das ist auch in Ordnung so. Aber ich finde, dass man Rockmusik und Politik nicht zu penetrant miteinander verquicken sollte. Sonst kriegt das so einen agitatorischen Touch und wird zur Propaganda. Das mag ich nicht. Es sollte schon ein bisschen hintergründiger sein - und manchmal einfach nur für einen Spaß gemacht werden, nicht immer mit hochgestrecktem Zeigefinger. Deswegen würde ich sagen: Wir sind eine Band, die durchaus eine politische Tradition und ein politisches Bewusstsein hat. Aber wir sind keine Politband.

So!: Sie haben zusammen mit Hildegard Knef "Für mich soll's rote Rosen regnen" im Duett gesungen. Sind Sie nicht voller Ehrfurcht erstarrt, als die Knef vor Ihnen stand?

Havaii: Ich war schon sehr beeindruckt von ihr. Weil ich ihre Lieder ja vorher schon kannte. Und ich hatte Jahre zuvor schon ihr Buch gelesen, ganz unabhängig von unserer Zusammenarbeit. Sie war mir ein Begriff, meine Eltern hatten ihre Platten, die ich mit elf, zwölf gehört habe. Ich habe damals zwar nur die Hälfte von dem, was sie singt, verstanden. Aber die Stimme und ihre Worte und die Atmosphäre, die haben mich schon immer fasziniert. Insofern hatte ich großen Respekt vor ihr. Wir waren schon ein bisschen steif für unsere Verhältnisse, aber sie hat das sehr schnell aufgelöst, weil sie wirklich einen knochentrockenen schwarzen Humor hatte und sehr kollegial war. So war das Eis dann schnell gebrochen.

So!: Ist so eine "Extrabreit"-Zusammenarbeit mit einem großen Star mal wieder geplant?

Havaii: Zeigen Sie mir eine andere Hildegard Knef, dann können wir darüber nachdenken. Solche Leute gibt"s nicht mehr viele.

Kurz & knapp

Kai Havaii kommt im April 1957 als Kay Schlasse zur Welt, macht Abitur, beginnt, Germanistik und Geschichte zu studieren, schließt sich dann aber der linksalternativen "Sponti"-Szene an. Als Taxifahrer und Grafiker schlägt er sich durch, bevor er 1979 zur kurz zuvor gegründeten Band "Extrabreit" stößt, die - zunächst stark vom Punk beeinflusst - zu einem der Flaggschiffe der aufkeimenden Neuen Deutschen Welle wird. "Hurra, hurra, die Schule brennt", "Polizisten" oder "Flieger, grüß" mir die Sonne" gehören zu ihren größten Erfolgen. 23 Alben später ist die Band immer noch zusammen und stetig auf Tour. Kai Havaii, der heute in Hamburg lebt, hat 2007 seinen vielbeachteten autobiografischen Roman "Hart wie Marmelade" geschrieben und arbeitet auch weiter als Autor, unter anderem für TV-Dokumentationen wie die ZDF-Serie "Terra X".


"Extrabreit" live (ausgewählte Termine):

Samstag, 17. August: Zwickau, Stadtfest

Mittwoch, 11. September: Berlin, IFA

Freitag, 13. Dezember: Nürnberg, Rockfabrik

Samstag, 14. Dezember: Cham, L.A.

Donnerstag, 19. Dezember: Bensheim, Musiktheater Rex