Herr Politycki, nach der Lektüre Ihres Buches „In 180 Tagen um die Welt“ weiß ich: Ich möchte nie auf einem Kreuzfahrtschiff Urlaub machen. Würden Sie noch einmal auf eine solche Reise gehen?

Auf eine solch lange sicher nicht. Aber ich habe sehr viele gute und sogar manche verrückte Erinnerungen von meiner Fahrt heimgebracht – an Dinge, die ich an Land mit Sicherheit nie hätte erleben können. Übrigens muss man auch klar unterscheiden: Der Roman ist eine Satire auf die Kreuzfahrt und übertreibt natürlich in eine ganz spezielle Richtung. Die tatsächliche Reise, die ich gemacht habe, war anders, und manches davon möchte ich wirklich nicht missen. Ja, ich würde wieder mitfahren.

Aber auf keinen Fall mehr so lange...

Nein, sicher nicht. Ein halbes Jahr … das ist ja wie ein richtiger Umzug in eine andre Wohnung, an einen anderen Ort! Gut, mit meinen bisherigen Buchprojekten bin ich auch ganz schön rumgekommen; für den Roman davor – „Herr der Hörner“ – hatte ich eine Wohnung in Santiago de Cuba angemietet. Es gehört für mich schon dazu, dass man sich die Umgebung erst mal richtig anguckt, in der ein Roman spielen soll. Daß man dort möglichst auch eine Weile gelebt hat, wenn’s geht. Aber so lange wie bei dieser Kreuzfahrt, das ist in jeder Hinsicht einmalig: Meine Frau, meine Freunde, meine Eckkneipe, überhaupt mein ganzes alltägliches Leben für ein halbes Jahr hinter mir zu lassen – nee, das muss ich nicht noch mal machen.

Können Sie nur über etwas schreiben, was Sie selbst erlebt haben? Oder würden Sie auch einmal ein Buch nur aus der Phantasie heraus schreiben wollen?

Beides gehört ja zusammen, Phantasie und konkrete Recherche, je besser das eine ist, desto besser wird auch das andre sein. Das, was ich als Fichtls Reise beschrieben habe – und Entsprechendes gilt natürlich auch für meine früheren Bücher –, das habe ich natürlich längst nicht alles erlebt, nicht mal im Ansatz! Andrerseits verstehe ich den Schriftsteller nicht als bloßen Schreibtischtäter, ich denke, zum Schreiben gehört auch, dass man am Leben teilnimmt. Dass man sich auf das Leben einlässt. Das meine ich ganz generell; aber je intensiver eine Lebensphase auf ein spezielles Roman-Projekt hinläuft, desto intensiver muß man auch für diesen Roman „leben“, damit man den literarischen Raum auch wirklich kennengelernt hat, über den man später schreiben möchte. Damit wir uns nicht mißverstehen: Was den schieren Plot eines Buches betrifft, da mag die Phantasie ausreichen. Aber in dem Moment, in dem ich diesen Plot atmosphärisch schildern möchte, müssen auch die Gerüche, die Töne, die Farben stimmen, also im Zweifelsfall die Adjektive, und also muss ich die Details so ähnlich auch schon mal selber erlebt haben, sonst verhaue ich mich da. Zum Beispiel: Wie feucht ist die Luft rund um den Äquator? Wie schwitzt man dort und wie in Indien und wie in der Sahara? Nein, schwitzen ist eben nicht gleich schwitzen! Gerade in den kleinen Nebensachen, den kleinen Nebenworten muß ein Roman stimmen, denn natürlich will ich auch die Kenner der Materie auf meiner Seite wissen, die Fachleute. Wenn ich Ihnen das als Geheimnis verraten darf: Sofern diese kleinen Dinge stimmen, dann kann man „knapp daneben“ am besten draufloslügen, dann glaubt der Leser gern auch den ganzen Rest, der total erstunken und erlogen ist. Und dieses ständige Ineinander-Übergehen von gut recherierter „Wahrheit“ und freischwebender Phantasie, das macht mir beim Schreiben am allermeisten Spaß. Selbstverständlich kommt am Ende ein völlig fiktionales Buch heraus, aber eines, bei dem der Leser trotzdem die Details problemlos überprüfen kann.

Was haben Sie denn als größeres Extrem empfunden: die drei Monate auf Kuba oder das halbe Jahr auf der MS "Europa“?

Das letztere. (Matthias Politycki lacht.) Bei Kuba rechnen Sie ja sowieso mit allem, da haut Sie so schnell nichts um. Die „Europa“ hingegen, da stimmt die Vorerwartung wirklich nur zum geringen Teil auf das ein, was man dann tatsächlich erlebt, das ist schon eine eigene Welt. Eine, die auch – und ich meine das nicht unbedingt negativ – sehr anstrengend ist: Sie müssen als Autor ja idealerweise auf allen Decks gleichzeitig dabeisein; Sie müssen im Lauf der Reise das Schiff als technisches Wunderwerk begreifen; Sie müssen das Leben der Mannschaft begreifen; aber auch den Alltag und die Anekdoten der altgedienten Weltreisenden. Und schließlich müssen Sie auch die ganzen Landgänge mitmachen beziehungsweise selber machen, Sie müssen also bei den organisierten Gruppenausflügen dabei sein, damit Sie das erlebt haben, was Ihre Romanfiguren vielleicht erleben könnten; gleichzeitig aber müssen Sie auch auf eigene Faust ins Landesinnere fahren, zum Beispiel mit der Vespa, denn auch das könnte ja für die eine oder andre Romanfigur interessant sein. Nicht zu schaffen! Zumindest müssen Sie in jedem Hafen raus, sonst haben Sie nichts davon – erstens nicht für sich selbst und zweitens erst recht nicht für das Buch.

Sie hatten Angst, etwas zu verpassen?

Immer! Es passiert ja so vieles gleichzeitig an Bord, auf den verschiedenen Decks, Sie können gar nicht anders, als das Meiste davon zu verpassen. Und auch an Land: Was mag bei der organisierten Bustour womögich Skurriles passiert sein, das Sie bei Ihrer individuellen Stadterkundung nicht mal ahnen? Oder was könnte man nicht alles erfinden, wenn man bloß wüßte, was gleichzeitig an Bord passiert ist? So viele Möglichkeiten man für einen Logbucheintrag auch hat, es muß ja immer irgendwie im Kern „stimmen“, man kommt um die Recherche, zumindest im Ansatz, nicht herum. So ist man als Schriftsteller bei einer solchen Reise ununterbrochen auf Standby geschaltet, auch und gerade nach Feierabend, selbst noch beim Absacker. Viele denken, ich hätte da ein halbes Jahr lang die Beine hochgelegt, die linke Hand immer im Kaviar-Eimer, und mit der rechten ab und zu was notiert. Im Gegenteil: Ich habe sehr wenig Schlaf gehabt, weil das Leben an Bord recht früh beginnt und irgendwo bis mindestens Mitternacht geht.

Wenn man arbeiten muss, ist es eben doch ganz anders, als wenn man nur Urlaub macht...

Noch dazu, wo ich – als Vorab-Fassung des Buches – jeden Morgen einen fiktiven Logbucheintrag des vorangegangenen Tages auf meine Homepage hochgeladen habe. Da musste ich immer spät nachts – egal, wie gut ich den Eintrag vorbereitet hatte – noch mal ran an den Computer, nach dem letzten Bier. (Matthias Politycki lacht.) Und mußte dann trotzdem so früh wie möglich wieder aufstehen, denn die Zeit war ja eh gegen mich: Wir fuhren ein halbes Jahr nach Westen, also kamen meine morgendlichen Einträge für die Zuhaus-Gebliebenen immer später, einfach durch die Stunden, die man bei diesem Kurs sukzessive verliert. Etliche Leser haben sich tatsächlich bei mir beschwert, warum sie nicht mehr pünktlich zum Frühstück ihre kleinen „Berichte vom Schiff“ bekamen. „Berichte“ in Anführungszeichen, denn es waren ja immer Fichtls Berichte, also reine Phantasie-Berichte. Jedenfalls war es für Internet-Verhältnisse eine erstaunlich große Leserschaft, die da sozusagen Tag für Tag hinter mir und dem Schiff her war. Da durfte ich mir keinen Tag Pause erlauben; nach der Datumsgrenze hat sich wenigstens die Tageszeit wieder zu meinen Gunsten verschoben.

Wie haben Ihre Mitreisenden auf die Berichte reagiert?

So gut wie gar nicht. Es gehört in der Regel einfach nicht zu ihren Lebensgewohnheiten, täglich ins Internet zu gehen. Allenfalls lädt der eine oder andere mal seine Mails runter; aber um zu surfen, ist diese Klientel im Schnitt zu alt.

Wollte denn jemand trotzdem den Schiffsschreiber beeinflussen?

Oh ja! Ich war an Bord ja sozusagen eine offizielle Person, jeder wußte, wer ich war und was ich tat; und übrigens gehört es auch zu meinem Selbstverständnis, dass ich nicht verdeckt recherchiere, ich bin kein Wallraff. Das heißt: Schon bei der sogenannten Welcome-Gala bin ich den Passagieren vorgestellt worden; außerdem habe ich an Bord ja auf jeder Etappe eine öffentliche Lesung gemacht. Und wer mir für den entstehenden Roman etwas mitteilen wollte, der hat mich schon gefunden, auf einem Schiff gibt’s kein Entkommen.

Ihre Mit-Passagiere kamen also mit Vorschlägen auf Sie zu?

Es sind tatsächlich viele gekommen, um mich … also, beeinflussen klingt jetzt zu negativ. Die wollten mir einfach was erzählen. Sei es, was sie gerade erlebt hatten, sei es, was sie irgendwann mal auf anderen Schiffen erlebt hatten. Überdies kamen Leute, die einfach mitfabulieren wollten, aus Spaß an dem Projekt. Auch an Bord habe ich ja immer betont, daß ich keinen echten, keinen wahrhaftigen Reisebericht schreiben wollte, sondern einen Schelmenroman. Das haben manche ganz gut begriffen und mir ihr komplettes Seemannsgarn angedreht. Aber, ehrlich gesagt, das war ja auch genau das, was ich brauchen konnte; für meine Arbeit war es mir doch völlig egal, ob eine Geschichte „gestimmt“ hat oder nicht – Hauptsache, sie war gut! Auf dieser anekdotenhaften Ebene, da gab es zig, zig, die sich beteiligt haben, von der Mannschaft bis zu den Passagieren. Der eine nur mit einem witzigen Spruch, der nächste mit einer interessanten Beobachtung, der dritte mit einem Einfall, der sich über mehrere Logbucheinträge ausbauen ließ. Man ahnt gar nicht, wie viel Kreativität in den meisten von uns steckt!

Das haben Sie nicht als störend empfunden, als Einmischung?

Im Gegenteil! Es ist doch phantastisch, so viele Co-Autoren zu haben, besser geht’s doch gar nicht! Viel von dem, was ich auf der Reise versäumt habe, ist mir immerhin authentisch berichtet worden, und außerdem war ich mit meiner Arbeit nie allein, das gibt’s in diesem Beruf wirklich selten. Mehr noch, ich habe mich auf diese Weise mit dem einen oder anderen Mitreisenden angefreundet, auch mit Vertretern der Mannschaft. Der F&B-Manager zum Beispiel kam öfters zu mir auf Kabine, um mit mir ein Bier zu trinken und dabei die eine oder andre Geschichte zusammenzufabulieren, die der Fichtl Hannes erleben könnte. Sie müssen sich das so vorstellen: Den Stoff als solchen hatte ich – wie ich vorhin sagte – immer schon als Plot im Kopf, auch in seinen Nebenhandlungssträngen. Aber das Fachwissen eines F&B-Managers, also eines „Food and Beverages“-Managers, das habe ich natürlich nicht. Was kauft der wirklich während der Reise ein? Auf welcher Insel? In welchem Hafen kommen wie viele Tonnen Zuladung von Hamburg? Wie ist das überhaupt aufgeteilt, das Proviantlager im Unterdeck? Was kostet der Inhalt des Kaviar-Tresors, kriegt man dafür wirklich schon ein Einfamilienhaus? Und wer hat den Schlüssel dazu? Lauter spannende Fragen, das Unterdeck ist ja eine Welt für sich. Und ich bin sowieso kein passionierter Kreuzfahrer, musste auf dieser Reise überall bei Null anfangen. Da war’s wirklich ein Segen, dass sich so viele mit ihrem Wissen in den Roman eingemischt haben.

Wie kam das überhaupt zustande, dass Sie dieses halbe Jahr auf der MS "Europa“ mitfahren durften?

Ich bekam eine Einladung von Hapag-Lloyd; die Reederei hatte die Idee einer „Schiffsschreiberschaft“, nach dem Vorbild der Stadtschreiberschaften, die’s in Deutschland ja in etlichen Städten gibt. Dazu muss man wissen, dass die „Europa“ keiner von diesen großen Pötten ist wie die „Queen Mary“ oder gar wie die amerikanischen Kreuzfahrtschiffe mit Eiskunstlaufbahn und Kletterwand. Sondern ein klassisches Kreuzfahrtschiff mit viel Kultur-Programm.

Es sind bei dieser Art von Kreuzfahrt immer auch eine Menge Künstler an Bord...

Musiker vor allem und Schauspieler. Aber es gibt auch Lesungen. Daher die Idee der Reederei, das auszuweiten und nicht etwa auf jeder Reise-Etappe einen neuen Schriftsteller zu engagieren, sondern ausnahmsweise mal einen durchfahren zu lassen. Die Verpflichtungen sind denen bei einer Stadtschreiberschaft vergleichbar: Anwesenheit – das fällt leicht. Und regelmäßige Lesungen. Übrigens: Das Schreiben war allein meine Angelegenheit, die Reederei hat sich verpflichtet, sich da vollkommen rauszuhalten; und ich denke, man sieht es auch am Produkt: Sie hat sich wirklich daran gehalten, das Buch ist ja mit Sicherheit keine Werbeschrift geworden.

Mit der Zeit merkt man beim Lesen aber schon, wie Sie überziehen. Und dass alles nicht ganz so dekadent ist, wie es der Fichtl erlebt. Aber diesen Hauch von Luxus zumindest muss man schon mögen, oder?

Naja, man muss sich halt zuvor überlegen, ob diese Art zu reisen überhaupt zu einem passt. Das kommt auch auf die Lebensphase an: Früher, als ich am liebsten getrampt bin – mit Rucksack und Zelt – oder an irgendwelchen afrikanischen Überlandbussen gehangen habe, da hätte ich mir auf einem Kreuzfahrtschiff doch selber den Vogel gezeigt. Aber man wird ja älter, man gerät in eine andere Lebensphase und … Ich muss jetzt wirklich mal eine Lanze für die Kreuzfahrerei brechen. Es geht dabei ja nicht nur um Luxus und all die gesellschaftlichen Ereignisse an Bord. Das Entscheidende ist doch das Fahren selbst, das mehr oder weniger konstante Fahren übers Meer. Wenn Sie das Rauschen des Meeres von einem Schiff aus hören, dann ist das etwas ganz anderes als das Meeresrauschen am Ufer! Und wenn Sie morgens die Anfahrt auf eine Insel erleben oder auf eine Hafenstadt – das ist nicht zu toppen, ist ein ebenso unvergesslicher Eindruck wie die Fahrt durch die Sahara: Das eine ist durch das andre nicht zu ersetzen.

Trotzdem sind doch ein paar Stunden Landgang auf jeder Insel viel zu kurz, oder?

In der Tat, an Land kommt man auf einer Kreuzfahrt immer zu kurz. Das Schiff legt meistens um 18 Uhr, spätestens 19 Uhr wieder ab; was kann man bis dahin schon besichtigt und gesehen haben? Immer zu wenig! Ich bin von Haus aus eher einer, der sich beim Reisen Zeit nimmt, der einen Ort am liebsten zu verschiedenen Zeiten erlebt, in verschiedenen Stimmungen. Aber das geht auf einer Kreuzfahrt halt nicht. Die ersten Wochen habe ich mich entsprechend abgehetzt und trotzdem immer geärgert, wenn wir wieder weiter mussten. Bis ich begriffen habe: Das Entscheidende sind eben nicht die Destinationen, sondern das Meer dazwischen. Klingt paradox, ist aber so – das Entscheidende an einer Weltreise ist, dass man die Ozeane der Welt befährt und am Ende dort wieder ankommt, wo man losgefahren ist. Und dass damit auch wirklich bewiesen ist, daß die Erde rund ist und keine Scheibe. (Matthias Politycki lacht.) Zu manchen Destinationen – und ich habe mir genau gemerkt, welche das in meinem Fall waren – muss ich selbstverständlich noch mal hin, „richtig“ hin.

Wenn man es nur so kurz gesehen hat, muss man überall noch mal einzeln hin...

Also, ehrlich gesagt, nicht überall. Sie bekommen im Lauf der Reise ja auch eine gewisse Routine, ein geschulteres Auge. Schließlich wissen Sie, daß Sie für Ihren Landgang nur sechs oder acht Stunden Zeit haben, mehr nicht – da reißen Sie die Augen anders auf, als wenn Sie ein Land in Ihrem eigenen Trott bereisen. Weil die Not eben nicht nur erfinderisch macht, sondern auch aufmerksam. So gewinnen Sie durchaus recht genaue Ersteindrücke von Städten, ja Ländern. Ich könnte Ihnen zumindest relativ sicher sagen, wo ich bestimmt nicht mehr hin muss; manche Mythen, die man jahrelang im Kopf hatte, sind eben schon erledigt, wenn man sie ein paar Stunden lang erlebt hat. Im übrigen ist es doch beruhigend, wenn man auch mal einen Haken machen kann, sonst würde man ja verrückt werden vor lauter Ländern, die man noch bereisen wollte! Bei 180 Tagen Fahrt bleiben trotzdem genug Orte übrig, zu denen ich noch mal hin möchte; ich werde wohl eine Reihefolge der wichtigsten Länder aufstellen müssen, weil ich alles sowieso nicht mehr schaffen kann.

Wussten Sie gleich, wie Sie diese Reise-Eindrücke literarisch verabeiten können?

Ja, und zwar lange vor Reiseantritt. Aufgrund einer „Primär-Vision“, wie ich das nenne – das Wort klingt ein wenig pathetisch, es meint aber ganz simpel diesen wehrlosen Zustand, in dem man von einem allerersten Einfall überrumpelt wird, so was wie ein plötzlicher kreativer Rausch. Man wird schlagartig betrunken von dieser Idee! Was sich dabei als Grundidee eines Buches zusammenballt, ist jedenfalls nichts Gesuchtes oder intellektuell Zusammengebasteltes, „Primärvisionen“ entstehen viel tiefer, deshalb wirken sie ja so langanhaltend. Als ich zum ersten Mal von einer möglichen Einladung auf die „Europa“ hörte und mir daraufhin den Prospekt anguckte, da packte mich der simple Gedanke: In 180 Tagen um die Welt, nicht bloß in 80! Und schon sah ich diesen kleinen Fichtl als meine Hauptfigur, ich kann nicht begründen, warum, wie er tapfer die Gangway hochging in eine Luxuswelt, in die er so gar nicht paßt. Eines war schon in diesem Moment klar: Dieser Fichtl wird dort sicher nicht mit offnen Armen empfangen werden; aber … er hat einen wachen Verstand, mal sehen, wie weit er’s dort bringt.

Und das, obwohl er aus der bayerischen Provinz kommt...

Gerade Provinzler haben ja oft das Vorurteil zu überwinden, dass sie irgendwelche Dumpfbacken vom Land sind, wie man hier im Norden sagen würde. Aber das Gegenteil ist doch meistens der Fall! Zu meiner Primärvision gehörte jedenfalls entscheidend dazu, daß dieser kleine Provinzler auf dem großen Schiff in der großen Gesellschaft einen sagenhaften Aufstieg macht, einfach deshalb, weil er keine einzige Vermutung über ihn dementiert und kein Gerücht, weil er einfach die andern machen und befinden läßt, immerhin hat er 180 Tage lang Zeit. Als ich dann merkte, daß meine tatsächliche Weltreise nur 150 Tage dauern würde, mußte ich noch mal bei der Reederei vorstellig werden: „In 150 Tagen um die Welt“, das klingt nicht nur blöd, es hätte dem ganzen Projekt auch seine Jules-Verne-hafte Dimension genommen. Bei Hapag-Lloyd hat man natürlich erst mal über meine Unbescheidenheit gestaunt. Am Ende durfte ich tatsächlich schon einen Monat früher aufs Schiff als die Weltreisenden.

Auf welche Erfahrungen hätten Sie denn bei der Reise dann doch verzichten können?

Hmmm … auf welche? Sie meinen natürlich negative Erfahrungen. Aber ich finde, ehrlich gesagt, dass gerade auch die negativen Erfahrungen bei dieser Reise wichtig waren. Und was heißt schon „negativ“? Ist es denn eine negative Erfahrung, wenn man feststellt, dass man durch Kaviar nicht unbedingt glücklicher wird? Daß man diesen Luxus zwar eine Weile lang genießen kann, aber daß man ihn nicht wirklich braucht? Ich habe mir eben daraufhin – und damit war ich auch mit all dem Luxus auf dem Schiff versöhnt – Nischen gesucht, in denen es auch mal ein Wiener Schnitzel gab. Oder bloß eine Currywurst; die Möglichkeiten dazu hat man auf diesem Schiff ja. Gegen Ende der Reise bin ich so gut wie nie mehr zu Gala-Essen, Kapitänsempfängen oder zu den allabendlichen Konzerten gegangen – all das brauchte ich nicht, um Freude an der Fahrt zu haben, der wahre Luxus auf diesem Schiff bestand für mich darin, auf den Luxus zu verzichten. Schritt für Schritt. Und dabei zu entdecken, was man wirklich braucht.

Was, zum Beispiel, brauchten Sie denn unbedingt?

Na zum Beispiel das Schwimmbecken oder die Dauerlaufstrecke rund um Deck 9 – eines von beiden brauchte ich jeden Tag. Auch die „Sansibar“ gehörte dazu: Eine solche Bar im Heck eines Schiffes, das ist der absolute Luxus. Dort am Abend zu stehen, mit dem Blick übers Kielwasser und bis zum Horizont, dazu ein Himmel voller Sterne … nicht zu toppen! Wohingegen der Golf-Simulator zum Beispiel … tja, das ist eben nicht meine Sache. Natürlich könnte man sagen, ich hätte von Anfang an auf ihn verzichten können. Aber es gehört doch dazu, finde ich, dass man auch damit seine Erfahrungen gemacht hat. Deswegen sage ich: Nicht mal auf den Golf-Simulator hätte ich verzichten wollen.

Im Buch gibt es doch die Geschichte, dass sich die Passagiere auf dem Schiff statt des 18-Gänge-Weihnachtsmenüs nichts sehnlicher wünschen als unverfeinerte Bratkartoffeln. Sind die Leute wirklich so satt?

Nein, das fällt unter Satire, und geht im übrigen nur auf einen einzigen der Weltreisegäste zurück: einen äußerst witzigen, der sogar namentlich im Buch auftaucht, weil er’s sich so gewünscht hat – Herr Fürstenberg. Er hat mir glaubhaft versichert, wie schwierig es an Bord ist, perfekte Bratkartoffeln zu bekommen. Er hat mich dann auch mal zum Bratkartoffelessen eingeladen, die musste er aber extra ordern. (Matthias Politycki lacht.) Und während des Essens entstand dann die passende Bratkartoffelgeschichte für den Fichtl: Alle Weltreisegäste beschweren sich kollektiv über die anhaltende Sterne-Küche, der eine ordert statt Hummer demonstrativ Bratkartoffeln, der nächste Schiffszwieback undsoweiter. Reinste Phantasie, natürlich; die tatsächlichen Weltreisegäste hätte man niemals so verallgemeinern können.

Es gibt also keinen typischen Luxus-Kreuzfahrer?

Wie auch? Jeder findet an Bord das Seine, die einen den Hummer und den Golfsimulator, die anderen diese wunderbare Dauerlaufstrecke rund ums Schiff und die „Sansibar“. Für mich war’s halt ein Heidenspaß, dass man diese eine persönliche Abneigung ins Absurde übertreibt und es literarisch zum Bratkartoffel-Eklat kommen lässt. Aber es gibt auch eine andere Stelle in Fichtls Logbuch, die davon handelt, daß es bei einem Gala-Menü von Harald Wohlfahrt Gäste gab, die sich lieber Würstchen bestellten. Und das war auch in Wirklichkeit so gewesen, die wollten das Wohlfahrt-Menü tatsächlich nicht! So erklärt sich auch das Prinzip dieses Logbuchs: Bei vielen Einträgen ist irgendwo ein kleiner wahrer Kern enthalten, vor allem ist das Ganze aber völlig ins Groteske überzogen. Schließlich soll’s beim Lesen ja auch Vergnügen machen.

Was war für Sie der wichtigste Moment auf der Reise?

Der Tag der Rückkehr. Das meine ich wirklich ernst, denn dieser Tag hat mir erneut gezeigt, wie fantastisch es ist, hier – in Hamburg – zu wohnen. Nach all den großartigen Städten, die ich im Lauf der Reise gesehen habe, hier wieder anzukommen und sofort zu fühlen: Ja, hier bist du richtig! Du willst nirgendwo anders wohnen! Und du freust dich so richtig auf all das, was du hier wieder vorfindest – das herrliche Gefühl, wieder im Luxus der Normalität angekommen zu sein.

Hatten Sie während des halben Jahres so etwas wie einen „Bord-Koller“? Oder gar Fluchtgedanken?

Das werde ich häufig gefragt. Selbstverständlich hatte ich immer mal wieder Heimweh, man macht bei einer solch langen Reise ja Höhen und Tiefen durch wie im alltäglichen Leben zuhause auch, das kann man nicht mit einer normalen Urlaubsreise vergleichen. Aber ich muss Ihnen sagen, ich habe immer gewusst, es ist ein Riesen-Glück, diese Einladung bekommen zu haben. Eine Einladung, die man kein zweites Mal bekommt. Deswegen wollte ich in jedem Fall auf dem Schiff draufbleiben, egal was passieren würde und wie ich mich fühle. Es war ja nicht nur für mich, sondern auch, etwas pathetisch formuliert, für die Literatur eine einmalige Chance: Wann war ein Schriftsteller schon mal auf solch einem Schiff unterwegs und noch dazu so lange? Dort läßt sich ja noch eine literarische Antarktis entdecken, völlig unerforschtes Terrain! Ich meine: das Leben an Bord; Schriftsteller kennen in der Regel sämtliche Loser der Gesellschaft, schräge Käuze, Gescheiterte, wir können uns da relativ leicht reindenken. Und entsprechende Helden entwickeln samt ihren Stories. Aber die Top-Liga, die einen schon aufgrund der Summe ausgrenzt, die man zahlen muss, um überhaupt erst mal da reinzukommen … die gehört ja auch zu unserer heutigen Gesellschaft, oder nicht? Und mit diesen Leuten dann auch noch gemeinsam ein halbes Jahr unterwegs zu sein, auf engstem Raum, und dabei deren Gedanken, Gewohnheiten, Ängste, Freuden so kennenzulernen, daß man am Ende immerhin halbwegs damit vertraut ist: All das ist eine einmalige Chance gewesen – und dafür bin ich Hapag-Lloyd nach wie vor dankbar.

Wieso stammt der Herr Fichtl gerade aus Oberviechtach? Gibt es dort besonders geeignete Provinzler?

(Matthias Politycki schmunzelt.) Ich habe einen Freund, einen Komponisten, weiter unten allerdings, im Bayerischen Wald. Der hat sich mir gegenüber schon öfters aufgeregt über das Image der Provinzler und darüber, dass es sich damit eigentlich umgekehrt verhält: dass derjenige, der nichts kann, aus der Provinz abwandern muss in die Großstadt, weil sich’s dort ja nicht so leicht herumspricht, daß er im Grunde eine Pfeife ist. Und deswegen ist mir der Bayerische Wald so ans Herz gewachsen, obwohl ich ihn nur als Metapher nehme – Bayerischer Wald, das klingt ja schon in München nach Provinz. Und erst recht in Hamburg. Und erst oberrecht in der Südsee. Für „In 180 Tagen um die Welt“ ist es dann aber der Clou, dass ausgerechnet so einer die Top-Gesellschaft an Bord aufmischt – auf seine ganz und gar nicht hinterwäldlerische Weise.

Wobei die Oberviechtacher ja zu Recht protestieren, dass sie nicht im Bayerischen Wald leben...

Ja, das liegt ein bisschen weiter oben, ich weiß schon. Aber bei „Bayerischer Wald“ glaubt halt jeder sofort zu wissen, was gemeint ist; beim „Oberpfälzer Wald“ ist das nicht so. Und was Oberviechtach im speziellen betrifft: Bei den Fahrten zu unsrer Verwandtschaft in Hof tauchten immer wieder solche komischen Ortsnamen auf, bei denen die Phantasie sofort ins Laufen kam. Wie bei Gefrees oder –

Also hätte man Fichtl auch aus Gefrees kommen lassen können? Oder aus Oberkotzau?

Hätte man. Daß es letztlich Oberviechtach wurde, läßt sich nicht logisch begründen, solche Entscheidungen sind irrational. Nach der Reise auf der „Europa“ bin ich übrigens noch mal dort hingefahren, um auch für Tag 1 von Fichtls Logbuch ein passendes „Foto des Tages“ zu haben. Motive gibt’s dort ja reichlich! Das nächste Mal werde ich in Oberviechtach dann am 26. November sein, zur Lesung. Bin mal gespannt, wie das wird, am Heimatort vom Fichtl Hannes. (Matthias Politycki lacht.)

Die Oberviechtacher haben Sie eingeladen?

Naja, wenn der Roman schon in ihrem Ort beginnt …

Der Herr Fichtl ist ein Finanzbeamter, aber wohl kein typischer. Wenn ich meine Steuererklärung zurückbekomme, kann ich so viel Witz und Eloquenz jedenfalls in den Anmerkungen nicht entdecken...

(Matthias Politycki lacht.) Und genau das war meine Absicht. Ich bin zum Beispiel mit einem Vertreter für Kleidung befreundet. Was der während unsrer gemeinsamen Dauerläufe an Geistreichtum und Witz, aber auch an klugen Analysen zur Politik loslässt, das würde man vom landläufigen Klischee her so nicht erwarten. Gott sei Dank gibt’s immer wieder Ausreißer, die das Berufsklischee ein bisschen konterkarieren, ich nehme an, auch bei den Finanzbeamten. Aber Sie haben trotzdem mit ihrem Einwand nicht unrecht; gemeinsam mit meinem Lektor habe ich viel über die Psychologie des Fichtl Hannes nachgedacht. Wir waren uns einig: Der ist, Finanzbeamter hin oder her, vor allem wahrscheinlich ein Stotterer, der ist im mündlichen Ausdruck total schwach. Und kompensiert das seit eh und je im Schriftlichen, in seinem Tagebuch. Jedenfalls war uns das eine ausreichende Erklärung für all den Humor, der einen solchen Roman ja ausmachen muß; Fichtls Witz ist letztendlich nichts als Kompensation.

An Bord gibt es ja auch noch einen skurrilen Schiffsschreiber. Wieviel von dem sind Sie selber?

Ich hoffe: kein bißchen. (Matthias Politycki lacht.) Wenn man schon eine Satire schreibt, dann sollte man auch vor dem eigenen Berufsstand nicht haltmachen. Nicht nur Vertreter der „oberen Zehntausend“ können skurril sein! Noch zu meiner Studienzeit hat man bei jeder Lesung insgeheim erwartet, dass der Schriftsteller mit speckiger Lederjacke und Rotweinglas daherkommt, ein bißchen schlechtgelaunt liest und sich gerade deshalb als Genie beklatschen läßt. Dieser Typus ist ja – Gott sei Dank – auf dem Rückmarsch, und mit ihm das Klischee vom Schriftsteller. Für „In 180 Tagen um die Welt“ konnte ich es freilich noch mal gut gebrauchen.

Der Fichtl entschließt sich ja am Ende der Reise, als Matrose an Bord zu bleiben. Das hätte Ihnen nicht passieren können, oder?

Nein, ich bin sehr glücklich da, wo ich lebe. Fichtls Fall liegt in jeder Beziehung anders, er verabschiedet sich zwar von der Gesellschaft, in der er alles erreicht hat und mit der er nichts weiter zu schaffen haben will, aber das Schiff hat ihn noch lange nicht losgelassen. Das Schiff und das Meer und das Fahren und das Unterwegssein, das zieht ihn im Verlauf der Reise immer stärker an. Und schließlich: Wie soll eine Satire denn enden? Tragisch? Nein. Sie musste auch ein skurriles Ende haben.

Und es passt ja auch...

Man könnte sich also vorstellen: Auch jetzt gerade, in diesem Moment, ist der Fichtl Hannes noch auf hoher See, er ist weiterhin unterwegs, sozusagen stellvertretend für uns alle, die wir daheim sitzen, und zwar auf einem Schiff, das es in jeder Beziehung in sich hat. Die FAZ hat in einem Interview ja zum Beispiel nachgefragt, ob es dort wirklich Kielschweine gibt …

...Das würde mich auch interessieren...

Das glaube ich! Ich habe damals geantwortet, man würde sie nachts manchmal grunzen hören, wenn man auf dem Balkon sitzt. Und genauso würde ich jetzt die Frage beantworten, ob der Fichtl immer noch an Bord ist. Natürlich, würde ich sagen, wo sonst. Das wäre doch immerhin eine schöne Vorstellung, oder nicht? (Matthias Politycki lacht.)

Ist Reisen für Ihr Leben wichtig? Sie schreiben ja oft Texte, zu denen Sie durch das Reisen inspiriert wurden.

Ja, es ist ziemlich wichtig für mich, aber auch unabhängig vom Schreiben, zunächst mal einfach deshalb, weil ich so erzogen wurde. Meine Eltern sind viel gereist, und ich wurde halt immer mitgenommen. Mein Vater hat mich dabei ein bisschen zwangs-europäisiert; zumindest hat er Wert darauf gelegt, dass man von den Stereotypen und Klischeevorstellungen wegkommt, die man sich so unterderhand von benachbarten Völkern und Ländern macht. Er war wohl durch die Erfahrung des Krieges zu der Überzeugung gekommen, dass man sich gerade als Deutscher öffnen muss für die Nachbarn, die Nachbarvölker. Daß man hinfahren muß, sie kennenlernen, vielleicht sogar dort Freundschaften schließen. So bin ich schon als kleiner Junge viel herumgekommen und fand das auch immer spannend.

Und das haben Sie beibehalten...

Erst im Lauf der Jahre habe ich gemerkt, dass am Wegrand auch viel literarischer Stoff liegt. Wenn man unterwegs ist, hat man sowieso einen offeneren Blick, dazu ist man oft viel müder, erschöpfter als zu Hause – und dadurch auch viel verletzbarer. Wenn dann mal irgendeine Kleinigkeit passiert, eskaliert das innerlich gleich. Und plötzlich entstehen daraus Geschichten, zumindest im Kopf. Am Ende kommt man jedes Mal mit wachen Augen zurück nach Hause; man nimmt seine direkte Umwelt eine Weile lang viel präziser wahr als sonst.

Sehen Sie sich als Reiseschriftsteller oder mehr als reisender Literat?

Auf keinen Fall als Reiseschriftsteller. Ich habe doch auch ganz andere Romane geschrieben, „Weiberroman“, „Ein Mann von 40 Jahren“, die in verschiedenen deutschen Städten spielen. Und der nächste wird übrigens auch irgendwo in Deutschland spielen, allerdings weiß ich noch nicht, wo. Nein, ein Reiseschriftsteller bin ich nicht, ich reise einfach gerne, und ich bin Schriftsteller.

Sie sind jetzt ja auch viel auf Lese-Reise unterwegs. Sie haben mal gesagt, dabei würden Sie Ihr Buch von einer ganz anderen Seite kennen lernen.

Ja, denn der Leser schaut ein Buch ja oft ganz anders an als der, der’s schreibt, jeder Leser liest es auf seine Weise. Was man da manchmal an Kommentaren hört, das ist schon sehr erhellend. Das Zweite ist: Man lernt beim lauten Lesen. Zwar schreibe ich ohnehin innerlich laut, ich komme ja eigentlich von der Musik her und versuche, den Rhythmus der Sätze beim Schreiben auch zu hören. Dazu muss ich nicht unbedingt den Mund aufmachen, aber … Verstehen Sie, was ich meine? Ich komme vom Sound. Doch bei Lesungen lese ich den Text tatsächlich laut vor, und sogar immer wieder. Das sind, wenn Sie so wollen, immer wieder Tests, ob der Text hit-tauglich ist. Hit-tauglich in dem Sinne, dass ich mich frage: Kann ich das jeden Abend wieder lesen? Und es trotzdem noch gut finden? Denn ich will natürlich auch mein eignes Vergnügen dabei haben.

Was entdecken Sie dabei?

Ich lerne zum Beispiel, dass Stellen in den Vordergrund rücken, die ich vorher gar nicht so favorisiert hätte. Aber das Publikum reagiert eben auch an Stellen, die mir selber gar nicht so wichtig sind – das heißt: so wichtig waren, denn nun werden sie’s ja plötzlich: Da lacht jemand an Stellen, an die ich nie und nimmer gedacht hätte! Und in der nächsten Stadt wieder einer, und wieder genau an dieser Stelle. So bemerke ich im Lauf der Lesereise den Humor, den andere in meinem Buch finden, ich lerne, daß ich noch längst nicht alles über den Text weiß, den ich ja als vermeintlich allwissender Erzähler geschrieben habe. Umgekehrt gilt das natürlich auch: Wenn ich nämlich an einer gewissen Stelle einen Lacher vermutet hätte – der dann ausbleibt. Womit ich mich fragen muß: Habe ich das etwa nicht ganz richtig auf den Punkt gebracht? Oder ist es halt nur speziell meine Art von Humor? Und dann erst die traurigen Stellen … Am Ende einer Lesereise hält man nicht selten ein anderes Buch in Händen als davor, es steckt voller Notizen und Anmerkungen, und wenn man könnte, würde man es sofort noch mal neu schreiben. Das ist ja das Schreckliche am Schreiben, es ist nie zu Ende; und man kann froh sein, wenn man auf Leser trifft, die es auf ihre Weise fortsetzen.