So!: Erwische ich Sie gerade in schlechter Stimmung, weil Sie gleich zu einer Lese-Reise aufbrechen. Und Reisen mögen Sie ja gar nicht...
MIrjam Müntefering: Genau. Deswegen bin ich auch so in Hetze, weil ich ja gar nicht weg will und daher immer zu spät bin. Das kennen Sie ja aus meinem Buch (Mirjam Müntefering lacht.)
So!: Sie bezeichnen sich als „Schreib-Junkie“. Warum ist das Schreiben in Ihrem Leben so unentbehrlich?
Müntefering: Also, ich glaube, ich bin so sozialisiert. Ich habe mich quasi selber darauf getrimmt, weil ich halt schon von Jugend an immer Tagebuch geschrieben habe. Und mich auch immer schon viel über das Schreiben ausgedrückt habe. Da entwickelt man dann fast eine Sucht. Ich habe es nicht gerne, wenn ich nicht an einer Geschichte arbeite. Wenn ich mit einem Buch fertig werde, dann fange ich mit dem nächsten schon wieder an. Das ist also ein fließender Übergang.
So!: Wenn man die autobiografische Reise von Ihnen liest, kommt man zu dem Schluss, dass Sie viel Humor haben müssen. Stimmt das?
Müntefering: Nein. (Mirjam Müntefering lacht.) Doch, natürlich. Ich hoffe es jedenfalls. Ich versuche einfach, jede Situation im Leben mit Humor zu sehen. Ich denke auch, dass ich einen Blick für komische Situationen habe. Aber ich würde mich auch nicht als albern bezeichnen, also nicht als eine, die ständig Witze reißt. Es ist vielleicht eher ein etwas stillerer Humor, der etwas amüsierter betrachtet. Nicht so schenkelklopfend.
So!: Jedenfalls nehmen Sie nicht alles so ernst.
Müntefering: Genau.
So!: Sind in Ihrem Leben Männer überhaupt wichtig? In Ihrem Buch zumindest taucht außer Ihrem Vater kein anderer Mann auf, der wichtig erscheint...
Müntefering: Ja, stimmt. Also, ich habe schon Männer als Freunde, aber eigentlich immer in der Kombination von Paaren, bei denen ich halt mit der Frau und mit dem Mann befreundet bin. Diese Freunde sind natürlich schon wichtig in meinem Leben. Tatsächlich dreht sich aber schon sehr vieles um Frauen.

So!: Freundinnen bezeichnen Sie als Schatz in Ihrem Leben. Warum sind Ihnen Freundschaften so wichtig?

Müntefering: Ich denke, weil das eine Art von sozialem Netz ist, das ich mir selber aufgebaut habe, mit Menschen, die mir sehr wichtig sind, mit denen ich sehr vieles teile, mit denen ich Erinnerungen teile – und natürlich auch die Gegenwart. Menschen, deren Meinung mir wichtig ist. Und bei denen ich mich einfach aufgehoben fühle.

So!:
Sie bevorzugen Geschichten, die unterhalten, die den Leser mitreißen. Mit einer Einteilung in „Unterhaltungsliteratur“ und „Gehobene Literatur“ können Sie nichts anfangen.
Müntefering: Na ja, ich habe halt immer ein bisschen Probleme damit, wenn man anfängt, Literatur und Belletristik zu teilen. Literarisch ansprechende Texte und Geschichten. Ich habe eigentlich eher ein Faible für die Geschichten. Deswegen schreibe ich auch Bücher, weil ich eher eine Geschichtenerzählerin bin. Ich würde mich nie selber als Literatin oder als Künstlerlin bezeichnen, wie manchmal Schriftstellerinnen ja auch gesehen werden. Ich mag es lieber, einfach Geschichten zu erzählen. Bei der gehobenen Literatur steht schon im Begriff eine Wertung drin, die mir nicht so passt.

So!: Unter welcher Rubrik würden Sie Ihre Bücher in einer normalen Buchhandlung einordnen?

Müntefering: Romane.
So!:
Welche Bücher, die Sie selbst gelesen haben, haben Ihre Erwartungen erfüllt? Und von welchen Werken waren Sie eher enttäuscht?
Müntefering: Enttäuscht bin ich eigentlich oft von Büchern, die Literaturpreise bekommen haben. Darauf bin ich jetzt schon ein paar Mal reingefallen. Da haben mich die Aufkleber gelockt, auf denen das Buch als preisgekrönt gepriesen wurde. Oder ich habe eine Besprechung dazu gelesen. Doch dann sind mir diese Bücher oft zu steif, zu künstlich. Ich komme an die Geschichte nicht ran, ich kann die Figuren nicht fühlen. Dann bin ich enttäuscht. Aber nur für mich selbst, denn ich denke, es gibt schon eine Leserschaft für diese Texte.
So!: Und wer hat Sie begeisert?
Müntefering: Eine echte Künstlerin, also Literatin und Geschichtenerzählerin, ist eine amerikanische Autorin: Marge Piercy. Die ist leider in Deutschland nicht so bekannt, obwohl schon einige Bücher von ihr übersetzt worden sind. In Amerika hat sie schon diverse Auszeichnungen und Preise bekommen. Da können wir uns von den Amis mal ausnahmsweise was abgucken, denn die machen keinen so großen Unterschied zwischen „Da erzählt jemand eine Geschichte“ und „Da ist jemand literarisch anspruchsvoll“.

So!: Was ist das Besondere an ihr?

Müntefering: Piercy schafft es, ihre Figuren sehr realistisch und lebendig darzustellen. Figuren, mit denen man sich identifizieren kann, mit denen man wirklich in die Geschichte eintaucht. Figuren, die man mag. Und welche, die man nicht mag. Trotzdem merkt man den Texten an, dass sie sehr gut recherchiert sind, dass dahinter eine sehr ansprechende Philosophie steckt, dass Marge Piercy etwas sagen will mit ihren Texten. Mein Lieblingsbuch von ihr ist „Menschen im Krieg“, in dem es um Menschen im Zweiten Weltkrieg geht. In dieser Geschichte merkt man wirklich, dass der Krieg nicht nur Ausgebombt-Sein bedeutet oder selber Soldat-Sein. Denn diese Menschen sind immer noch Menschen. Menschen, die sich verlieben im Krieg. Frauen, die schwanger werden im Krieg. Das Leben geht weiter. Eine Frau, die Hobby-Pilotin ist, bekommt zum Beispiel plötzlich im Krieg die Gelegenheit, als Berufspilotin eingesetzt zu werden. Für die bedeutet der Krieg eine ungeheure Chance. Eine Möglichkeit, die sich wieder verliert, als der Krieg zu Ende ist. Was so ein Krieg für einzelne Menschen bedeuten kann, das wird in dem Buch beschrieben. Aber ohne, dass man die ganze Zeit nur von Grauen geschüttelt ist. Man spürt auch die Menschlichkeit. Ich merke schon, ich bin ein bisschen hilflos dabei, auszudrücken, was ich so toll an dem Buch finde. Das ist wirklich eines meiner absoluten Lieblingsbücher.
So!: Ist diese Autorin Ihr Vorbild?
Müntefering: Ja, das kann man schon sagen. Wenn ich sagen müsste, dass ich ein Vorbild habe, wenn ich mich für eine Autorin entscheiden müsste, dann wäre wahrscheinlich sie das. Wobei ich immer versuche, aus vielem etwas zu lernen. Ich lese auch selber sehr gerne, habe auch Prioritäten, nach denen ich Bücher aussuche. Ob das nun nach Themen ist oder – wie im Moment – Bücher, in denen sprachlich mit Auslassungen gearbeitet wird, weil ich etwas an meiner Dialogführung ändern möchte. Deshalb versuche ich herauszufinden, wie das geht, also, wie unterschiedliche Autoren und Autorinnen diese Dialoge schreiben. Was gibt es für Möglichkeiten, über die Dialoge trotzdem noch etwas zu transportieren? Ein Dialog darf ja nie hohl sein, sondern er muss Inhalt transportieren, also entweder die Handlung vorwärts bringen oder die Figur charakterisieren oder am besten beides. Wie also kann man das möglichst natürlich, mit möglichst einfachen Mitteln oder eben auch mit Auslassungen erreichen? Wie kann man da arbeiten? Damit beschäftige ich mich gerade, wenn ich lese.
So!: Ist das dann trotzdem noch unterhaltsames Lesen?
Müntefering: Ja, ja, schon noch. Doch, das kann ich. Ich habe ja auch Filmwissenschaften studiert, kann aber durchaus noch in einem Film aufgehen und mich daran erfreuen und richtig darin eintauchen. Trotzdem nehme ich auf einer anderen Ebene auch wahr, wo vielleicht Fehler in der Dramaturgie sind. Oder in der Montage. Oder ich nehme wahr, wo etwas besonders gut gelungen ist. Das läuft quasi parallel.
So!: Haben Sie denn den Mega-Bestseller „Feuchtgebiete“ mit seiner angeblich so weiblich-natürlichen Sicht auf die Dinge schon gelesen?
Müntefering: Nee, den hab’ ich nicht gelesen. Und ich glaube, den werde ich auch nicht lesen. Ich habe zwar mal reingeschaut und dabei wohl auch gleich die richtigen Stellen aufgeschlagen. Und da habe ich gedacht: Och nöö, das muss nicht sein. Ich weiß ja genau, dass mich Dinge, die ich lese, beeinflussen werden: Ich denke über die Bücher nach, manchmal über Tage, bei dicken Büchern über Wochen. Das begleitet mich in meinem Alltag. Ich bin also sehr skeptisch, misstrauisch, vorsichtig, mit welchen Energien ich mich in meinem Leben umgebe. Weil meine Zeit und mein Leben einfach viel zu kostbar sind, als dass ich mich mit allem beschäftigen wollte, was gerade en vogue ist. Ich gucke lieber, was für mich wichtig ist.
So!: Haben Sie dann das neue Buch von Ihrem Vater schon gelesen, „Macht Politik!“?
Müntefering: Hier steht’s. Ich habe auch schon reingeguckt. Aber ich habe es noch nicht durchgelesen.
So!: Ist Ihnen das Thema Politik nicht so wichtig?
Müntefering: Schon. Aber es frustriert mich auch oft. Sowohl auf lokaler Ebene – meine Freundin und ich haben erst heute Morgen beim Frühstück darüber diskutiert, wie hier im Moment die lokale Politik betrieben wird und womit wir nicht zufrieden sind. Und das kann man auch auf Landes- und Bundesebene übertragen. Ich habe im Buch auch ein paar Beispiele beschrieben, bei denen ich mich politisch engagiert habe. Aber ich hatte dabei das Gefühl, man kämpft da gegen Windmühlenräder, wie Don Quichote. Und das frustriert mich dann. Das sind dann auch so Energien, bei denen ich denke: Nee, das muss jetzt nicht sein.
So!: Sie haben mal gesagt: „Alle Parteien sind Hunderudel.“ Auf welche Beobachtungen stützen Sie denn diesen Vergleich?
Müntefering: Na ja, darauf, dass ich hier in der Hundeschule sehr viel mit innerartlicher Kommunikation der Hunde zu tun habe, zum Beispiel in unseren Spielgruppen. Und ich beobachte: Wann spielen Hunde? Wann versuchen sie, den Rang klar zu machen mit einem Artgenossen? Wie läuft das ab? Wann entsteht zum Beispiel Mobbing? Das gibt es ja bei Hunden auch sehr häufig. Solche Geschichten kann man wunderbar beobachten, wenn man mehrere Hunde miteinander agieren sieht. Die Strukturen sind bei den Hunden ganz ähnlich wie bei den Menschen. Im Grunde sind alle Gruppen so strukturiert – und das beziehe ich jetzt nicht nur auf Parteien, sondern ich meine zum Beispiel auch Vereine, oder Kirchengemeinden. Also überall, wo Menschen zusammenkommen und irgendjemand dem vorsteht und es eine Riege aus Alttieren gibt, so heißt das bei den Hunden, also diejenigen, die schon länger dabei sind, die sich auskennen, die souveräner sind. Dazu die ganzen Jungtiere, die juvenilen Tiere und die Welpen.

So!: Hätten Sie das Zeug zum Alpha-Tier?
(Mirjam Müntefering räuspert sich.)
So!: Also auch im Hinblick auf eine politische Karriere?
Müntefering: Das ist natürlich schwer, das jetzt zu beurteilen und zu beantworten. Ich habe viel mehr mit Hunden zu tun als mit Wölfen. Und bei denen gibt es ja die Alpha-Tiere. Oft werden von Leuten, die sich nur hobbymäßig mit Hunden beschäftigen, diese hierarchischen Strukturen der Wölfe auf die Hunde übertragen. Aber diese Alpha-Struktur gibt es bei Hunden so nicht. Wenn, dann würde ich mich eher als Hund sehen wollen. Und da dann als Alttier einstufen, also schon als eine von denjenigen, die versuchen, zu führen und Leader zu sein. Aber Alttiere sind natürlich auch immer bemüht, Ausgleich zu schaffen, also, zu gucken, dass zwischen den anderen kein Stress aufkommt. Also: Ich möchte eine gute Chefin sein. Darüber philosophiere ich in dem Buch ja auch ein bisschen: Was bedeutet das eigentlich, ein guter Chef zu sein? Für den Hund ein guter Chef zu sein und für Menschen ein guter Chef zu sein, das ist eigentlich das Gleiche. Also: Nie mit der Faust auf den Tisch donnern, nie rumbrüllen, nie ungerecht sein, nie unberechenbar sein. Sondern gewählt werden als Chef, weil man Vertrauen einflößt, weil die anderen sagen: „Der folge ich gerne, weil der traue ich das zu, dass sie für uns unsere Sachen regelt.“ So würde ich mich schon sehen. Ich meine, im Grunde bin ich das ja auch. Ich habe meine Hundeschule, die ja auch eine kleine Firma ist. Ich habe Angestellte, die aber alle nicht scharf darauf wären, meine Position inne zu haben. Sondern, die ganz froh sind, dass sie „nur“ Trainerin sind und diesen schönen Job machen müssen – oder besser: dürfen. Ohne das machen zu müssen, was ich eben alles noch zusätzlich machen muss.
So!: Nochmal zurück zu den Büchern. Sie schreiben Bücher über die Liebe zwischen Frauen. Kaufen diese Bücher nur lesbische Frauen? Oder finden Sie damit auch ein breiteres Publikum?
Müntefering: Das hat sich in den letzten zwei Jahren ein bisschen geändert. Früher habe ich natürlich auch noch sehr viel mehr über die Lesben-Szene geschrieben. Das waren dann schon explizit eher die Frauen in der Szene oder eben Lesben an sich, die die Bücher gekauft haben. Jetzt stelle ich aber fest, dass sich das Publikum oder die Leserschaft ein bisschen wandelt. Ich merke das, weil ich auch zunehmend entsprechendes Feedback und E-Mails auf meiner Website bekomme. Seit Erscheinen des aktuellen Buches erhalte ich sehr, sehr viele E-Mails, weil ich so irre war, darin zu sagen, dass ich gerne E-Mails bekomme. Das ist ja auch der Fall. Aber ich habe auch versprochen, ich würde allen antworten. (Mirjam Müntefering lacht.) Gerade da schreiben auch immer wieder heterosexuelle Frauen und sogar oft Männer, die berichten, dass sie vielleicht am Anfang ein bisschen skeptisch gewesen sind, die sich dann aber durch meinen Stil und durch die Art, wie ich die Geschichten erzähle, überzeugen ließen. Und die mir das gerne mitteilen möchten. Und darüber freue ich mich natürlich immer besonders. Ich merke also, aha, das sind nicht nur die Frauen, die Bücher über Frauenliebe suchen, sondern es sind auch Menschen, die sagen: Mich spricht jetzt dieses Thema an. Zum Beispiel auch jetzt bei dieser autobiographisch angehauchten Geschichte, wo viele gerne etwas über den Menschen erfahren möchten. Oder, bei dem Buch, das davor erschienen ist, „Unversehrt“ heißt es. Da geht es um das Thema Schuld: Eine junge Frau verursacht einen Autounfall, bei dem eine ihrer Freundinnen ums Leben kommt. Es geht darum: Wie kann sie damit umgehen? Wie kann sie damit leben? Wie kann sie quasi wieder leben lernen mit dieser Schuld? So ein Thema betrifft eigentlich jeden Menschen. Jeder hat doch schon mal in irgendeiner Weise Schuld auf sich geladen. Zwar ist sie bei den meisten nicht so groß, aber viele haben doch schon mal jemanden verraten oder betrogen oder angelogen. Kleine Schulden, quasi, aber auch damit muss man ja umgehen. Man muss um Verzeihung bitten. Und man muss sich vor allem irgendwann auch selber verzeihen können. Das war, glaube ich, schon ein erster Schritt in die Richtung, dass sich meine Bücher auch für ein breiteres Publikum öffnen. Im Moment schreibe ich an einem Buch, das das Ganze noch ein bisschen weiter öffnet. Das wird so eine Art Medien-Thriller.
So!: Da bin ich schon sehr gespannt. Gibt es denn einen Unterschied zwischen einem Roman über die Liebe zwischen Mann und Frau und Ihren Liebesgeschichten zwischen Lesben?
Müntefering: Also, mein Ziel wäre es ja – und vielleicht sind wir davon gar nicht mehr so weit entfernt, vielleicht zehn, fünfzehn Jahre – dass es für den Leser egal ist, ob es in dem Buch um zwei Frauen geht oder zwei Männer oder um Mann und Frau. Sondern, dass eher das Thema eine Rolle spielt. Wie zum Beispiel das Thema Schuld. Oder es geht um ein Paar, das ein Kind adoptieren möchte. Oder der Roman erzählt von einer Reise. Dass das Thema wichtig wird und nicht so sehr, ob es um Schwule, Lesben, Heterosexuelle geht. Das wäre mein Ziel. Und bei den Liebesgeschichten ist es natürlich so, dass Frauen dafür nun mal die größte Leserschaft sind – Leserinnenschaft muss man dann ja sagen. Bei einem Buch, in dem es in erster Linie um die Liebesgeschichte geht, ist es für die heterosexuellen Frauen natürlich schöner, wenn - zum Beispiel aus der Ich-Erzählungs-Perspektive - die Liebesgeschichte mit einem Mann beschrieben wird. Weil Männer sich natürlich ein bisschen anders verhalten als Frauen. Was zum Beispiel das Flirten angeht. Was auch das Auf-die-Frau-Zugehen angeht. Genauso werden wahrscheinlich lesbische Frauen lieber eine Liebesgeschichte mit zwei Frauen lesen. Weil da natürlich schon Unterschiede bestehen. Es ist zwar eigentlich egal, in wen man sich verliebt, aber es gibt schon Unterschiede zwischen Männern und Frauen. ( Mirjam Müntefering lacht.)
So!: Sie setzen sich für die völlige Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ein. Wieviel gibt es da noch zu tun?
Müntefering: Jetzt muss ich aufpassen, dass ich da nicht ins Fettnäpfchen trete, weil ja aktuell gerade das Steuerrecht, also konkret die Erbschaftssteuer, angeglichen wurde. Bis jetzt ist es so, dass das Erbrecht von Ehen und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zwar angeglichen war, die Erbschaftssteuer aber nicht. Beim Tod eines heterosexuellen Ehepartners gab es einen Steuerfreibetrag von 305.000 Euro. Darauf mussten keine Steuern bezahlt werden. Wenn zum Beispiel ein Haus da war oder so, dann wurde das auf den Ehepartner umgeschrieben und musste bis zu dem Betrag nicht versteuert werden. Bei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften wurden die Partner eigentlich behandelt wie Fremde. Wenn ich jetzt sagen würde, Sie persönlich sollen meine Haupt-Erbin werden und ich würde Sie in mein Testament eintragen lassen und dann versterben, dann würden Sie einen Steuerfreibetrag von 5200 Euro bekommen. Ich habe natürlich meine Lebenspartnerin im Testament als Haupt-Erbin eingetragen. Aber wenn ich jetzt sterben würde, wäre das bei ihr genau das Gleiche: 5200 Euro Freibetrag. Wir würden vor dem Gesetz, was das Erbschaftssteuerrecht angeht, wie Fremde behandelt. Und gegen solche Ungleichbehandlungen habe ich immer gemeckert. Das ist eine Sache ... das geht nicht. Das darf so nicht bleiben. Ich bin sehr froh, dass sich das jetzt zum 1. Januar 2009 ändern soll. Dann steigt die Steuerfreigrenze bei gleichgeschlechtlichen Partnern auf 500.000 Euro - und liegt damit genauso hoch wie bei Ehefrau und Ehemann. Gut, dass das nun endlich so in die Wege geleitet wurde, wie das eigentlich sein muss.
So!: Zu Ihrem Coming-Out. Ihren Eltern haben Sie einen Brief geschrieben 1989…
Müntefering: Genau.
So!: ... und die haben sehr gut darauf reagiert.
Müntefering: Ja, genau.
So!: Das öffentliche Coming-Out, das war 1999, das hat aber mehr Wirbel ausgelöst.
Müntefering: Ja, klar. Das war ja begleitet von Presse und Fernsehauftritten und so. Einfach wegen meines Vaters. Der war damals Minister. Ich weiß gar nicht.. im Buch steht’s richtig ...
So!: Bundesverkehrsminister.
Müntefering: Ah ja. Wenn’s da so steht. Also da hat das natürlich dann schon ein bisschen Wirbel ausgelöst. Aber wir haben das ganz gut hinbekommen, weil ich doch sehr offen war, gerade der Regenbogenpresse gegenüber, die ja immer diejenige ist, die einem dann in den Rücken fällt. Aber die haben damals eigentlich sehr positiv Bericht erstattet. Dadurch war das für mich also nicht schlimm. Zwar aufregend, aber nicht schlimm.
So!: Und überraschend, wahrscheinlich?
Müntefering: Im ersten Augenblick schon. Weil ich einfach nicht damit gerechnet hatte, mit dem großen Interesse. Und dann habe ich gedacht: Okay, wenn ihr das jetzt alle wissen wollt, dann erzähle ich euch das jetzt. Und vielleicht ist es ja auch gut für mein – damals erstes – Buch.
So!: Haben Ihnen Ihre Eltern immer viel Freiheit gelassen bei Ihren Entscheidungen?
Müntefering: Ja, das muss ich schon sagen. Ich konnte eigentlich schon immer bestimmen, in welche Richtung mein Leben läuft.
So!: Warum nervt Sie die Frage nach dem Verhältnis zu Ihrem Vater so sehr?
Müntefering: Sagen wir mal so: Die Gewichtung stimmt häufig nicht. Es würde mich vielleicht nicht so nerven, wenn es mal nur eine Frage unter vielen wäre, wie bei Ihnen. Aber häufig ist die Gewichtung schon ganz deutlich. Ich weiß natürlich inzwischen auch – dadurch, dass ich ja selber eine journalistische Ausbildung habe – dass man erst über ganz viele andere schöne Sachen reden muss, bevor man sich den wunden Punkt des Gesprächspartners vornimmt, von dem man weiß. Wenn man dann den Interviewpartner entsprechend weichgeklopft hat, dann fragt man eben mal da nach. Dann kommt auch eine Antwort. Was ich davon später in dem Artikel dann heraushebe, ist natürlich etwas ganz anderes. Da steht dann natürlich diese Sache mit dem prominenten Elternteil im Vordergrund, weil es einfach die Leser besonders interessiert. Das macht mich unheimlich grantig. Weil ich denke, dass ich schon so viel erreicht habe. Ich habe eine eigene Firma aufgebaut, die unheimlich gut läuft, die auch sehr gewachsen ist in den letzten Jahren. Ich schreibe gerade am zwanzigsten Buch, ich habe also bereits viele Bücher veröffentlicht und Artikel geschrieben. Also irgendwann muss es mal damit gut sein, dass man immer nach den Eltern gefragt wird. Wenn man bald 40 wird, dann sollte damit doch irgendwann mal Schluss sein. Deswegen habe ich ja auch in "Tochter und viel mehr" geschrieben, das ich versuchen werde, immer ein Exemplar davon dabei zu haben. Wenn das nächste Buch rauskommt und es kommen dann wieder nur Fragen zum Vater, dann sage ich: Hier, das können Sie lesen, da steht alles drin, was ich zu meinem Vater sagen möchte. Und jetzt sprechen wir nur noch über mein neues Buch.
So!: Darf ich trotzdem noch was fragen?
Müntefering: Ja.
So!: Beobachten Sie die politische Arbeit Ihres Vaters?
Müntefering: Ja. Na klar.
So!: Und wie beurteilen Sie die?
Müntefering: Ja, da ist jetzt schwer zu beantworten. Ich sage natürlich nicht generell: Alles, was mein Papa macht, ist toll. Oder kritisiere ihn in allem. Da muss man sich wirklich dann einzelne Sachen angucken, zu denen ich dann meine Meinung habe. Die verrate ich dann aber nicht in der Öffentlichkeit.
So!: Hätten Sie gedacht, dass er – nach seinem zeitweisen Rückzug aus der aktiven Politik – noch mal ganz an die Spitze der SPD aufsteigen wird?
Müntefering: Ja. Ja, doch. Das war mir schon klar.
So!: Sie hätten auch nicht für ihn gewünscht, dass er jetzt mal eine ruhigere Lebensphase findet?
Müntefering: Na ja, er liebt halt die Arbeit und geht auch voll darin auf. Er ist wirklich ein Vollblut-Politiker, der das gerne macht, der Spaß daran hat. Den geißelt also die Arbeit nicht, sondern der macht das wirklich gerne. Und von daher denke ich, er soll einfach machen, was ihm gut tut, gerade auch nach dem Tod seiner Frau. Ich finde das gut, was er macht und wie er jetzt damit umgeht.
So!: Themawechsel zum Thema Hunde.
Müntefering: Ich muss aber sagen, ich habe nicht mehr sehr viel Zeit. Ich muss nämlich noch ganz schnell mit einem meiner Hunde in den Wald. Und auch noch ein paar Sachen erledigen, damit ich hier endlich aufbrechen kann.
So!: Okay, nur ganz kurz: Sie berichten von einer fast meditativen Wirkung, die Tiere auf Sie haben. Besonders die Arbeit mit Ihren Hunden hilft Ihnen, das ewige Grübeln, Rasen und Hetzen zu vergessen...
Müntefering: Ja. Genau.
So!: Also sind die Hunde ganz wichtig in Ihrem Leben?
Müntefering: Ja. Das sind für mich Familienmitglieder. Manche sagen, sie wären für mich wie ein Kind-Ersatz. Und das kann man schon sagen. Unsere Hunde sind schon für meine Freundin und mich wie Kinder. Dass darf man jetzt aber nicht so falsch verstehen, dass man sagt, wir betütteln die derart und füttern sie mit Pralinen oder keine Ahnung was. Sondern für uns sind es Familienmitglieder, um die man sich kümmern muss, für die man Verantwortung trägt, die einem sehr viel zurückgeben an Lebensfreude und auch Zärtlichkeit. Aber wir sehen natürlich auch immer, dass das Hunde sind, die auch hundige Bedürfnisse haben. Jetzt muss ich zum Beispiel in den Wald gehen und mit dem einen Hund arbeiten, der andere liegt hier krank. Man muss also wirklich gucken, was die Bedürfnisse eines Hundes sind. Jedenfalls sind es nicht die Bedürfnisse eines Kindes.
So!: Wo liegen denn die Hauptprobleme im Zusammenleben zwischen Mensch und Hund?
Müntefering: Bei uns gibt es jetzt keine Probleme. Was ich aber in der Hundeschule sehe, ist, dass viele Menschen nicht konsequent genug sind. Dass sie also ihrem Hund zu wenig Führung bieten. Hunde brauchen genauso Regeln und Grenzen wie Kinder. Man muss ihnen einfach sagen, wie sie sich zu verhalten haben, damit sie das nicht selber ausprobieren.
So!: Sie haben als Autorin und Besitzerin einer Hundeschule ihre beiden Hobbys zum Beruf gemacht. Kann man das gut vereinbaren?
Müntefering: Die beiden Berufe? Ja. Aber das Problem, das ich massiv habe, ist die begrenzte Zeit. Dadurch, dass ich meine Hobbys zum Beruf gemacht habe, gibt es gleichzeitig auch einen großen Anteil meiner Freizeit, der in diese Berufe einfließt. Das ist oft ein bisschen anstrengend. Die Berufe untereinander ergänzen sich aber toll, weil der eine so diese selbstgewählte Einsamkeit beim Schreiben ist, wo ich dann auch wirklich niemanden da haben will – also außer den Hunden, die liegen natürlich immer so um mich rum, aber halt keinen Menschen. Und die Arbeit in der Hundeschule ist natürlich in erster Linie die Arbeit mit den Menschen. Weil wir eher eine Schule sind für Menschen mit Hund. Die Arbeit mit den Hunden selber steht weniger im Vordergrund. Viel mehr dagegen die Arbeit mit den Menschen, die wir quasi dahin bringen wollen, dass sie ihren Hund selber erziehen können. Ja, diese beiden Sachen bringen sich natürlich sehr schön ins Gleichgewicht, so dass ich mich also innerlich schon sehr ausgeglichen fühle.
So!: Sucht man eigentlich überall, wo Sie hinkommen, Ihren Rat zum Thema Hunde?
Müntefering: Ja, doch, das kann man sagen. (Mirjam Müntefering lacht.) Das habe ich auch öfter mal auf Lesungen, dass dann Menschen im Publikum sitzen und nach der Lesung sich melden und sagen: „Jetzt habe ich noch eine Frage: Mein Hund, der macht immer....“ (Mirjam Müntefering lacht.) Ich betone dann immer, dass es für mich unheimlich schwer ist, in Kürze etwas zu einem konkreten Fall zu sagen. Wozu ich immer nur raten kann ist, sich in der eigenen Umgebung eine gute Hundetrainerin oder einen guten Hundetrainer zu suchen, die dann einen Hausbesuch machen, das Verhalten des Hundes angucken, also das, was in den Augen des Hundebesitzers problematisch ist oder unerwünscht. In der Regel ist es wirklich so, dass der Mensch manchmal nur kleine Nuancen falsch macht, auf die der Hund dann entsprechend reagiert. Und darauf müssen wir als Hundebesitzer sensibilisiert werden. Wir müssen erst mal lernen, wie ein Hund zu denken. Und dann erklärt sich auch vieles, warum der Hund in manchen Situationen so reagiert, wie wir es eigentlich gar nicht haben möchten. Dann muss ich als Mensch mich erst mal ändern, muss mich anders verhalten, dann kann mein Hund sich auch ändern. Man muss für das Tier also quasi die Geleise verlegen. Es ist ganz wichtig, dass man da viel an Mühe, an Zeit investiert - und natürlich auch an Geld, wenn man sich vielleicht wirklich jemanden nach Hause holt, der darauf guckt. Dann nimmt man erstmal drei, vier Trainingsstunden, während der man wirklich an diesem Problem arbeitet. Das kann ich nur empfehlen.

Interview: Andrea Herdegen