Uns nährt die Hoffnung, sagt der Dichter. Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt das Sprichwort.

"Esperanza" heißt Hoffnung. Esperanza hat Geena den Bauernhof in den Schweizer Alpen genannt, wo Mädchen von der Straße eine Chance bekommen, "die allerletzte": eine Art Arche in den Felsen, hart an der Baumgrenze. Auch Geena setzt Grenzen: Die Mädchen in ihrer Obhut sollen lernen, in Gemeinschaft ihr Leben planmäßig zu bestreiten. "Regel Nummer eins: keine Gewalt."

Gewalt aber, solche schlimmster Art, hat Anna erlebt. Auf dem Hof Esperanza begegnet Anna - Anke Retzlaff, imponierend undurchdringlich und verwüstet - der Möglichkeit einer geschützten Zukunft in Eigenverantwortung. Und sie begegnet ihrer Vergangenheit. Eine Puppe, die unverhofft auftaucht, gibt den Schlüssel zu ihr.

In garstigen, grauen Erinnerungsbildern schließt Regisseur Sebastian Kutzli sie auf, sehr allmählich und nicht sehr weit. "Puppe" will keine Täter und Opfer enthüllen, sondern ein kampfbereites, aber verletztes Jugendleben auf den felsharten Grund des Daseins stellen, ohne dass es vollends strauchelt. An Szenen des Aufruhrs, sogar der Zerstörungswut lassen es der Regisseur und seine Autorin Marie Amsler nicht fehlen. Doch ohne Sozialpädagogen-Salbaderei - gleichwohl wahrlich nicht widerstandslos - darf sich in der deutsch-schweizerischen Koproduktion die illusionslose Besonnenheit der Mentorin Geena (Corinna Harfouch) durchsetzen. "Ich mach an jedem Tag einfach was Vernünftiges." Schließlich gelingt der rauen Anna der entscheidende Schritt, der allerletzte: auf die Frage "Vertraust du mir?" "Ja" zu sagen.

Nadja, schön und glatt wie eine Puppe, verliert das Vertrauen. Die Kunststudentin verliebt sich in Dima, der gerade aus dem Jugendknast kommt und sein Leben ändern will. "So richtig zu Hause fühl ich mich nirgends", sagt er: Mit den Eltern soll er nach Russland zurückkehren, würde aber viel lieber in Deutschland studieren. Als Nadja ihren Professor brutal ermordet auffindet, hat sie Gründe, Dima für einen der Täter zu halten. Dabei entkommt er selbst nur mit knapper Not den einstigen russischen Spießgesellen. Nemez nennen sie ihn: Deutscher. Wie soll er wissen, wohin er gehört?

"Einen Film von Russlanddeutschen über Russlanddeutsche" wollte Stanislav Günter mit "Nemez" drehen. Dazu fand der in Tscheljabinsk geborene Regisseur mit Mark Filatov einen minimalistisch agierenden, einnehmend präsenten Hauptdarsteller. Ein wenig zu beherrscht trägt er in sich die Spannungen zwischen alter Heimat und neuer Liebe, den Komplizen von gestern und der Aussicht auf einen Neuanfang aus. Ob der gelingt, lässt das Schlussbild offen: Blutend schläft Dima neben der schlafenden Freundin. Nadja heißt das Mädchen; und nadja, auf Russisch, heißt Hoffnung. Michael Thumser

-----

Puppe: Sonntag, Regina, 11.30 Uhr.

Nemez: Sonntag, Cinema, 21.45 Uhr.