49. Hofer Filmtage Mütter, die ihr Kind verlieren

Von Michael Thumser
Verzweifelte Fahndung in Athen: Tessa, das Frankfurter Luxusweibchen (Jördis Triebel), will ihr verschwundenes Baby wiederhaben. Foto: PR

Mit "Ein Atem" starten heute die 49. Hofer Filmtage. Christian Zübert führt eine Deutsche und eine Griechin an einen gemeinsamen Wendepunkt ihrer unterschiedlichen Leben.

 
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Hof - Ein Laptop atmet nicht. Das Leben passt in keine Tabelle aus dem Laserdrucker. Wo wäre in den Spalten und Zeilen voller kalkulierbarer Fakten Platz für das Unberechenbare? "Hier hängt eine Excel-Tabelle mit unserem Tagesablauf", teilt die gehetzte Tessa ihrem neuen Kindermädchen mit, als sie Elena durch ihre Frankfurter Luxuswohnung und in die Küche führt. Später, nachdem in der anstrengenden Ehe von Tessa und Jan die Fetzen geflogen sind, besänftigt er sie mit einer rechnergestützten Auflistung der Freuden, die sie sich "vor Lotte", ihrem Baby, gönnten: "Sex öfter als ein Mal im Monat ..."

Griechenland, chronisch kriselnd, sprengt alle Excel-Kalkulationen. Elena verließ ihre Heimat, um sich in Deutschland über Wasser zu halten. "Wir sind in dem Alter, wo was passieren müsste", sagte sie in Athen zu ihrem Macho-Lover Costas, aber der mochte nicht mit ihr fort. "Passiert" ist schon was: Elena ist schwanger. In Frankfurt denkt sie an Abtreibung: Während sie das Kind fremder Eltern hütet, will sie ihr eigenes "wegmachen lassen". Später behält sie's dann doch; notfalls ohne Costas.

Zwei Arten von "existenziellen Problemen", wie Regisseur Christian Zübert sagt, stoßen in seinem neuen Film "Ein Atem" gegeneinander; mit ihm werden heute Abend die 49. Internationalen Hofer Filmtage eröffnet. "Luxusprobleme" wälzt die deutsche Karrierefrau, das gibt Tessa selbst zu. Gleichwohl muss sie erfahren, wie ähnlich sie der dienstbaren Migrantin Elena ist: Beider Freiheit und Zukunft stehen auf dem Spiel, beruflich dominiert der Stress, und die Partnerschaft zersetzt sich langsam. Sind Tessa und Jan mit Mitte dreißig denn schon in dem Alter, wo nichts mehr "passiert"? Herrisch tritt Jördis Triebel als überreiztes Luxusweibchen auf, rechthaberisch in ihrem stylish weißen, klinisch reinen Appartement. Anmaßend rüffelt sie Elena, deren lebensmutigem Temperament die schöne, verhalten leidenschaftliche Chara Mata Giannatou den Dämpfer duldsamer Langmut aufsetzt, wenigstens eine Zeit lang. Freilich offenbart Tessa unter der eruptiven Unbeherrschtheit die gleiche Verletzlich- und Hilflosigkeit wie ihre ausgebeutete Angestellte. Gemeinsam geraten sie mit ihrem Leben an denselben Wendepunkt ins Unkalkulierbare: Lotte, das Baby, verschwindet - entführt? Ermordet?

Zwei Mütter, in der Gefahr, ihr Kind zu verlieren. Beide tragen "Kämpfe mit ihrer Frauenrolle" aus, sagte der Grimmepreis-gekrönte Regisseur ("Hin und weg", "Dreiviertelmond") in einem Interview mit dem Bayerischen Fernsehen. Alltag und Beruf, Frau-Sein, Partner- und Mutterschaft - das können beide so wenig "unter einen Hut kriegen", wie Europa das mit dem akuten Flüchtlingsstrom und Griechenlands chronischer Not hinbekommt.

In Frankfurt, Athen und an einer griechischen Küste fängt die Kamera von Ngo The Chau scheinbar Alltagssituationen ein, viele aus der Hand gefilmt. Diskret konzentriert der Bildgestalter sich zugleich auf die Gesichter der Protagonistinnen. So führen er und Christian Züberts feine Dramaturgie einer stetig zunehmenden Spannung das Private und das Politische zusammen. Gemeinsamer Nenner ist die Krise: Bedrängnis, Unberechenbarkeit - Eskalation.

Recht modellhaft konstruierte der Regisseur als sein eigener Hauptautor die Ausgangssituation. Macht nichts: So lassen sich die folgenden Wirrsale und Kopflosigkeiten leichter nachvollziehen. Unnötig dürfen einem gelegentliche Übertreibungen wie Jans und Tessas tabellarischer Lust- und Tagesplan erscheinen. Bald aber - im Zeichen der Angst um Lotte, das vermisste Baby - zeichnet der Regisseur die Charaktere der Frauen immer genauer und konturiert immerhin strichweise, dennoch präsent die Wesenszüge der wenigen Nebenfiguren: so jene von Jan (Benjamin Sadler), der seine Frau, aber sehr auch sich selber liebt; oder die Gemütslage des resignierten, dabei nicht verbitterten Dolmetschers Tiberios (Akilas Karazisis).

Ein Darstellerfilm: Emotional forderte Christian Zübert das Ensemble extrem und förderte durch seine uneitle Regie durchweg großartige Schauspielkunst zutage. Nicht Griechenland und Deutschland, Luxus und Dürftigkeit, kontinentale und private Krisen interessierten ihn vorrangig, wie er im Fernsehen erläuterte. Vielmehr fasse er zu Beginn jedes neuen Filmprojekts vorrangig "die Menschen" ins Auge.

Der Welt erteilte er die Auskunft, neben "Leid, Verzweiflung und Depression" auch an "leichte, warmherzige Szenen" gedacht zu haben, "in denen man durchatmen, schmunzeln oder mit den Figuren das Leben genießen" könne. Indes muss sich, wer in "Ein Atem" nach solchen Momenten sucht, mit Andeutungen zufrieden geben. Umso mehr fesselt und beunruhigt, was Zübert von der unheilbaren Zwiespältigkeit der Gestalten erzählt. Auf einem gemeinsamen Nenner platziert er sie alle: Es ist immer ein Atem, den sie holen; und darin ist immer ein Rest vom Atem der anderen.

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Anspruch: **- Spannung: **- Humor: ---

Vorstellungen: Heute, Dienstag, 19.30 Uhr Central, 20 Scala; Mittwoch, 14.45 Regina; Sonntag, 15 Club.