49. Hofer Filmtage Leben heißt sich selbst erfinden

Von Michael Thumser
Peter Kurth und Lina Wendel im Autorenfilm "Herbert" von Thomas Stuber: Rückhaltlose Shauspielkunst. Foto: Internationale Hofer Filmtage

Ein imponierender Jahrgang: Zum 49. Mal bewähren sich die Hofer Filmtage als vielseitiges Schaufenster des aktuellen deutschsprachigen Kinos und Fernsehens.

 
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Hof - Vor acht Jahren war Maximilian Buck schon einmal in Hof. Während der Filmtage damals saß er im Publikum. "Heute", staunt er selbst, "stehe ich oben, vor der Leinwand, und stelle meinen eigenen Film vor." Das kann der Regisseur des tragikomischen Mundartkrimis "Trash Detective" noch gar nicht recht fassen. "Ein irres Gefühl ... einfach gestört." Bucks Einladung zum 49. Festival hat mit dem Filmemachen überhaupt zu tun: "Es ist verrückt. Aber irgendwie funktioniert's dann doch."

Maximilian Buck gehört zum deutschsprachigen Regienachwuchs, auf den Heinz Badewitz, Gründer und Leiter des Filmfests, sein Augenmerk seit je besonders legt. "Wir machen die Stars", bekundet Europas dienstältester Festivalchef stolz; das darf er auch sein angesichts der Riege bedeutender deutscher Filmemacher, denen er von Hof aus die ersten Schritte wies: Wenders und Herzog, Tykwer und Dörrie ...

Wird Maximilian Buck auch mal so? Ein "Star"? Auf Prophezeiungen muss sich bei der Besichtigung des deutschsprachigen Fernseh- und Kinofilm-Jahrgangs keiner einlassen. Aber Debütanten überzeugen mit Talentproben und Wiederholungstäter mit Musterstücken. Badewitz - der mit dem 49. Festival so beschäftigt ist, dass er fürs Jubiläum, die 50. Filmtage im kommenden Jahr, noch keine Pläne hat - zeigt Jahr für Jahr das Beste, was er finden konnte.

Dabei gab es die 49. Internationalen Hofer Filmtage gar nicht. Es gab Hunderte 49. Filmtage. Jeder Gast, der während der sechs Festivaltage bis zum Sonntag sein Eintrittskartenbündel ausreizte, zog seinen eigenen Längsschnitt durch die 125 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme. Kaum denkbar, dass sich auch nur zwei der Individual-Programme glichen. Allein 28 deutsche Langfilme führt der Katalog auf, ferner sechs Koproduktionen, überdies 31 Kurzfilme. Keiner kann das alles gesehen haben.

Apropos Kurzfilm; apropos Talentprobe. Vor die Kinoleinwand treten darf auch Igor Plischke. Jungenhaft wirkt er, als hätte er gerade das Abitur hinter sich. Indes weist sein Halbstünder "Die Verwandlung" den 30-Jährigen als kinematografischen Handwerksmeister und als so rasanten wie visionär vielschichtigen Erzähler aus. Gregor Samsa, wie in Franz Kafkas gleichnamiger Novelle, heißt sein junger Protagonist, der unterm Leistungsdruck in seinem Yuppie-Büro einstürzt; am Ende mutiert er zum nackten Embryo, zur Larve des kafkaschen Käfers, der am nächsten Morgen erwachen wird.

Wird man dem Regisseur abermals begegnen? In fünf Jahren, vielleicht, als einem "Star"? Die Erfahrung zeigt, dass man viele der Debütanten, die hoffnungsvoll ein Mal in Hof antraten, niemals wiedersah. Sie verschwanden mitsamt ihrem Talent. Die Gebräuche der Branche, die Kaufkriterien der Filmverleiher und Senderredakteure, denen Hof alljährlich eine Kontakt- und Handelsbörse bietet, ergründet der Außenstehende nicht. "Einfach gestört"? Noch steht für manchen Beitrag nicht fest, ob und wann er ins Kino findet.

Ein weiterer Kurzfilm; einer der unbestrittenen "Stars" von Hof hat ihn gedreht. Rosa von Praunheim fragt darin: "Flüchtlinge, zu viel!?" Denn um Politisches kümmert sich das Festival auch. Darauf verweist schon der Umstand, dass die Zahl der Dokumentationen über die Jahre stetig wuchs. Vielfach aus dem Bauch heraus beurteilt Heinz Badewitz, was ihm angeboten wird; aber die krisenhaften Zeitläufte behält er dabei im Auge.

Migrantenschicksale, die Zwangsverheiratung einer zehnjährigen Muslima, das Leid gemarterter Tiere in den Fleischfabriken: Mutig mutet er dem Festivalgast bittere Wahrheiten zu. Aber die erkennt er zugleich im Leben des Einzelnen, im Zusammensein von Paaren und Familien. Den einheimischen Regisseuren werfen manche Kritiker vor, sich weltblind hinter die vier Wände der Privatheit zurückzuziehen. Vielleicht darum nannte vor Kurzem Klaus Lemke - der 2001, 2007 und 2011 Gast der Filmtage war - das Filmland Deutschland den "Toplangweiler weltweit". Indes belegen Beispiele wie Plischkes "Verwandlung" , dass Gesellschaft beim Einzelnen anfängt. "Leben heißt sich selbst erfinden", schreibt Regisseur Nikolas Jürgens ("Zweite Hand") im Katalog.

Auf ein elend verendendes Individuum richtete Thomas Stuber die Kamera. "Herbert", schlicht wie sein einzelner, vereinzelnder Held, heißt sein Kinofilmdebüt, das dank der rückhaltlosen Schauspielkunst von Peter Kurth als ALS-krankem Ex-Boxer zum wohl imposantesten deutschen Beitrag wuchs. Noch heuer soll das Drama in den Lichtspielhäusern anlaufen. "Irgendwie funktioniert's dann doch."

Umso besser "funktioniert" das Hofer Festival, je breiter sich Inhalte und Formen entfalten. Den naiven Versuch Sebastian Petersons, in "Meier Müller Schmidt" eine Wohngemeinschaft durch den Teilchenbeschleuniger Berlin zu jagen, wiegt das Regie-Duo Hiebler & Ertl mit dem Rebellinnenporträt "Chucks" auf: Auch sie zeigen eine Coming-of-Age-Variation, aber eine der lebensvollen und zugleich todbewussten, mithin weit reiferen Art. Oder "Das Geständnis": Mit ihm feiert Bernd Michael Lade, virtuos stilisierend, die traditionsreichen Genres des Konversationsstücks und des Kammerspiels. Daran wird viel Freude haben, wer den geduldsfadenzerreißenden Minimalismus in Constantin Hatz' "Fuge" ablehnt. Man kann's indes anders sehen: Dem Regisseur wurde der Förderpreis Neues Deutsches Kino zuteil. "Es ist verrückt ..."

Einen neuen Preis gab's beim 49. Festival auch: An Manuela Bastian und "Where to, Miss?" - über eine junge Frau in Indien an den Grenzen ihrer Emanzipationsmöglichkeiten - ging der erste "Granit". Die Trophäe ist ein Kopf aus Stein. Dergleichen, sagt Heinz Badewitz, braucht jeder, der Filme macht.

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Die 50. Hofer Filmtage finden vom 25. bis zum 30. Oktober 2016 statt.

Fünf Beste

Fünf deutschsprachige Produktionen beeindruckten den Schreiber dieser Zeilen besonders:

1. Herbert (Regie: Thomas Stuber)

2. Gruber geht (Marie Kreutzer)

3. Ein Atem (Christian Zübert)

4. Chucks (Sabine Hiebler und Gerhard Ertl)

5. Das Geständnis (Bernd Michael Lade)

Auf DVD

Die Hofer Stadtbücherei am Wittelsbacher Park (Wörthstraße) hält auf DVDs etwa 500 Filme vor, die im Verlauf der vergangenen zwanzig Jahre bei den Internationalen Hofer Filmtagen zu sehen waren. Die Filme können bei Vorlage des Bibliotheksausweises gegen eine Gebühr von jeweils fünfzig Cent ausgeliehen werden.