An der Spitze der Wartenden

Wartet seit 0 Uhr: Heiko Schmidt ist ein alter Hase in der Kartenschlange. Heuer haben er und sein Kumpel Michael Weidhaas die vorderste Position vor dem Container ergattert. Mitten in der Nacht haben sie ihre Liegen, Schlafsäcke und Isomatten ausgebreitet und halten abwechselnd die Stellung. „Man könnte auch viel später kommen und würde trotzdem noch seine Wunschkarten erhalten – so krass wie früher ist das ja nicht mehr.“ Für die beiden ist das Campieren vor dem Kartenhäuschen aber zu einem Ritual geworden. „Das gehört für uns einfach zu den Filmtagen dazu.“ Die Zeit in der Schlange könne man außerdem dafür nutzen, um den Filmtage-Katalog ausführlich zu studieren.


Flüchtlingsthema auf der Leinwand

Wartet seit 4 Uhr: Auch Ute Korb, 41, hat mit Freunden Schichten für die Warteschlange gebildet. „Ansonsten würde es doch ein bisschen zu lange dauern und wäre auch nicht mit der Arbeit vereinbar.“ Die Hoferin verspricht sich in diesem Jahr viel von der Sondervorstellung „Hawar“. Die Doku erzählt von der Reise der Yezidin Düzen Tekkal zurück zu ihren Wurzeln in den Nordirak. Dort verübt die Terrormiliz des islamischen Staats unfassbare Gräueltaten. „Der Film hat einen sehr aktuellen Bezug“, sagt Ute Korb.


Heimkehren für Filme, Flair und Freunde

Wartet seit 7 Uhr: Wenn Andreas Hartmann, 35, einen neuen Job annimmt, klärt er eine Sache mit als erste: Urlaub in der Filmtage-Woche. „Das muss sein.“ Der gebürtige Hofer ist seit einigen Jahren beruflich bedingt in der Welt unterwegs: Er war schon in England, Neuseeland oder den USA. Für die Filmtage kommt er immer nach Hause. „Ein Mal bin ich erst am Sonntag angereist – das habe ich bereut“, sagt er lachend. Den 35-Jährigen begeistern nicht nur die Filme und das Flair, er kommt auch zu dem Festival, um alte Gesichter wiederzutreffen. „Wir sind eine kleine Clique von Filminteressierten. Man muss sich nicht einmal verabreden, sondern läuft sich in der Stadt einfach über den Weg.“ Die Begeisterung für Filme hat Hartmann von seiner Mutter Margrit geerbt. „Er war mit mir schon im Mutterleib auf dem Festival“, erzählt sie, als sie ihren Sohn in der Warteschlange ablöst.


Anstehen für schöne Dokumentationen

Wartet seit 10 Uhr: Karin Sell, 52, freut sich an den Filmtagen vor allem auf die Dokumentarfilme: „Das ist kein Mainstream, nichts aus Hollywood“, sagt sie, „und wo sieht man heutzutage schon mal noch eine schöne Doku.“ Deshalb freut es die Hoferin, dass in diesem Jahr zum ersten Mal ein Preis für den besten Dokumentarfilm verliehen wird. Damit Karin Sell auch zu all ihren Wunschfilmen eine Karte ergattert, stellt sie sich vier Stunden vor Eröffnung des Kartencontainers in die Schlange – trotz Kälte: „Wenn die Sonne scheinen würde, wäre das schöner, aber die Dokus sind mir das Warten wert.“