Bei den Krankenhausdaten müsse man auch bedenken, dass ein Teil der Patienten möglicherweise stattdessen ambulant behandelt worden sei, sagte Trümper. Daten aus der niedergelassenen Onkologie zeigten einen Rückgang der Behandlungen um etwa acht Prozent in der Haupt-Lockdownphase, danach seien die Zahlen schnell wieder angestiegen. Der in der Studie beobachtete Rückgang der Krankenhausaufnahmen könne zudem teils auch dadurch bedingt sein, dass zu der Zeit weniger Patienten während der Therapie zwischendurch nach Hause entlassen wurden.
Im vergangenen Frühjahr hatten Krankenhäuser sogenannte Freihaltepauschalen bekommen, damit genug Betten für Covid-19-Patienten zur Verfügung stehen. Diese Regelung gibt es nun nicht mehr. Vom Verschieben nicht dringlicher Eingriffe sind Krebspatienten nach Trümpers Einschätzung weniger betroffen - die klassische Darmkrebs- oder Brustkrebs-OP werde maximal um einige Tage verschoben. "Aber trotzdem ist es natürlich eine Belastung für die Patienten", sagte der Onkologe der Universitätsmedizin Göttingen. Er rief dazu auf, dass auch im aktuellen Lockdown Untersuchungen und Behandlungen wahrgenommen werden sollten.
Die Fachgesellschaft hatte bereits im Mai vergangenen Jahres betont, dass Vorsichts- und Schutzmaßnahmen getroffen worden seien, damit Patienten etwa Therapien sicher wahrnehmen können - und dass für die allermeisten Patienten der Krebs "eine weitaus größere Gefahr für ihr Leben" darstelle als Covid-19. Hintergrund war zum Beispiel die Beobachtung, dass Patienten erst in sehr fortgeschrittenen Tumorstadien in die Klinik kamen.
Experten warnten auch noch Ende 2020 vor der Vernachlässigung von Krebskranken. "Immer mehr onkologische Eingriffe werden verschoben, diagnostische Untersuchungen und Nachsorge teilweise stark zurückgefahren", kritisierte die Corona Task Force von Deutscher Krebshilfe (DKH), Deutschem Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Deutscher Krebsgesellschaft (DKG). Die Gruppe beobachtet die Versorgungssituation von Krebspatienten.
In anderen Ländern, deren Gesundheitssysteme derzeit sehr stark unter Druck stehen, wird die Sorge geteilt. Der britische Thronfolger Prinz Charles etwa warnte kürzlich, wegen der Corona-Pandemie im Kampf gegen die Folgen von Krebserkrankungen nachzulassen. Wegen der hohen Auslastung des Gesundheitswesens blieben schätzungsweise 50.000 Krebserkrankungen nun unerkannt, zitierte der 72 Jahre alte Royal den Verein Macmillan Cancer Support in einem Gastbeitrag im "Telegraph".
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