Die Missbrauchsvorwürfe gegen den früheren Bischof des Bistums Essen, Kardinal Franz Hengsbach, schlagen weiter hohe Wellen. Nachdem weitere Fälle bekannt geworden sind, berichtet sogar „Vatican News“ in einem ausführlichen Bericht darüber.
Neun Missbrauchsvorwürfe gegen den 1991 gestorbenen Bistumsgründer, Kardinal Franz Hengsbach, sind bisher bekannt. Das Bistum Essen hat jetzt eine große Studie in Auftrag gegeben, um die Vorwürfe aufzuarbeiten. Dabei geht es auch um die katholische Kirche insgesamt.
Die Missbrauchsvorwürfe gegen den früheren Bischof des Bistums Essen, Kardinal Franz Hengsbach, schlagen weiter hohe Wellen. Nachdem weitere Fälle bekannt geworden sind, berichtet sogar „Vatican News“ in einem ausführlichen Bericht darüber.
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Gegen Kardinal Franz Hengsbach (1910-1991) sind seit Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe gegen ihn im vergangenen Jahr sieben weitere Hinweise auf sexualisierte Gewalt bekanntgeworden. Das sagte der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer in einer Pressekonferenz am Montag (21. Oktober) in Essen. Die Vorwürfe sollen jetzt in einer großen wissenschaftlichen Studie untersucht werden.
Die an der Studie beteiligten Wissenschaftler appellierten an Menschen, die von sexualisierter Gewalt oder missbräuchlichem Verhalten Hengsbachs betroffen waren, sich zu melden. Aber auch Menschen, die positive Erfahrungen mit ihm gemacht hätten, seien aufgerufen, diese beizusteuern.
Die Erarbeitung der Studie soll drei Jahre dauern, in einem Jahr soll ein Zwischenergebnis vorgelegt werden. Die Kosten belaufen sich den Angaben zufolge auf etwa 785.000 Euro. Sie werden vom Bistum Essen und anderen katholischen Institutionen getragen.
Pfeffer sagte, Hengsbach sei bei seinem Tod zu einem „Ruhrgebietshelden“ stilisiert worden. „Deshalb halte ich eine solche Untersuchung für so enorm wichtig, um auch darauf aufmerksam zu machen, wohin es in der katholischen Kirchen führt, wenn wir ein so massiv überzogenes Amtsverständnis haben“, so Pfeffer.
Dabei gehe es nicht nur um die Person Hengsbach, sondern auch um die systemischen Hintergründe von Machtmissbrauch in der katholischen Kirche. „Fürs Bistum Essen ist uns sehr bewusst, dass wir uns da wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert haben“, betonte Pfeffer.
Im vergangenen Jahr hatte das Bistum Essen mitgeteilt, es bestehe der gravierende Verdacht, dass Hengsbach in seiner Zeit als Weihbischof in Paderborn in den 1950er Jahren eine 16-Jährige sexuell missbraucht habe. Außerdem beschuldigt eine Frau Hengsbach eines weiteren Übergriffs im Jahr 1967 in seiner Essener Zeit als Bischof.
Der Hamburger Historiker Thomas Großbölting erklärte, nach seinem Eindruck existierten in Deutschland nach wie vor zwei Erzählungen von der katholischen und evangelischen Kirche nebeneinander:
„Da haben wir auf der einen Seite die vielen Aufdeckungen im Rahmen von Missbrauchsstudien. Und auf der anderen Seite die übliche kirchenhistorische Erzählung als Orientierungspunkt in den 1940er Jahren nach dem Kriegsende, als große karitative diakonische Einrichtung, als das Gewissen der Bundesrepublik und so weiter und sofort. Und es wird eine Aufgabe sein, diese beiden Punkte, diese beiden Erzählweisen irgendwie miteinander zu verschränken.“
Die Biografie Hengsbachs sei dafür besonders geeignet, denn in ihr seien beide Aspekte enthalten. „Der Bruder Franz auf der einen Seite, der mit den Kumpels in den Schacht fährt, und der gleichzeitig aber auch genau durch diese Kontexte in die Lage versetzt wird, sexualisierte Gewalt auszuüben.“
Hengsbach hatte darüber hinaus viele weitere wichtige Rollen in der katholischen Kirche inne: Er war Militärbischof (1961-1978), Generalsekretär und -assistent im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK, 1947-1968) und Vorsitzender des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat.
Alle fünf Institutionen haben die Studie gemeinsam in Auftrag gegeben. Beauftragt wurden das Institut für Praxisforschung und Projektberatung in München und die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Beide waren schon an mehreren kirchlichen Missbrauchsstudien beteiligt.
Hengsbach war der Gründer des Ruhrbistums Essen und genoss weit über die Kirche hinaus hohes Ansehen. Er habe zeitlebens auf einem Sockel gestanden, hatte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, im vergangenen Jahr gesagt.
„Das sind Generationen von Menschen, die dort geprägt wurden und dann enttäuscht werden durch ein verbrecherisches Verhalten eines solchen Bischofs.“
Der sozialwissenschaftliche Teil der Studie wolle die aktuellen Meldungen im Bistum Essen und den Umgang der Bistumsverantwortlichen damit aufarbeiten, erläuterte die Soziologin Helga Dill. Es gehe aber auch darum, ob und inwieweit Hengsbach in seinen anderen Tätigkeitsfeldern Missbrauch oder Vertuschung nachgewiesen werden könne.
Der historische Teil wolle einen Beitrag zur Bewertung der Person Franz Hengsbach leisten, der über die Missbrauchsvorwürfe hinausgeht, so der Historiker David Rüschenschmidt. Leitfragen seien etwa, wie sich Hengsbach zu gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen positionierte, welches Priesterbild er hatte und wie er über Sexualmoral dachte. „Unsere Intention ist nicht nur die Produktion einer Skandalgeschichte.“ Vielmehr solle eine historische Biografie entstehen.
Die Forscher baten alle Menschen, die selbst sexualisierte Gewalt durch Hengsbach erlebt haben, sich bei ihnen zu melden. Auch an den Aussagen von Zeitzeugen, die den Geistlichen persönlich erlebt haben, seien sie interessiert.
Franz, Paul und der Onkel
Nach den Vorwürfen gegen Franz Hengsbach und seinen Bruder Paul, der jahrzehntelang als Pfarrer tätig war, waren im vergangenen Jahr Missbrauchsvorwürfe gegen einen dritten Priester aus der Familie Hengsbach bekannt geworden, wie der WDR berichtete. Ein Onkel des 1991 verstorbenen Ruhrbischofs soll demnach in den Jahren 1906 und 1907 als Kaplan in Sandebeck (heute ein Stadtteil von Steinheim im Kreis Höxter) übergriffig gegen Schulmädchen gewesen sein. Anschließend wurde er per Steckbrief gesucht, nachdem er nicht mehr auffindbar war. Er habe sich der staatsanwaltlichen Verfolgung 1908 durch Flucht in die USA entzogen, wie Hans-Jürgen Rade, Leiter des Kirchlichen Gerichts im Erzbistum Paderborn, im „Jahrbuch für mitteldeutsche Kirchen- und Ordensgeschichte“ berichtet. Das Buch erschien im Januar 2023. Im Jahr 1919 sei der Geistliche US-Staatsbürger geworden und als Pfarrer vor allem im Bundesstaat South Dakota tätig gewesen.