Aus Ballungsgebieten in den ländlichen Raum Verlagerung von Ämtern hat Licht und Schatten

Roland Losch
In deutschen Amtsstuben fällt viel Arbeit an. Damit sich die Beamten und Angestellten nicht alle in Ballungszentren konzentrieren, gibt es Behördenverlagerungen. Foto: Eckhard Stengel/Imago, Lino Mirgeler/dpa (Porträtfoto)

Bayerns Heimatstrategie sieht vor, Tausende Arbeitsplätze in Behörden aus Ballungsräumen in ländlichen Gebieten anzusiedeln. Forscher sehen die Ergebnisse dieser Maßnahmen kritisch.

 
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Behördenverlagerungen eignen sich nur bedingt, um die strukturschwachen Gebiete, in denen sie angesiedelt werden, zu beleben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Ifo-Instituts Dresden. Für Bayern haben die Wissenschaftler das Amt für Ländliche Entwicklung (ALE) in Tirschenreuth analysiert, das 2013 von Regensburg aus in die Nord-Oberpfalz verlegt wurde. Es markierte den Beginn einer groß angelegten Restrukturierung der öffentlichen Verwaltung. Seit 2015 verlagert Bayern im Rahmen seiner Heimatstrategie ausgewählte Ämter aus den Ballungszentren in den ländlichen Raum.

Dabei stellen die Studienautoren vor allem Probleme bei der Rekrutierung hochqualifizierter Beschäftigter fest. „Strukturschwache Regionen sind für ortsfremde Arbeitnehmer unattraktiv“, schreibt das Institut in seinen Forschungsergebnissen. „Im Wettbewerb um Arbeitskräfte verlieren diese Regionen daher gegen große Zentren.“ Ein weiterer negativer Faktor sei, dass Ehepartner der Behördenmitarbeiter nur schwer entsprechend qualifizierte Arbeitsstellen für sich selbst fänden.

Kommunal- und Landespolitiker aus der nördlichen Oberpfalz wollen die Erhebungen des Ifo-Instituts nicht unwidersprochen lassen. Der Tirschenreuther Bürgermeister Franz Stahl (CSU) und der Landtagsabgeordnete Tobias Reiß (CSU) sehen die Verlagerung des ALE Tirschenreuth als Erfolgsgeschichte. „Für Tirschenreuth und die gesamte Region ist das ALE ein Baustein im Mosaik einer atemberaubenden Aufwärtsentwicklung“, teilte Stahl der dpa mit. Das Amt habe die Kaufkraft und die Nachfrage beim örtlichen Handel und Dienstleistern gestärkt und sei eine Nachwuchskräfteschmiede für die Region.

Das Ifo-Institut stützt sich bei seinen Analysen auf Interviews mit Mitarbeitern der Ämter und Politiker. Die Wissenschaftler führen dabei für das ALE in Tirschenreuth unter anderem an, dass auch neun Jahre nach dem Umzug der Behörde nach Tirschenreuth noch teilweise Beschäftigte in Nachbargemeinden Regensburgs lebten und Pendelzeiten von mehr als einer Stunde für die einfache Strecke auf sich nähmen. „In den Interviews wurden als Gründe hierfür familiäre Bindungen und wenige verbleibende Jahre bis zum Renteneintritt genannt“, schreiben die Studienautoren. „In diesem Fall bleiben die erhofften wirtschaftlichen Impulse in den Zielregionen aus“, stellten die Forscher fest.

Gleichzeitig war mit der Verlagerung auch ein großer Personalumbau verbunden, wie es weiter heißt. Etwa die Hälfte der insgesamt 135 Mitarbeiter verließen die Behörde demnach. Um das zu kompensieren, wurde bereits vor Verlagerung verstärkt nach Mitarbeitern für das ALE aus dem Raum Tirschenreuth gesucht. Diese pendelten im Gegenzug bis zur endgültigen Verlagerung nach Regensburg.

Der bayerische Heimatminister Albert Füracker (CSU) betonte: „Die positive Wirkung lässt sich nicht allein in Zahlen bemessen: Zukunftsfähige, heimatnahe Arbeitsplätze bieten Sicherheit, schaffen Zufriedenheit und Perspektive. Sie erleichtern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, entlasten Ballungszentren, stärken und beleben die Wirtschaft ländlicher Regionen und ermöglichen jungen Menschen, ihr Leben nach den eigenen Wünschen zu gestalten.“

Schon jetzt zeigten die Behördenverlagerungen zusammen mit anderen Maßnahmen Wirkung: „Es zeigt sich eine positive Bevölkerungsentwicklung im ländlichen Raum, der Abwanderungstrend wurde gestoppt“, sagte Füracker. Auch Bauminister Christian Bernreiter (CSU) sagte, seine Erfahrungen mit Behördenverlagerungen in den ländlichen Raum seien durchweg positiv. Viele Menschen müssten vom Land in die Ballungsgebiete pendeln. „Wenn diese in ihrer Heimat im ländlichen Raum interessante Alternativen haben, entlasten wir damit auch den Verkehr und die Wohnungssituation in den Städten.“

Wie aus einer Auflistung des Heimatministeriums zur vergangenen Runde der Behördenverlagerungen hervorgeht, wurden durch diese Maßnahmen allein bis 2018 im nordbayerischen Raum knapp 600 Millionen Euro investiert. Oberfranken hat hierbei, was die absolute Zahl der neuen Beschäftigten in der Region angeht, bayernweit am meisten vom Kuchen abbekommen.

918 neue Stellen wurden hierbei bei einer ersten Stufe entweder bereits verlagert, darunter 418 Beamte und Tarifbeschäftigte – auch das bayernweiter Spitzenwert – und 500 Studienplätze, oder werden noch verlagert. Viele Behörden haben bereits ihre Zelte in Oberfranken aufgeschlagen, manche, wie etwa die in Planung befindliche Justizvollzugsanstalt in Marktredwitz mit angepeilten 186 Beschäftigten, lassen jedoch noch auf sich warten.

In einer zweiten Stufe sollen bis 2030 nochmals 770 neue Stellen – darunter 370 Beamte und Tarifbeschäftigte und 400 Studienplätze – nach Oberfranken kommen.

„Soll eine Behördenansiedlung erfolgreich sein, muss man die ‚weichen’ Standortfaktoren verbessern“, sagt Professor Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter der Ifo-Niederlassung Dresden Ragnitz. Dazu gehörten Beschäftigungsmöglichkeiten für Familienangehörige, eine gute Verkehrs- und Breitband-Anbindung, gute Bildungseinrichtungen, vielfältige Freizeitmöglichkeiten und ein passendes Wohnungsangebot.

Bereits verlagerte Stellen und geplante Verlagerungen

Landkreis Wunsiedel:

Servicezentrum Bayern Server  (Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung): 25 Beschäftigte

Kompetenzzentrum Förderprogramme (Landesanstalt für Landwirtschaft):  60 Beschäftigte

Justizvollzugsanstalt: 186 Beschäftigte (inklusive Ausbau  JVA  Bamberg)

Bayern Lab –  Regionales IT-Zentrum:  fünf Beschäftigte 

Landkreis Kronach:

Hochschule für den öffentlichen Dienst, Fachbereich Finanzwesen: 15 Beschäftigte, 200 Studenten; bis 2030 zusätzliche 400 Studienplätze  von Herrsching nach Kronach, zuzüglich Lehr- und Unterstützungspersonal (knapp 70 Beschäftigte) 

Stadt und Landkreis Hof:

Grünes Zentrum Münchberg:  15 Beschäftigte

Zentrum Staatsbäder  Bad Steben: vier Beschäftigte

Geodaten-Gewinnung Bayern (Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung):    20 Beschäftigte

Bayerisches Naturflächenmanagement, Gesteinssammlung (Landesamt für Umwelt):   15 Beschäftigte

Förderstützpunkt LfA Förderbank Bayern: zehn  Beschäftigte

Sicherheitsschwerpunkt mit Neugründung eines Logistikzentrums Polizei Bayern: 300 Beschäftigte  

Landkreis Kulmbach:

Kompetenzzentrum Strahlenschutz (Landesamt für Umwelt): 15 Beschäftigte

Kompetenzzentrum für Ernährung (Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft):  20 Beschäftigte 

Landkreis Bayreuth:

Hochschule für den öffentlichen Dienst, Fachbereich Rechtspflege:  28 Beschäftigte, 300 Studenten  CM

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