Besuch eines Auswanderers Mit der Bibel in die alte Heimat

Christl Schemm
Aus dem Jahr 1742 stammt die Familien-Bibel, die Oskar Döbereiner (Mitte) nun Peter Keilberth (rechts) übergeben hat. Er ist der Sohn eines Cousins von Oskar Döbereiner und will für den Folianten einen Ehrenplatz in seinem Haus im Marktredwitzer Stadtteil Dörflas finden. Mit im Bild ist Bürgermeister Stefan Göcking, der dem Arzberg-Auswanderer den Wunsch nach einem Rundgang im Rathaus seiner Heimatstadt gerne erfüllte. Foto: Christl Schemm

Vor 65 Jahren wanderte Oskar Döbereiner aus. Oft ist er seither in seine Geburtsstadt Arzberg zurückgekehrt. Diesmal hat er ein ganz besonderes Mitbringsel dabei.

 
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Arzberg „Öitza siahri amal in natura, wos ich sinst jeden Fröih aaf mein Computer oaschau.“ Oskar Döbereiner steht im Sitzungssaal des Arzberger Rathauses und schaut hinauf zum Kirchberg. Es ist genau der Blick, den die Webcam der Stadtverwaltung erfasst und hinaus in alle Welt sendet. Auch in Lenoir im US-Bundesstaat North Carolina kann Oskar Döbereiner das Panorama via Internet abrufen. Er tut dies jeden Morgen unmittelbar nach dem Aufstehen und genießt den Ausblick auf den markantesten Punkt seiner Heimatstadt mit der Maria-Magdalena-Kirche, dem Pulverturm und der Benckendorff’schen Gruft. „In der Kirchn bini taaft und konfamiert worn“, sagt er in astreinem Arzberger Dialekt.

Als 20-Jähriger nach Kanada

Den hat er sein Leben lang nicht vergessen oder gar verleugnet. „Ich bin a Arzbercher und bleib a Arzbercher“, betont der Auswanderer, der am 1. April 1957 als 20-Jähriger seine Heimatstadt zunächst Richtung Kanada verlassen und sich später mit seiner Familie in den USA angesiedelt hat. Obwohl sein Wohnort Lenoir in traumhafter Landschaft nahe den Blue Ridge Mountains, einem Gebirgszug der Appalachen, liegt, zieht es ihn und seine Frau Ingrid immer wieder zurück nach Arzberg – in der Zeit vor Corona fast jedes Jahr. Kürzlich hat er hier seinen 85. Geburtstag gefeiert. Im Kreise von Verwandten und Freunden.

Bei diesem Besuch hatte er ein besonderes Mitbringsel im Gepäck: eine große Luther-Bibel, die 1742 gedruckt wurde und auf deren erster Seite seit 1759 handschriftliche Notizen von Vorbesitzern zu lesen sind. Den Folianten hat Oskar Döbereiner nun Peter Keilberth, dem Sohn eines Cousins, übergeben. So soll der Schatz in der Verwandtschaft bleiben. Denn die Bibel stammt aus der Familie von Döbereiners Mutter, einer geborenen Keilberth, die das schwere und dicke Buch wiederum von ihrer Großmutter geerbt hatte. In den Besitz Döbereiners gelangte die Bibel vor ungefähr 50 Jahren über seine Tante und Patin Lisa Keilberth, die nach dem Krieg Oberschwester im Arzberger Krankenhaus war.

Aufgewachsen im Café

Dort wurde Oskar Döbereiner auch geboren. „Aafgwachsn bini im Café Döbereiner, im vorletztn Haus vor Schlonhuaf“ – Schlottenhof, damals noch ein eigenständiger Ort. Das Café habe sein Großvater geführt, berichtet er in einem langen Gespräch mit der Frankenpost. Über die Keilberth-Seite seiner Familie hat der Rentner auch enge Beziehungen zu einem weiteren besonderen Haus in Arzberg: dem Geburtshaus Max von Bauernfeinds in der Egerstraße, das kürzlich abgerissen wurde. Dort hätten die Keilberths ein Uhren- und Schmuck-Geschäft betrieben und später eine Tante eine Schneiderei. „Ich bin amal in die Keller vo dean Haus imarananakrawlt, waali wissen wollt, waou’s daou higäiht, bin ower niat weit kumma“, erinnert sich der 85-Jährige mit einem Schmunzeln.

Neustart mit 100 Dollar

Nach Kanada habe ihn vor 65 Jahren die pure Abenteuerlust gezogen, gesteht er und zitiert aus Schillers „Lied von der Glocke“: „Die Jahre fliehen pfeilgeschwind. Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe. Er stürmt ins Leben wild hinaus, durchmisst die Welt am Wanderstabe.“

Sein Wanderstab sei jetzt der Gehstock, meint der Senior selbstironisch, während er weiter über seine jungen Jahre berichtet. „Damals war’s einfach, naou Kanada aaszuwandern.“ Deswegen habe er sich für die Überfahrt von Bremerhaven nach Quebec entschieden. Von dort aus ging es weiter nach Toronto.

Ganze 100 Dollar habe er in der Tasche gehabt und 20 davon bereits bei der zehntägigen Seereise verbraucht. Da er Elektromechaniker und technischer Zeichner gewesen sei, habe er zwar schnell Arbeit gefunden, trotzdem nicht viel verdient und mit vielen anderen deutschen Auswanderern in einem Boarding-House gewohnt.

Besuch bei Geflüchteten

Mit ihnen zusammen machte er auch die ersten Gehversuche in der englischen Sprache, bei einem Kurs, den die Kirche anbot. „Ohne Sprache ist man verloren“, sagt Döbereiner. Er kann daher gut die Situation geflüchteter Menschen nachvollziehen, die heutzutage auch in Arzberg Schutz suchen. Besuche bei den afghanischen Ortskräften und anderen Geflüchteten in der Gemeinschaftsunterkunft waren ihm daher bei seinem jetzigen Besuch eine Herzensangelegenheit.

Der Ruf einer Firma, die in Boston Kaffeebecher produzierte, bescherte Oskar Döbereiner das Visum für die USA. Mehrere Jobs habe er gehabt, sagt er, bis er schließlich 22 Jahre lang für die Firma Bernhardt in der ganzen Welt Möbel verkauft habe. Bis zum Renteneintritt 1999 sei er sehr viel gereist, in arabische und europäische Länder sowie nach Südamerika.

Am heutigen Donnerstag fliegt der Alt-Arzberger zurück in seine zweite Heimat. Auch seine letzte Reise werde wieder über den Ozean führen – zurück nach Arzberg auf den Kirchberg. „In einer Urne“, wie er ohne jede Sentimentalität ankündigt. „Des is alles scha aasgmacht. Aaf mein Gro(b)stoa mou ma Nama mit K stäih, also Oskar und niat Oscar, wöi’s mein Nama in Amerika schrei(b)m.“

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