„Sticky Fingers“-Festival Ein vollauf gelungener Neustart

und Marcel Kliemann , aktualisiert am 07.08.2022 - 16:53 Uhr

Die Mischung macht’s: Junge und Alte. Oberfranken, Tschechen und Vogtländer. Regionales und Internationales. Regen und Sonne. Das „Sticky Fingers“-Festival des Jahrgangs 2022 auf dem Weidersberg in Brand wurde ein voller Erfolg.

 
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Leopold, 10, dürfte sich fast etwas ärgern, dass bereits Ferien sind. Wäre er doch heute in seiner Schule der Star. Wer kann denn schon von sich behaupten, in diesem Alter den Crowd Surfer gegeben zu haben. Seine Eltern waren auch etwas beunruhigt, als am Festival-Freitag ZSK-Sänger Joshi den Bub auf die Bühne holte und ins Rennen zum Mischpult und zurück schickte. Selbstverständlich ging alles gut aus. Joshi und seine Mannen von der Kreuzberger Skatepunk-Band waren an dem Abend ohnehin in bester Spiellaune. Der Frontmann brachte es auf den Punkt, als er dem Veranstalter huldigte: „Die Jungs vom ,Sticky Fingers‘ sind richtig gute Leute mit Herzblut für die Region. Wir stehen auf sowas!“

Knapp 2500 Besucher

Offenbar stehen darauf auch geschätzte knapp 2500 Leute aus dem Fichtelgebirge und der Umgebung: Die feierten, als ob es kein Morgen gäbe. Kein Wunder, spielten doch allein zwei der besten Hardcore-Bands der Welt in dieser Festival-Auflage auf dem Weidersberg. Sick of it all aus New York City am Freitag und Ignite aus Orange County, Kalifornien am Samstag. Beide Combos machten Veränderungen durch. Sick of it all spielten erstmals seit Ewigkeiten ohne ihren Gitarrist Pete Koller, der sich justament an diesem Tag, seinem Geburtstag, einer Operation unterziehen musste, wie sein Bruder und Sänger Lou Koller dem Publikum mitteilte. Pete wurde bravourös durch Craig Silverman (Agnostic Front) ersetzt. Die Band, die Headliner am Freitag war, holte aus dem Publikum das Letzte an Reserven raus. Und Ignite treten seit einiger Zeit mit dem neuen Sänger Eli Santana auf. Auch er und seine Band kamen bei Publikum am Samstag hervorragend an. Unglaublich, welche Energie beide Hardcore-Combos auf der Bühne abstrahlen. Die Shows beider Gruppen barsten vor Energie und Dynamik.

Eine große Bühne für regionale Bands

Das „Sticky Fingers“-Festival zeichnet nicht zuletzt seine Mischungen aus. Die Jungen toben vor der Bühne, die Alten sitzen weiter hinten gemütlich beim Bandschauen mit Bier. Die Fans kamen nicht nur aus vielen Teilen Oberfrankens, sondern auch aus der Oberpfalz, dem Vogtland, dem benachbarten Tschechien und von viel weiter her. Das Wetter von Sonne bis Regen, von brütend heiß bis ganz schön kalt, schloss sich dieser Mischung an. Die Bands wiederum stammten sowohl von „umme Ecke“ wie auch aus den Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada, Tschechien oder der Ukraine. Und genau dies alles macht den Reiz des trotz Corona-Unterbrechung und Inflations-Ungemach hervorragend vom „Sticky Fingers“-Verein organisierten Festivals aus. Klar, am Einlass bildete sich zur „Rush hour“ am frühen Freitagabend, während gerade die Hamburger Ska-Punks von Rantanplan spielten, eine schier unendliche Schlange. Trotzdem blieb die Stimmung ganz entspannt. Erster Vereinsvorstand Tobias Berz: „Alles muss sich natürlich erst einmal wieder etwas einspielen – aber wir haben ein geiles Team!“ Dass die Vereinsmitglieder ein solch professionell organisiertes Festival stemmen, ist wahrlich aller Achtung wert.

Ein weiterer Pluspunkt: Nur selten wird den regionalen Bands eine solch große Bühne geboten, wie auf dem Weidersberg. Black Wasteland sorgen am Freitagnachmittag für den Auftakt beim „Sticky Fingers“ 2022. Passend zum Wetter kredenzten die Bamberger staubtrockene Stonerriffs, während sich das Festivalgelände allmählich füllt. Gleich darauf wurde es zum ersten Mal heftig: Cold Fury blasen zur Attacke mit kompetent gezocktem Hardcore. Neurotic Machinery aus dem tschechischen Pilsen legen noch eine weitere Schippe Härte auf und befeuerten mit Technical Death Metal das nun zahlreicher werdende Publikum. Auch der Beginn des Samstags stand ganz im Zeichen der Lokalmatadore: Melodramatic Fools aus Marktredwitz zum Frühschoppen, Killing Capacity mit Death Metal und die Deutsch-Punker Bauschaum aus Hof sorgten für beste Stimmung zu früher Stunde, bevor die Alternative Progger von Pantsdown aus Coburg das Gelände eroberten. Die Band Bezlad aus dem ukrainischen Charkiv unterbrach kurz den regionalen Reigen, überzeugte mit rohem Punksound und passender Attitüde. Ob die Genannten oder auch Chasing For Glory, Pregnant Boys oder Virus 41 – es überrascht immer wieder, auf welch hohem Niveau heutzutage regionale Bands spielen.

„Shitty Songs“ von Gutalax

Erwähnt werden muss unbedingt noch die tschechische Grindcore-Band Gutalax. Die Musiker sind optisch wie inhaltlich absolute Experten in Sachen menschlicher Verdauung – die Jungs wurden dafür vom Publikum frenetisch gefeiert. Die Südböhmen, die nicht zum ersten Mal auf dem „Sticky Fingers“ weilten, nehmen ihre „Shitty Songs“ natürlich nicht ganz so ernst. Im Publikum wurden nicht wenige Fans mit – hoffentlich unbenutzten – Klobürsten und sogar mit Toilettenbrillen gesichtet.

Im Gegensatz zu den todernsten Kanadiern Kataklysm: Die Death-Metal-Band aus Montreal sorgte mit rasend-schnellen Schlagzeug-Parts, sogenannten Blast Beats, und einem perfekten Set für extrem düstere Stimmung. Ein würdiger Festival-Abschluss durch den Samstags-Headliner.

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