Wie sah die neue Reform aus?
Das 2023 von SPD, Grünen und FDP beschlossene neue Wahlrecht deckelt die Sitzzahl bei 630 Parlamentarierinnen und Parlamentarierinnen. Um das zu erreichen, wurden vor allem Überhang- und Ausgleichsmandate gestrichen. Überhangmandate entstanden bis dahin, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Direktmandate gewann, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze zustanden. Diese Mandate durfte sie behalten. Die anderen Parteien erhielten dafür Ausgleichsmandate, damit ihre Stärke wieder zu den Anteilen der Zweitstimmen passte. Und auch die Grundmandatsklausel fiel mit der Reform weg.
Welche Folgen hätte die Reform haben können?
Neben der Linken stand mit den Änderungen vor allem für die Union viel auf dem Spiel. Bei der Bundestagswahl 2021 gewann die CSU, die nur in Bayern antritt, 45 Direktmandate. Elf davon waren Überhangmandate, die sie nach dem neuen Wahlrecht nicht mehr bekäme. Weitere zwölf Überhangmandate holte die CDU in Baden-Württemberg. Zusammen waren dies 23 von 34 Überhangmandaten, die wiederum 104 Ausgleichsmandate zur Folge hatten.
Würde die CSU bei der nächsten Wahl bundesweit hochgerechnet unter die Fünf-Prozent-Marke rutschen, wäre sie nach dem neuen Wahlrecht aus dem Bundestag geflogen - auch wenn sie wieder die allermeisten Wahlkreise in Bayern direkt gewinnen sollte. Bei der Wahl 2021 war die CSU bundesweit auf 5,2 Prozent der Zweitstimmen gekommen.
Was hat das Gericht entschieden?
Die Begrenzung des Bundestages auf 630 Abgeordnete und der Wegfall der Überhang- und Ausgleichsmandate haben Bestand. Das sogenannte Zweitstimmendeckungsverfahren ist mit der Verfassung vereinbar, entschied der Senat einstimmig. Demnach werden die 630 Sitze zunächst auf die Parteien und ihre Landeslisten verteilt. Bei der Besetzung rücken Wahlkreisbewerber in der Rangfolge ihrer Stimmanteile an die Spitze der Landesliste. Erst im letzten Schritt erhalten alle Bewerberinnen und Bewerber in dieser Reihenfolge ihre Mandate.
Nur die Fünf-Prozent-Sperrklausel in der aktuellen Fassung ist aus Sicht von sieben der Richterinnen und Richter - bei einer Gegenstimme - verfassungswidrig. Daher setzte der Senat im Grunde die alte Maßgabe wieder in Kraft, die einer Partei den Einzug ins Parlament in Fraktionsstärke ermöglicht, wenn sie mindestens drei Direktmandate holt.
Kein Problem sieht das Gericht zudem darin, dass womöglich manche Wahlkreise am Ende nicht durch einen Politiker oder eine Politikerin im Bundestag vertreten sind. Auch müsse das Wahlrecht nicht so gestaltet werden, dass aus jedem Bundesland entsprechend dem Bevölkerungsanteil Wahlkreisbewerber in den Bundestag einziehen. "Es wäre ohnehin verfehlt, Wahlkreisabgeordnete als Delegierte ihres Wahlkreises anzusehen", sagte die Vorsitzende Richterin Doris König. Sie seien gemäß Grundgesetz Vertreter des ganzen Volkes und allein ihrem Gewissen verantwortlich. (Az. 2 BvF 1/23 u.a.)
Welche Lösungsmöglichkeiten für die Sperrklausel gibt es?
Gerade mit Blick auf die langjährige und weiterhin angestrebte Zusammenarbeit von CSU und CDU samt gemeinsamem Wahlprogramm und einer gemeinsamen Fraktion schlägt der Senat vor, kooperierende Parteien auch bei Anwendung der Sperrklausel gemeinsam zu berücksichtigen. Allerdings heißt es im nächsten Satz, dass auch andere Varianten der Änderung denkbar seien. Der Gesetzgeber hat prinzipiell viel Gestaltungsspielraum und darf nach Auffassung des Senats auch Neuerungen im Wahlrecht einführen, die "Wählerinnen und Wählern ebenso wie Bewerbern und Parteien ein Umdenken abverlangen".
Wer sind Gewinner und Verlierer der Entscheidung?
Kommt darauf an, wen man fragt. SPD, Grüne und FDP begrüßen, dass das Herzstück ihrer Reform - die Deckelung auf 630 Sitze - grünes Licht vom Verfassungsgericht bekommen hat. Vertreter von Linken und Union hingegen freuen sich vor allem über die Wiederbelebung der Grundmandatsklausel - und dass die Ampel somit zumindest eine Teilniederlage kassierte.