Chaos mit System Aus totem Holz entsteht neue Vielfalt

Christl Schemm
Kreuz und quer liegen die abgesägten Bäume am Nordhang des Gsteinigts. Wanderer und Spaziergänger stören sich daran. Laut FGV, in dessen Besitz das Naturschutzgebiet ist, waren die Fichten vom Borkenkäfer befallen. Foto: /Christl Schemm

Berge von abgeholzten Bäumen sorgen im Gsteinigt bei Arzberg für Missfallen bei Spaziergängern. Doch hinter dem wüsten Bild verbirgt sich ein durchdachtes Konzept.

 
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Arzberg - Wegen seiner besonderen Schönheit und Eigenart ist die Schlucht mit den ältesten Gesteinsformationen des Fichtelgebirges, das Gsteinigt bei Arzberg, 1952 zum Naturschutzgebiet erklärt worden. 2009 wurde das Tal an der Röslau in die Liste der 100 schönsten Geotope Bayerns aufgenommen. Für viele Spaziergänger und Wanderer ist es daher unverständlich, dass sich seit dem vergangenen Sommer im westlichen Teil des Gsteinigts, nahe der Bahnbrücke, ein wüstes Bild bietet. Dort liegen kreuz und quer an den Hängen, die sich zum Fußweg und zur Röslau hin neigen, bergeweise Fichtenstämme, die abgesägt worden sind.

Ein Arzberger, der im Gsteinigt unterwegs war, beschreibt seine Eindrücke auf Facebook so: „Ich kann das nicht verstehen: Vor zirka einem halben Jahr wurden hier im Gsteinigt meines Erachtens sinnlos zig gesunde Bäume gefällt und einfach liegengelassen. Respektlos, wie dieser schöne Ort verschandelt wurde. Naja, wahrscheinlich irgendeine bürokratische Vorschrift.“ So wie dieser Spaziergänger denken viele, die den Kahlschlag passieren. Aber weder stecken überbordende Bürokratie, noch Ignoranz oder fahrlässiger Umgang mit der Natur hinter der Abholzung.

Landschaftspflege

Ganz im Gegenteil: Rund zwölf Hektar des Gsteinigts sind im Besitz des FGV-Hauptvereins. Er kaufte den hinteren Teil der Schlucht 1996 zum Zweck des Naturschutzes und der Landschaftspflege von der Firma Fastner in Elisenfels. Der FGV-Wege-Referent und Naturschutzexperte Christian Kreipe, früher Geschäftsführer des Naturparks Fichtelgebirge, kann erklären, warum die Bäume im Sommer vergangenen Jahres gefällt und dann nicht entfernt worden sind: weil der Borkenkäfer in den Stämmen gewütet hat und weil auf den Flächen mit dem Totholz ein neuer, natürlicher Wald wachsen soll. Als der FGV das FFH-Gebiet gekauft habe, sei dies mit der Auflage verbunden gewesen, den Fichten- in einen Laubwald umzuwandeln. Daher seien zum Beispiel Fichten, die im Laufe der Jahre Windbrüchen zum Opfer gefallen sind, nicht entnommen, sondern nur der Weg freigeschnitten worden, erläutert Kreipe.

An diesen Stellen sei das Konzept der natürlichen Waldentwicklung bereits aufgegangen. Laubbäume wie Eichen und Spitzahorne hätten sich angesiedelt. Auf diese Vorgehensweise setzt der FGV laut Kreipe auch bei den jüngst gerodeten Flächen. Unter anderem Untersuchungen der Universität Würzburg und des Forstbetriebs Ebrach belegten, dass an Stellen, auf denen das Totholz liegenbleibe, ein naturnaher Wald entstehe. Dies sei auch im Gsteinigt zu beobachten, wo sich nach dem Kahlschlag bereits kleine Bäumchen dem Licht entgegenstrecken. „Da kommen überall junge Bäume“, freut sich der Experte. „Ulme, Spitzahorn, Bergahorn, Vogelkirsche, Vogelbeere und Eiche. Das ist genau das, was wir im Laubwald haben wollen.“ Auch Haselnussstauden und Weißdorn eroberten sich ihren Lebensraum zurück. „Es ist wichtig, dass das abgestorbene Holz liegenbleibt, weil das die Vielfalt fördert, nicht nur an Bäumen, sondern auch an Tieren, Flechten und Pilzen.“

Tote Bäume binden CO2

Die Annahme, dass sich der Borkenkäfer weiter verbreitet, wenn die gefällten Bäume nicht entfernt würden, ist Kreipe zufolge falsch. Abgesehen davon, dass die Stämme wegen der schlechten Zugangsmöglichkeiten zur Gsteinigt-Schlucht ohnehin nicht einfach abtransportiert werden könnten, seien die toten Bäume nicht mehr „fängisch“. Das heißt: Der Borkenkäfer hat verloren. Und noch zwei Gründe führt Kreipe an, warum es sinnvoll sei, die Stämme da zu lassen, wo sie sind: Die Baumleichen binden CO2 und werden irgendwann zu Humus.

Auch für Peter Weger, Naturschutzwart der Arzberger FGV-Ortsgruppe, war von Anfang klar, dass das Konzept so richtig und erfolgversprechend ist. Nur über eines hat er sich geärgert, als die Holzfäller im Sommer an den Hängen Knochenarbeit verrichteten und der Wanderweg für mehrere Wochen gesperrt war: Trotz Schildern mit der Warnung „Lebensgefahr“ hätten sich selbst Mütter mit Kindern nicht vom Sparziergang im Gsteinigt abhalten lassen. „Eine hat zu mir sogar gesagt: Ich lasse mir doch von Ihnen nicht meine Freiheit nehmen“, erinnert sich Weger. „Zum Glück ist nichts passiert. Auch für den Holzfäller-Trupp um Herbert Prell vom Naturpark Fichtelgebirge war das eine gefährliche Arbeit.“

Die wird sich, wenn alles wie geplant klappt, in den kommenden Jahren auszahlen. Denn dann wird ein ausgewachsener Laubwald das Gsteinigt für die Natur noch wertvoller und für die Spaziergänger noch romantischer machen.

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