Für eine Herdenimmunität bei Corona galt anfangs eine Durchseuchungs- oder Impfquote von 60 bis 70 Prozent als nötig – was mit jenen zwei Dritteln der Yougov-Erhebung abgedeckt wäre. Wegen all der Unwägbarkeiten jedoch scheint dieser Wert manchen Experten zu gering.
So erklärt Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen, dass bei der neuen Virusvariante nach den bisher vorliegenden Daten 80 Prozent der Bevölkerung immun sein müssten, „um die weitere Ausbreitung im Sinne der Herdenimmunität zu verhindern“.
Zu beachten sei darüber hinaus, dass die Ausbreitung sehr variabel verlaufe, beispielsweise punktuell recht gewaltig durch sogenannte Superspreading-Ereignisse. Warum Herdenimmunität wichtig ist, macht Cicin-Sain deutlich: Es gebe Menschen, die nicht geimpft werden können, etwa weil sie an Leukämie erkrankt seien oder ihnen ein Organ transplantiert worden sei und sie immunhemmende Medikamente nehmen müssten. „Sie können nur durch Herdenimmunität geschützt werden“, sagt der Wissenschaftler. Den Anteil Betroffener schätzt er auf ein bis zwei Prozent.
Alle Angaben zur Herdenimmunität basierten bislang auf Vermutungen, betont Cicin-Sain. Die anfangs genannten 60 bis 70 Prozent hält auch er für recht optimistisch. „Das ist zwar besser als nichts, aber ein höherer Anteil wäre besser.“ Er spricht von 80, 85, vielleicht sogar 90 Prozent.
Zum Vergleich: Masern sind deutlich ansteckender als alle bislang bekannten Mutationen des Coronavirus. Hier ist eine Impfrate von über 90 Prozent nötig. „Die Botschaft muss sein: Diejenigen, die Zugang zum Impfstoff haben, sollten nicht zögern, sich impfen zu lassen“, sagt Cicin-Sain.
Mediziner Zeeb ist etwas zurückhaltender: Er würde nicht ausschließlich das Ziel (kompletter) Herdenimmunität über alles stellen, erklärt er. Wenn 60 oder 70 Prozent der Bevölkerung geschützt wären – und vor allem die Risikogruppen – würde das enormen Druck vom Gesundheitssystem und der Gesellschaft nehmen.
Corona werde bleiben, aber sich in den Reigen der anderen Infektionskrankheiten einreihen, ist Zeeb überzeugt – mit weiteren Impfungen, hoffentlich besseren Therapien und gegebenenfalls doch auch ausreichender Impfbereitschaft, wenn sich alles etwas normalisiert habe.