Krause betonte, ihm gehe es um eine sachgerechte Darstellung der Lage. Es sei ein Irrglaube zu denken, dass die Inzidenz „die Sache überschätzt“. Risiken könnten durchaus auch unterschätzt werden und gebotene Maßnahmen unterbleiben. Als Beispiel nannte er „ganz besondere Dramen“ in kleinen, aber sehr anfälligen Gruppen, wie in schlecht versorgten Heimen oder unter beengten Wohnverhältnissen. In der pauschalierten Inzidenz träten diese nicht deutlich in Erscheinung.
Spahn verteidigt vorgehen
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verteidigte in der Vorwoche den Blick auf die Sieben-Tage-Inzidenz: „Noch jedenfalls, in dieser Phase der Pandemie, ist es so, dass Inzidenz und Intensiv miteinander zusammenhängen.“ Eine steigende Inzidenz lasse in der Folge auch in Kliniken die Belastung steigen. Das gelte so lange, bis ein deutlich größerer Teil der Bevölkerung geimpft sei.
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Der Epidemiologe Rafael Mikolajczyk bestätigt, dass die Aussagekraft der Sieben-Tage-Inzidenz für die zu erwartende Belastung des Gesundheitssystems mit zunehmender Durchimpfung der Bevölkerung nachlasse. Auch durch vermehrtes Testen in Altersgruppen, die in der Regel nicht schwer erkranken, ändere sich das Verhältnis zwischen Infektionszahlen und den zu erwartenden schweren Verläufen. „Die Entkopplung ist momentan noch nicht so stark, wird aber zunehmen“, erklärt der Professor aus Halle.
Starke Schwankungen
Laut Mikolajczyk ist der Vorteil der Sieben-Tage-Inzidenz, dass sie auch kleinräumig eingesetzt werden könne, während die Aufnahmezahlen klein sein könnten und zu stark schwankten, etwa in Landkreisen mit wenig Intensivbetten. Befürworten würde er aber, im weiteren Verlauf der Epidemie die Inzidenzschwelle anzupassen. Auch die Dynamik der Ansteckungen, also R-Wert oder Verdopplungszeit, müsse im Auge behalten werden, da ein exponentielles Wachstum der Fallzahlen das Gesundheitssystem schnell an die Belastbarkeitsgrenze bringen könne.
Zum Einschätzen der noch verkraftbaren Belastung zunehmend auch die regionalen Covid-19-Neuaufnahmen heranzuziehen, hält er in Phasen stabiler oder langsam wachsender Infektionszahlen aber für durchaus sinnvoll. Und auch dann, wenn sich Testzahlen stark ändern, wie etwa über Feiertage. Verbreite sich das Virus allerdings gerade stark, sei eine möglichst frühe Erfassung von Vorteil, betont Mikolajczyk. „Die Schulkinder sind im Moment die am besten getestete Altersgruppe - man kann sie als Frühwarnsystem deuten“, betonte Mikolajczyk. Zeige sich in einer Altersgruppe ein Anstieg der Inzidenz, dann sei das ein Hinweis auf eine Zunahme des Infektionsgeschehens insgesamt. Altersgruppen hätten ja Kontakte untereinander.