Das Ukraine-Tagebuch „Die Städte sind dunkel und die Wärmestuben gut gefüllt“

Thomas Simmler. Foto: privat

Immer häufiger müssen die Menschen in der Ukraine ohne Strom und Wasser auskommen. Thomas Simmler erlebt vor Ort mit, wie es ist, wenn der Feind einen Energiekrieg führt.

 
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Die Lage hat sich in den vergangenen zwei Wochen dramatisch verschlechtert. Die Russen führen einen Energiekrieg gegen das Land. Am Mittwoch war es besonders schlimm. In vielen Städten der Ukraine gab es weder Strom noch Wasser. Die Städte bleiben dunkel. Die Geschäfte haben zwar meist geöffnet, werden aber nur mit Hilfe von Generatoren notbeleuchtet. Für größere Geräte wie Gefriertruhen reichen die aber nicht aus.

In meinem Stammcafe ist es ähnlich. Es gibt kleine Speisen, weil die Mikrowelle dank des Generators funktioniert. Die große Kaffeemaschine aber ist lahmgelegt. Auch Internet und Telefonnetz fallen stundenweise immer wieder aus. Am Mittwoch konnte ich in Richtung Osten nicht mehr telefonieren. Die Funkmasten waren mehrere Stunden vom Strom abgeschnitten. Das ist vorher noch nie passiert. Lediglich meinen Sohn in Deutschland habe ich per Telefon noch erreicht.

Immerhin hat der Winter uns noch nicht richtig erreicht. Zwar schneit es ab und an, aber das wechselt sich mit Regen und Leben. Die Temperaturen liegen bei null Grad. Ein Bekannter in Lemberg ganz im Westen hat mir gestern erzählt, dass er nicht zur Arbeit konnte, weil es keinen Strom gab. Zu Hause war es eisig kalt ohne Heizung. Er hat den ganzen Tag unter der Bettdecke verbracht.

Viele bereiten sich verstärkt auf den Winter vor. Es gibt überall Stellen, wo kostenlos Holz verteilt wird. Wer noch einen alten Holzofen hat – und das sind hier viele – ist im Vorteil. Vor kurzem haben die Behörden außerdem begonnen, überall im Land sogenannten Wärmestuben zu errichten – in Zelten, Schulen, Kindergärten. Dort stehen größere Generatoren. Die Menschen können sich aufwärmen, eine Kleinigkeit essen oder auch ihr Handy aufladen. Gestern habe ich mit einem Zahnarzt gesprochen, der in der Nähe vom Krankenhaus in Truskawez wohnt. Er hat mir erzählt, dass bei ihm der Strom erst einmal ausgefallen ist. Man versucht also, möglichst sensible Gebiete auszusparen, wenn der Strom abgeschaltet wird.

Ich werde aus der alten Heimat hin und wieder gefragt, was der Einzelne in Deutschland tun kann für die Menschen hier. Jede Spende hilft. Im Moment geht es vor allem darum, möglichst viele Generatoren zu bekommen. Vor allem, wenn es kälter wird.

Gut gefallen hat mir die Reaktion der Polen auf das Angebot der deutschen Regierung, Patriot-Flugabwehrsysteme zur Verfügung zu stellen. Der polnische Präsident hat Recht. Die Deutschen sollten die an die Ukraine liefern. Dort werden sie dringend gebraucht.

Hans-Thomas Simmler aus Mainleus hält sich seit Anfang des Jahres in der Ukraine auf. Nach Angriffen der Russen in der Nähe des Atomkraftwerks Saporischschja ist er nun im Westen des Landes untergekommen.

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