Das Ukraine-Tagebuch „Die Vormittage verbring’ ich im Bett“

Thomas Simmler. Foto: privat

Thomas Simmler erlebt in der Ukraine einen relativen milden Winter. Wenn der Strom abgeschaltet ist, wird’s bei ihm aber richtig kalt. Unterdessen verschwindet alles Russische aus dem Alltag der Menschen.

 
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Es ist zehn Uhr früh und ich liege im Bett. Das ist jetzt oft so. Das Stromnetz der ukrainischen Eisenbahn, an dem ich hänge, wird jetzt immer am Vormittag für einige Stunden abgeschaltet. Ohne Strom funktioniert die Pumpe und damit die Heizung nicht. Dann wird es bei mir in der Wohnung ziemlich kalt. Da sind das Bett, eine warme Decke und dazu der Trainingsanzug die sinnvoll Methode.

Vor ein paar Minuten gab es Luftalarm. Letztes Jahr ging die Sirene in den Kampfgebieten im Süden oder Osten des Landes oft stundenlang. Das war auf Dauer ziemlich nervtötend für alle. Deshalb hat man das geändert. Die Sirene heult zwei, drei Minuten, danach ist Ruhe. Wenn der Luftalarm vorbei ist, geht die Sirene wieder an. Wem das nicht reicht, der kann auf einer App auf dem Handy nachschauen, ob bei ihm gerade Luftalarm ist.

Wirklich Winter gibt es hier in Truskawez im Westen des Landes nicht. Heute liegt zwar Schnee, weil es über Nacht geschneit hat, aber der bleibt nie lange liegen. Die Temperaturen sind ähnlich wie in Kulmbach. Aktuell meist um die null Grad oder leicht drunter.

Wenn ich durch die Stadt spaziere, fallen mir die Generatoren vor den Läden und Cafes auf. Die werden immer größer. Ein Geschäft, in dem ich öfters einkaufe, hat jetzt einen neuen Generator. Der ist drei Meter lang und zwei Meter hoch und versorgt sechs oder sieben Etagen eines Hauses. Ein wirklich gewaltiges Teil.

Alles Russische im Alltag verschwindet. In den Kurort Truskawez kamen vor zehn Jahren mehrere reiche Russen. Kleine Oligarchen, die sich auch so benommen haben. Sie kauften hier Häuser und gingen davon aus, dass hier Russisch gesprochen wird. Jetzt muss man aber wissen, dass diese Region auf Russland schaut, wie die Hamburger auf Bayern. Zwar können die Menschen hier die Sprache, weil sie sie in der Schule lernen mussten. Wirklich gesprochen wurde es aber nie. Jetzt wird es immer weniger. Sophia, unsere Tochter, hat in der Schule nicht eine Stunde Russisch gelernt. Die Entfremdung wird zunehmen. Durch die Hass auf die Angreifer, aber auch weil nicht nur die Schulen reagiert haben, sondern auch die Kirchen. Aktuell gibt es in vielen orthodoxen Gotteshäusern Razzien der Polizei.

Ich selbst spreche mit den Einheimischen russisch. Weil ich Deutscher bin, wird das akzeptiert. Die Sprachen sind übrigens weit verschiedener als man vielleicht. Es gibt Begriffe, die gleich sind, aber das ist eher die Ausnahme. Die Lautzusammensetzung ist eine andere und die Ukrainer sprechen auch viel schneller. Ihre Sprache ist schwieriger. Deshalb hab’ ich es irgendwann aufgegeben.

Hans-Thomas Simmler aus Mainleus hält sich seit vielen Monaten in der Ukraine auf. Nach Angriffen der Russen in der Nähe des Atomkraftwerks Saporischschja ist er nun im Westen des Landes untergekommen.

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