Das Ukraine-Tagebuch „Einmal lachen, das tut gut“

Hans-Thomas Simmler aus Mainleus ist seit Wochen bei seiner Tochter Sofia und der deren Mutter in der Ukraine. Von dort schildert schildert er uns regelmäßig, wie sich das Leben im Krieg täglich verändert.

 
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Thomas Simmler.Foto:privat Foto:  

„Wir stehen unter permanenter Hochspannung. Die Situation macht mürbe und greift die Nerven aller an. Ich hatte die letzten Tage Zahnschmerzen bekommen und war heute beim Zahnarzt. Das ist tatsächlich noch möglich. Als ich auf dem Behandlungsstuhl lag, hab ich mir gedacht: Wir sind hier im Krieg und ich bin beim Zahnarzt. Welch ein Irrsinn! Wir mussten beide herzhaft lachen. Das hat sehr gut getan.

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Das Problem ist, dass nichts normal ist und trotzdem Normalität und Krieg gleichzeitig herrschen. Unsere Wohnort ist bekannt für sein Manganerz. Die Menschen gehen weiter zur Arbeit. Vorhin habe ich die Züge gehört, die das Erz abtransportieren. Die großen Abbau-Unternehmen arbeiten nicht anders wie in Friedenszeiten. Und gleichzeitig stehen wenige Kilometer die Russen mit ihren Raketen. Dass sie uns beschießen, das ist die größte Angst überhaupt. Gestern habe ich zu einem Taxifahrer gesagt: „Komm, lass uns mal zur Anhöhe fahren und rüberschauen auf die andere Seite des Dnjepr.“ Aber das ist unmöglich. Zivileinheiten haben alles abgeriegelt. Auf der einen Seite des Flusses stehen also die Russen, auf der anderen die Ukrainer. Das kann, das muss einem ja Angst machen.

Mir fällt es immer schwerer, nachts einzuschlafen. Ich mach dann den Fernseher an. Eine Komödie am besten. Nicht, um mir das anzuschauen, sondern zum Abschalten. Damit das Hirn aufhört, ständig an den Krieg zu denken. Nur so kann ich irgendwann einschlafen.

Und noch so ein Beispiel dieses Irrsinns: Heute hat ein Sushi-Cafe in der Stadt wieder aufgemacht, das gestern noch geschlossen hatte. Wir haben unsere Tochter mitgenommen und dort gegessen. Um wenigstens eine Stunde so etwas wie Normalität zu erleben. Die Besitzerin des Cafes hat zu mir gesagt: „Was morgen ist? Keine Ahnung!“ So geht es uns im Moment allen hier.“

Hans-Thomas Simmler aus Mainleus hält sich seit mehreren Wochen in der Südost-Ukraine auf. Das Atomkraftwerk Saporischschja, das größte Europas, ist keine zehn Kilometer entfernt. Es ist inzwischen unter Kontrolle der Russen.