Das Ukraine-Tagebuch „Ich höre immer noch die Einschläge“

Thomas Simmler

Thomas Simmler hat vor drei Wochen nach Angriffen der Russen fluchtartig den Süden der Ukraine verlassen. Im Westen des Landes erholt er sich. Nach Deutschland will er vorerst nicht zurückkehren.

Thomas Simmler (mitte) mit Tochter Sofia und deren Mutter Irina. Foto: privat

Warum ich in der Ukraine bleibe und nicht nach Deutschland zurückkomme? Im Moment hat das ganz praktische Gründe. Ich komme hier finanziell gerade gut über die Runden. Das Zimmer, das ich in Truskawez im Westen des Landes nach meiner Flucht aus der Nähe von Saporischschja und der Südfront gemietet habe, kostet mich nicht viel. Das Leben ist günstig und die Preise für Strom und Gas hat die Regierung eingefroren. So gesehen kann ich hier besser planen als vielleicht in Deutschland, wo man gerade nicht weiß, was im Winter auf die Leute alles zukommt – vor allem auf, die nur ein geringes Einkommen haben. Gestern habe ich einen alten Mann beim Holzsägen in der Nachbarschaft beobachtet. Meine Vermieterin sagte mir, das passiert jetzt ständig. Viele Ukrainer wollen also auch lieber eine Alternative im Haus haben für den Winter.

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Für mich ist gerade wichtig, dass ich zur Ruhe komme. Von Tag zu Tag wird mir klarer, was für ein Leben wir in den letzten Monaten eigentlich geführt haben. Die russischen Truppen, das umkämpfte Atomkraftwerk, am Ende dann die Angriffe der Russen auf unsere Stadt. In meinem Ohr höre ich immer noch ständig die Artillerie und die Einschläge. Vor Ort haben wir das lange Zeit gar nicht so dramatisch empfunden. Umso wichtiger ist es, jetzt einen Blick von außen zu bekommen. Zu sehen, in welcher Gefahr wir waren – und zu verarbeiten. Das ist hier möglich und deshalb geht es mir schon deutlich besser.

Außerdem gibt es keinen Mangel. Die Menschen im Westen der Ukraine haben alles, was sie zum Leben brauchen. Das war in Marhanez ein Weile anders. Wenn ich zurückdenke: Als im Februar die Russen kamen, waren wir plötzlich von der Versorgung abgeschnitten. Es fuhr kein Zug mehr, es gab kein Benzin, um mit dem eigenen Auto zu flüchten. So etwas will ich nicht noch einmal erleben.

Hans-Thomas Simmler aus Mainleus hält sich seit vielen Monaten in der Ukraine auf. Nach Angriffen der Russen in der Nähe des Atomkraftwerks Saporischschja ist er nun im Westen des Landes untergekommen.