Das Ukraine-Tagebuch „Weihnachten könnte sich verändern“

Thomas Simmler
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Thomas Simmler hat am Donnerstag die ersten Schneeflocken im Westen der Ukraine erlebt. Bislang feiern die meisten Menschen hier ein orthodoxes Weihnachten – und damit später als bei uns. Das könnte sich wegen des Krieges ändern.

 
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Als ich am Donnerstag aufgewacht bin, war draußen alles weiß. Es wird Winter. Sogar im Westen der Ukraine, wo es traditionell milder und wärmer ist. Hier herrscht ein Klima, das vom Atlantik herüberkommt und in den polnischen Ebenen nirgends aufgehalten wird. Obwohl es den ganzen Tag geschneit hat, ist die Schneehöhe sehr gering. Mir wäre es lieber, es schneit irgendwann richtig und dann liegen zehn bis 15 Zentimeter. Das gefällt mir mehr.

An Weihnachten denkt trotz der weißen Pracht niemand. Zwar gibt es Nikoläuse in den Läden, aber die Festtage sind gedanklich weit weg. Als Russland das Land dieser Tage mit dem größten Bombardement seit Kriegsbeginn überzogen hat, war das im Urlaubsort Truskawez, wo ich inzwischen bin, kaum zu spüren. Es gab zwei Mal Luftalarm und 25 Kilometer von der Stadt entfernt ist eine Rakete eingeschlagen, aber niemandem ist was passiert. In Lemberg, das auch nicht weit weg ist, sah es anders aus. Dort fielen Wasser, Strom und Heizung die ganze Nacht aus. Die Strategie der Russen wird aber nicht aufgehen. Die Ukrainer lassen sich so nicht zermürben. Und je mehr und brutaler die Angreifer vorgehen, desto stärker wird der Widerstand.

Was Weihnachten angeht, so könnten sich die Veränderungen in der Gesellschaft bemerkbar machen. Der Westen des Landes war schon in der Vergangenheit stärker in Richtung Polen ausgerichtet. Dort ist der Katholizismus sehr stark. Möglich, dass immer mehr Ukrainer sich vom orthodoxen Weihnachtsfest abwenden, das ja auch erst im Januar gefeiert wird. Im Moment gibt es beides. Die einen feiern an den gleichen Tagen wie in Deutschland, die anderen erst später – wie in Russland.

Der Urlaubsort Truskawez verschnauft gerade. Die Urlaubssaison ist vorbei, die nächste beginnt erst mit der Weihnachtszeit. Dann wird wieder jede Menge los sein. Und wenn der Strom in der Ukraine nicht irgendwann ganz ausfällt, dann werde ich Weihnachten hier erleben.

Hans-Thomas Simmler aus Mainleus hält sich seit vielen Monaten in der Ukraine auf. Nach Angriffen der Russen in der Nähe des Atomkraftwerks Saporischschja ist er nun im Westen des Landes untergekommen.

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