Digitalprojekt Wie ein Start-up Bäume retten will

Sensoren in den Kronen am Rehauer Maxplatz? So soll die Baumpflege zielgenauer funktionieren.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Die Ludwigseiche grünt im Frühjahr früher und hält im Herbst die Blätter länger als die Wilhelmseiche: Das wissen viele Rehauer ganz genau. Beide gepflanzt am 14. April 1871 auf dem Rehauer Maxplatz, beide seither gehegt und gepflegt, sollten sie ja eigentlich unter vergleichbaren Bedingungen gedeihen. Tun sie aber nicht, weiß Bürgermeister Michael Abraham: weil die Ludwigseiche, obwohl dem Perlenbach ganz nah, nicht so viel Wasser abzubekommen scheint wie ihre Nachbarin – sie ist schließlich von vielen Pflastersteinen eingefasst. Wie es den beiden Bäumen tatsächlich geht, darüber sollen nun genaue Messungen Auskunft geben: Ein Münchner Start-up hat am Montag im Auftrag des Landkreises Sensoren in der Baumkrone befestigt, die nun alle 15 Minuten Daten übermitteln, wie es den Bäumen geht. Als Basis dafür, sie besser erhalten zu können.

Begleitet von großem Medieninteresse und noch größerer Neugier der Rehauer Passanten hat am Montagvormittag Giancarlo Foderá die Kletterausrüstung angelegt. Der Baumkletterer ist einer von vier Gründern des Münchner Start-ups Treesense, einer Ausgründung der TU München. Unternehmensmotto: „Wir bringen Bäume zum Sprechen.“ Dass die Rehauer Eichen am Montag zu reden begonnen haben, liegt an dem kleinen blauen Kästchen, die Giancarlo Foderá an Ästen in 20 Metern Höhe befestigt hat. „Über zwei kleine Messingschrauben, die wir wenige Millimeter tief in einen Ast bohren, können wir die Feuchtigkeit im Inneren messen“, erklärte sein Kollege Julius Kübler von Treesense. Viertelstündlich werden die Messwerte an eine Datenbank gesendet, das Unternehmen und die Auftraggeber können daraus Rückschlüsse ziehen, wie es dem Baum geht.

Lange Trockenphasen setzen bekanntlich nicht nur dem Wald, sondern auch vielen Stadtbäumen zu. Und in Bezug auf Gießen gilt nicht zwingend viel hilft viel: „Wir hatten ein Beispiel in Dinkelsbühl, wo wir bei einem prägenden Stadtbaum großen Trockenstress gemessen haben. Das lag am Ende aber daran, dass er am Grund eines abschüssigen Geländes stand – das gesamte Gießwasser auf dem Platz war zu ihm geflossen, sodass seine Wurzeln verfault waren und er deshalb kaum noch Wasser aufnehmen konnte“, erklärt Julius Kübler. Und betont dabei: „Aus den Daten, die wir erheben, müssen noch die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden.“ Die das tun sollen, arbeiten noch an ganz anderen Dingen.

Die Baum-Messungen sind initiiert worden vom Projekt „Hofer Land digital:“ Wie berichtet beteiligt sich der Landkreis Hof damit seit zwei Jahren am Bundesprogramm Smart Cities. In den nächsten viereinhalb Jahren haben die Mitarbeiter noch gut 15 Millionen Euro für Digitalisierungsprojekte zur Verfügung. Sie befassen sich unter anderem mit Hochwasser-Simulationen für Kommunen oder einem Löschwasser-Informationssystem für die Feuerwehren. Eines der großen Ziele: ein digitaler Zwilling des Landkreises, quasi ein digitales Abbild. „Dabei soll es auch um eine Karte für den Tiefbau gehen, aus der man genau sehen kann, wo welche Rohre und Leitungen verlaufen. Und wo die Bäume stehen“, sagte Landrat Oliver Bär am Montag in Rehau. Das Projekt mit den Baumsensoren sei zwar ein vermeintlich kleineres. Doch geht es da auch um eine Schnittstelle zwischen Wirtschaftlichkeit und Herzensangelegenheiten.

„Müsste man Ersatzpflanzungen für derart große Bäume machen müssen, das würde viele Zehntausend Euro kosten – im Grunde aber sind sie unersetzbar“, sagte Mario Wohlfahrt, Kreisfachberater für Gartenbau und Landschaftspflege. Er sei äußerst gespannt auf die Daten der neuen Sensoren – auch darauf, wo wie womöglich langjährige Erfahrungen der Praktiker ergänzen oder ihnen sogar widersprechen. „Die Frage, wie man auf die Messergebnisse reagieren kann, bleibt die wichtigste – da wird es ja vermutlich diverse Interpretationsmöglichkeiten geben“, sagte auch der Rehauer Bürgermeister Michael Abraham. Gerade durch die gute Vergleichbarkeit der Eichen am Maxplatz könne man gute Schlussfolgerungen ziehen. Die zwei Bäume sind nicht die einzigen, die nun Sensoren bekommen. Momentan fünf Bäume – vier in Rehau und eine Linde in Oberpferdt – erhalten nun derartige Sensoren.

Das Projekt ist als Testphase angesetzt, vorerst mit einer Laufzeit von einem halben Jahr; Kostenpunkt: 5000 Euro. Danach entscheidet sich, ob und wie das Ganze weitergeführt wird. Das Münchner Start-up, Gründung Sommer 2022, überwacht bislang etwa 150 Bäume in 20 deutschen Städten. Tendenz stark steigend.

Autor

Bilder