Diskussion um Corona-Impfstoffe Sollen die Patente freigegeben werden?

red/epd
Für Impfstoffe gegen Covid-19 gilt der internationalen Patentschutz. Foto: dpa/Sven Hoppe

Entwicklungs- und Schwellenländer fordern ein Aussetzen des internationalen Patentschutzes auf Impfstoffe gegen Covid-19. Die Pharmafirmen wehren sich vehement dagegen. Was spricht dafür und was dagegen? Ein Pro und Contra.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Genf - Indien, Südafrika und viele andere Entwicklungs- und Schwellenländer fordern ein Aussetzen des internationalen Patentschutzes auf Impfstoffe gegen Covid-19. Auch die USA setzen sich wegen der bedrohlichen Pandemie in der Welthandelsorganisation (WTO) für eine zeitweise Lockerung der Rechte am geistigen Eigentum ein. Die Pharmafirmen wehren sich vehement dagegen und vertrauen auf die Rückendeckung großer Industriestaaten wie Deutschland.

Das spricht dafür

Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, macht sich für die temporäre Aufhebung des Patentschutzes stark, um so die Produktion der Wirkstoffe anzukurbeln: „Wenn nicht jetzt, wann denn?“ fragt Tedros. Der Äthiopier kritisiert die „schockierende“ Ungleichheit beim Zugang zu den Impfstoffen. Die Menschen in armen Ländern hätten bislang nur 17 Prozent der Impfdosen erhalten. Demgegenüber seien 83 Prozent der Vakzine den Menschen zur Verfügung gestellt worden, die in Ländern mit hohem und mittlerem Einkommen leben.

Auch die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ wirbt intensiv für eine Lockerung der geistigen Eigentums- und Patentrechte auf Covid-19-Medikamente, -Impfstoffe, -Diagnostika und andere Technologien, einschließlich Masken und Beatmungsgeräten. Einige wenige Hersteller kontrollieren laut dem Hilfswerk „die weltweiten Produktionskapazitäten sowie den Verkaufspreis“.

Viele arme Länder hätten schlichtweg nicht genug finanzielle Mittel, um die festgelegten Preise bezahlen zu können. Größere Produktionsmengen seien nötig, um alle Menschen so schnell wie möglich versorgen zu können: „Wenn die Ausnahmegenehmigung erteilt werden würde, könnten in den Ländern, die Mitglieder der WTO sind, für die Dauer der Pandemie Patente und andere geistige Eigentumsrechte im Zusammenhang mit den genannten Produkten ausgesetzt werden.“

„Ärzte ohne Grenzen“ verspricht sich dadurch eine bedarfsorientierte Produktion durch viele Hersteller: „Es wäre möglich, Engpässe bei medizinischem Material, Medikamenten und Impfstoffen zu vermeiden und weltweit schnellstmöglich ausreichende Mengen zu produzieren.“ Zudem könnten die Hersteller die Medikamente und Geräte zu bezahlbaren Preisen anbieten.

Laut der Impfstoff-Spezialistin des Hilfswerks, Yuanqiong Hu, verfügen eine Reihe von Staaten außerhalb Europas und Nordamerikas über Kapazitäten, um Impfstoffe herzustellen. Indien und China produzieren schon, andere Staaten wie Südafrika stünden bereit.

Das spricht dagegen

Europäische Regierungen, die Pharmaindustrie aber auch Vertreter von Hilfsorganisationen wie der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung sprechen sich gegen die Aussetzung des Patentschutzes aus. Sie betonen, dass die Maßnahme nicht automatisch zu einer raschen Ausweitung der Impfungen in armen Ländern führt - so nötig das auch sei.

„Die Produktion der Impfdosen gegen Covid-19 stellt für Impfstoffhersteller, Biotech- und Pharmafirmen in Industriestaaten wie Entwicklungsländern eine riesige Herausforderung dar“, betont Thomas Cueni, Generaldirektor des internationalen Dachverbandes der Pharmafirmen IFPMA. „Der Zugang zum Patent ist nur das eine, denn für die Impfstoffherstellung fast wichtiger sind das Know-how, die Expertise, Fachleute, die richtigen Maschinen und die Logistik.“

Lesen Sie hier: Umfrage: Fast drei Viertel wollen sich impfen lassen

Auch müssten die Firmen über die nötigen Lieferketten verfügen. Cueni nennt ein Beispiel: „Der Impfstoff von Biontech/Pfizer gegen Covid-19 besteht aus 280 Komponenten, die von 86 Lieferanten aus 19 Ländern kommen.“ Und die Produktion der Impfstoffe sei äußerst komplex. Entsprechend sei es nicht überraschend, dass sich selbst etablierte Pharmakonzerne mit dem Hochfahren der Produktion schwertun. So hätten Firmen in den USA und Europa Millionen von Dosen erst verzögert ausgeliefert.

Die Gegner der Aussetzung stellen die rhetorische Frage: Wenn große Konzerne in industrialisierten Ländern unter der Impfstoff-Herstellung ächzen, wie sollen dann erst die weit weniger gut aufgestellten Unternehmen in vielen Entwicklungsländern die Aufgaben meistern?

Zudem halten sie fest: Fällt der Patentschutz tatsächlich weg, dann drohe Unheil in Zukunft. Die betroffenen Pharmafirmen könnten sich als Opfer einer Quasi-Enteignung fühlen. In einer möglichen nächsten Pandemie würden Anreize, neue Vakzine zu entwickeln und zu produzieren, schwinden. Das wäre zum Nachteil aller Menschen - ob reich oder arm.

Bilder