Echt oder Fälschung? Neue Studie: Turiner Grabtuch stammt aus der Zeit Jesu

Markus Brauer

Seit Jahrzehnten streiten Forscher über ein Grabtuch, in das Jesus von Nazareth nach seinem Tod eingewickelt worden sein soll. Italienische Wissenschaftler haben den Stoff nun erneut untersucht und kommen zu einem sensationellen Ergebnis.

 
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Ausstellung des Turiner Grabtuchs (Sacra Sindone) im Jahr 2015 in Turin. Foto: Imago/Italy Photo Press

Es gehört zu den meistuntersuchten archäologischen Artefakten der Geschichte: das Turiner Grabtuch. Seit Jahrzehnten streiten Wissenschaftler über die Echtheit des Stoffes, in den Jesus nach seiner Kreuzigung gewickelt worden sein soll.

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Nun haben italienische Forscher das Grabtuch erneut untersucht. Sie sind sich sicher: Das Grabtuch stammt aus der Zeit Jesu. Über die Ergebnisse berichtete zuerst die britische Zeitung „Daily Mail“.

Fäden wurden vor rund 2000 Jahren gewebt

Mit einer speziellen Röntgentechnik hatten die Wissenschaftler den Alterungsprozess der Fäden analysiert und festgestellt, dass es um die Zeit Christi vor etwa 2000 Jahren hergestellt worden sei. Die Tatsache, dass die Zeitlinien übereinstimmten, verleihe der Idee Glaubwürdigkeit, dass das schwache, blutbefleckte Muster eines Mannes mit vor der Brust verschränkten Armen vom toten Körper Jesu stamme, schreiben die Forscher.

Das 4,40 Meter lange und 1,13 Meter breite Leinentuch zeigt das schwache Abbild und Ganzkörper-Spuren mit Wundmalen eines Mannes, die mit der Kreuzigung Jesu von Nazareth in Verbindung gebracht werden. Ob es sich tatsächlich um Jesus handelt, ist umstritten. Es gibt unterschiedliche Forschungsergebnisse über das Alter des Stoffes.

Das Artefakt wird seit 1578 im Turiner Dom aufbewahrt und nur selten öffentlich gezeigt. Foto: Imago/UIG

Von Gläubigen als authentisches Grabtuch Jesu verehrt

Das seit 1578 im Dom von Turin aufbewahrte Grabtuch aus Leinen wird von Gläubigen als das Grabtuch Jesu verehrt. Die katholische Kirche hat sich nicht offiziell zur Echtheit geäußert. Es ist daher keine Reliquie im strengen Sinne.

Kirchenvertreter verweisen darauf, dass die Frage der Datierung für den Glauben nicht entscheidend sei. Das Artefakt wird seit 1578 im Turiner Dom aufbewahrt und nur selten öffentlich gezeigt.

Wurde der Leichnam Jesu in das Tuch eingewickelt?

Dass der Leichnam Jesu in das Tuch eingehüllt worden sei, ist nur eine Vermutung und bis heute unbewiesen. Die Echtheit des Grabtuchs wurde sogar schon früh angezweifelt, wie ein Memorandum von Bischof Pierre d’Arcis von Troyes aus dem Jahr 1389 belegt.

Eine Studie aus dem Jahr 1988, welche das Alter der Leinenfasern datierte auf das Mittelalter, bezeichnete das Grabtuch ebenfalls als Fälschung. Dennoch bleibt das Tuch Gegenstand wissenschaftlichen Interesses.

Sah so der in das Grabtuch eingewickelte Leichnam aus? Foto: Imago/epd

Entstehung des Tuchs im Zeitraum des Lebens Jesu

Die aktuelle Studie italienischer Forscher kommt nun zu dem Ergebnis, dass das Tuch wesentlich älter sein könnte, als bisher angenommen – eben etwa 2000 Jahre. Damit würde seine Entstehung in den Zeitraum fallen, in dem Jesus Christus gelebt haben soll. Die Studie italienischer Forscher ist im Fachmagazin „Heritage Journal“ veröffentlicht worden.

„Die Datenprofile waren vollständig kompatibel mit den Messungen an einer Leinenprobe, die in Masada, Israel, gefunden wurde und deren Datierung durch historische Aufzeichnungen auf 55 bis 74 n. Chr. festgelegt wurde“, heißt es in der Studie.

Zellulose der Textilfasern mittels Röntgen analysiert

Zu diesem Ergebnis kamen die Forscher, indem sie mit einer speziellen Röntgenmethode die Zellulose der Leinenfasern analysierten. Sie untersuchten den strukturellen Abbau der Zellulose in einer winzigen Faserprobe des Grabtuchs.

Die Ergebnisse zeigten Ähnlichkeiten mit einer Leinenprobe aus dem 1. Jahrhundert nach Christus. Dies widerspricht der Datierung der Studie aus dem Jahr 1988, die einen Entstehungszeitraum des Tuches im 13. bis 14. Jahrhundert annahm. Die aktuelle Studie führt dies auf eine mögliche Verunreinigung zurück.

Eine aktuelle Studie italienischer Forscher kommt nun zu dem Ergebnis, dass das Tuch wesentlich älter sein könnte, als bisher angenommen – nämlich etwa 2000 Jahre Foto: Imago/Depositphotos

Verunreinigungen können Datierung verfälschen

Liberato De Caro, Hauptautor der Studie, stellt die Radiokarbonmethode von 1988 in Frage. Er argumentiert, dass Gewebeproben normalerweise verschiedenen Arten von Verunreinigungen ausgesetzt sind, die nicht vollständig entfernt werden können.

„Schimmelpilze und Bakterien, die Textilfasern besiedeln, sowie Schmutz oder kohlenstoffhaltige Mineralien wie Kalk, die in den Faserzwischenräumen haften, können die Datierung verfälschen“, erläutert De Caro.

Argumente für das 2000-jährige Alter des Grabtuchs

  • Der Alterungsgrad der Fasern wäre laut den italienischen Forschern jedoch nur dann plausibel, wenn das Grabtuch erst im Mittelalter nach Europa gelangt wäre.
  • Zuvor hätte es dreizehn Jahrhunderte lang bei durchschnittlich etwa 20 bis 22,5 Grad und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 75 bis 55 Prozent gelagert werden müssen.
  • Erst mit den kühleren Temperaturen in Europa seien die Fasern in den vergangenen sieben Jahrhunderten langsamer gealtert.
  • Ein weiteres Argument für die Echtheit des Grabtuchs sind Pollen, die in das Leinen eingebettet sind und von Pflanzen stammen, die im Nahen Osten heimisch sind. Diese Entdeckung lässt daran zweifeln, dass es sich bei dem Tuch um eine europäische Fälschung handeln könnte.
Der Schrein, in dem das Grabtuch aufbewahrt, befindet sich im Turiner Dom. Foto: Imago/claudiodivizia

Rekonstruktion des Gesichts Jesu mithilfe von KI

Darüber hinaus versuchten die Wissenschaftler, mithilfe von KI und Bildrekonstruktion das wahre Gesicht Jesu anhand der auf dem Grabtuch zu sehenden Merkmale zu enthüllen, wie der „Daily Star“ berichtet.

Mithilfe von KI-Algorithmen, die feine Details und Strukturen erkennen können, wurde ein Bild erstellt, das das Gesicht eines Mannes mit langem Haar, Bart und Wundmalen zeigt – Merkmale, die traditionell mit Jesus Christus in Verbindung gebracht werden.

Diese Studie könnte die Debatte um die Echtheit des Turiner Grabtuchs neu entfachen, resümieren die Wissenschaftler. Sie betonen jedoch, dass weitere Röntgen-Untersuchungen an zusätzlichen Proben notwendig seien, um die Ergebnisse zu verifizieren.

Info: Reliquienverehrung in der katholischen Kirche

Reliquien

Die Reliquienverehrung ist ein essentieller Bestandteil katholischer Volksfrömmigkeit. In der evangelischen Kirche ist dieser Brauch hingegen unbekannt. Für den Reformator Martin Luther (1483-1546) waren Reliquien „alles tot Ding“. Reliquien (von Lateinischen „reliquiae“: das Zurückgelassene, die Überbleibsel) sind Gegenstände religiöser Verehrung. Besonders Körperteile oder Teile des persönlichen Besitzes eines Menschen, der von der Kirche als Heiliger verehrt wird, gehören hierzu. Daneben gibt es Berührungsreliquien wie etwa Kleidungsstoffe, mit denen der/die Heilige in Berührung kam oder gekommen sein soll.

Symbol für Heiligkeit

Der damalige Anwalt des Seligsprechungsverfahrens von Papst Johannes Paul II., Slawomir Oder, stellte fest, dass Reliquien „kein magischer Fetisch“ seien. Sie seien dazu da, „in unseren Herzen die Dankbarkeit für das Geschenk der Person Johannes Paul II. zu erreichen“. Reliquien seien ein Symbol der Anwesenheit eines Heiligen in der Welt.

Drei Klassen von Reliquien  

Reliquie ist nicht gleich Reliquie: Nach katholischem Verständnis existieren drei Klassen von Reliquien: 

  • Reliquien erster Klasse: Hierunter fallen der Leichnam eines Heiligen oder Teile davon wie das Herz der spanischen Ordensgründerin Teresa von Avila (15115-1582), die Blutreliquien von Johannes Paul II. (1920-2005) oder die Asche von Heiligen, die verbrannt wurden.
  • Bei Reliquien zweiter Klasse handelt es sich um Gegenstände, welche Heilige berührt haben sollen, weshalb sie auch Berührungsreliquien genannt werden. Zu dieser Kategorie gehören beispielsweise das Turiner Grabtuch oder Folterwerkzeuge, mit denen Märtyrer zu Tode gepeinigt wurden.

  • Reliquien dritter Klasse schließlich sind Gegenstände, die von Reliquien erster Klasse berührt wurden – etwa kleine Papier- oder Stofffetzen, die auf eine Reliquie erster Klasse gelegt und auf Heiligenbildchen geklebt wurden.

Kirchenrecht verbietet Reliquien-Handel

Bis heute verbietet das katholische Kirchenrecht den Verkauf von Reliquien. Im „Codex Iuris Canoici“, dem kirchlichen Rechtsbuch (Canon 1190 CIC) heißt es: „Es ist verboten, heilige Reliquien zu verkaufen. Bedeutende Reliquien und ebenso andere, die beim Volk große Verehrung erfahren, können ohne Erlaubnis des Apostolischen Stuhls auf keine Weise gültig veräußert oder für immer an einen anderen Ort übertragen werden. Die Vorschrift des § 2 gilt auch für Bilder, die in einer Kirche große Verehrung beim Volk erfahren.“

Glaubenssymbolik statt Wissenschaft

Für das katholische Verständnis von Reliquien ist es unerheblich, ob ihre Echtheit wissenschaftlich bewiesen ist. Es geht vor allem um die theologische Symbolhaftigkeit. So wird im Trierer Dom der Heilige Rock, ein unscheinbarer braun-grauer Rock, als Symbol für die Menschwerdung Jesu verehrt. Es ist sinnfälliger Ausdruck der Heilsgeschichte, die nur im Glauben erfasst werden kann.Zahlreiche andere fromme Relikte fanden im Mittelalter den Weg über die Alpen. Im Aachener Dom etwa werden seit Jahrhunderten vier kostbare Heiligtümer aufbewahrt: die Windeln Jesu, das Lendentuch Christi, das Kleid der Maria und das Enthauptungstuch Johannes des Täufers. Alle vier Jahre findet die Aachener