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Harmloser Flirt oder Seitensprung? Einmaliger Ausrutscher oder kaltschnäuzige Routine? Wie es um die Treue der Deutschen bestellt ist, weiß der Psychologe Ragnar Beer.

 
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Die Zahlen, wie viele Menschen ihrem Partner untreu werden, schwanken erheblich. Einige Umfragen sprechen davon, dass jeder dritte Deutsche bereits untreu war. Andere Erhebungen sprechen von jedem fünften. "Ich habe keine Zahl gesehen, der ich auch nur ansatzweise traue", schränkt Ragnar Beer ein. Der Psychologe arbeitet am Institut für Psychologie an der Universität in Göttingen und forscht unter anderem zum Thema Partnerschaft und Treue.

Er hält die Zahlen darum für schwierig, weil nicht klar ist, wer bei Umfragen wahrheitsgetreu antwortet und wer nicht. "Wer gibt schon gerne bei einer telefonischen Umfrage zu, dass er untreu war?" Studien, an denen viele tausend Untreue teilgenommen haben, hätten jedoch ergeben, dass bei Frauen ein Seitensprung seltener herauskam als bei Männern. "Frauen sind sozial geschickter, sie können das besser verstecken", so seine Erfahrung. Und das, obwohl Frauen mit ihrer besten Freundin durchaus über den Seitensprung sprechen.

Die Treuetesterin
Manche Frauen wollen, dass Therese Kersten ihre Männer in einer Bar anspricht. Andere buchen lieber einen SMS-Test, um zu sehen, wie ihr Auserwählter auf Verfuhrungen reagiert. Mit ihrer Agentur "Die Treuetester" lässt sie sich von eifersüchtigen Frauen und Männern engagieren. Fur sie ist das ein ganz normaler Job. Doch wenn sie davon erzählt, löst sie regelmäßig entsetztes Staunen und ungläubiges Gelächter aus.
Therese Kersten: Lockvogel, mein Leben als Treuetesterin, 240 Seiten, erschienen 2018 im Verlag Edition a, 19,95 Euro

Die Agenturen
Verschiedene Agenturen bieten den Treuetest für misstrauische Partner an. Erhältlich ab rund 40 Euro, wird er entweder in Form von SMS, Chat, E-Mails oder bei persönlichen Treffen durchgeführt. Bis zum Sex geht es in aller Regel nicht. Die Ergebnisse des Tests werden als Gesprächsprotokolle und Screenshots an den Auftraggeber übermittelt.

Der Online -Test
Auf theratalk.de" href="http://theratalk.de" target="_blank" target="_blank"> gibt es das "Ressourcen Aktivierung System", entwickelt an der Universität Göttingen. Sexuelle Zufriedenheit ist das beste Mittel gegen Untreue. Statt gemeinsam mit einem Therapeuten zu reden, absolvieren die Partner getrennt den Test am Computer. Das Programm fragt intime Wünsche ab und die Bereitschaft, Wünsche des Partners zu erfüllen. Überschneidungen werden am Ende angezeigt. So werden nur positive Ergebnisse dargestellt und Dinge, die der Partner ablehnt, erfährt der andere gar nicht.

Wenn eine Affäre auffliegt, dann ist das bei Frauen oft, weil sie dem Partner selbst davon erzählen. Der wiederum gesteht nur in 25 Prozent der Fälle seinen Ausrutscher. Wahrscheinlicher ist, dass die Frau ihm anders auf die Schliche kommt. Und dann ist der Wunsch nach Rache groß. Einige Frauen lassen dann gern ihre Wut an den Männern aus, zerschneiden den Lieblingsanzug oder zerkratzen das Auto. Ragnar Beer führt das zurück auf die höhere Erfahrung von Männern mit Aggressionen. Wütend zu sein oder die Wut eines anderen zu spüren zu kriegen, gehöre zum Mann-Sein dazu. Daher sei die Erfahrung im Umgang damit größer und so auch die Fähigkeit, sich zu bremsen.

Etwas Neues erleben, Nervenkitzel, Anerkennung und die Suche nach Abwechslung gelten gemeinhin als Gründe für Untreue. Für den Psychologen ist die Unzufriedenheit mit der Sexualität in der Partnerschaft die häufigste Ursache. 85 Prozent der untreuen Frauen und 79 Prozent der Männer nennen diesen Grund, so das Ergebnis seiner Forschung. Bei zwei Dritteln der Paare sei einer der beiden unzufrieden.

Wer das Risiko eingeht, einen Seitensprung zu haben, belässt es in der Regel nicht bei einem One-Night-Stand. Zumal der Partner dafür mit großer Vorsicht ausgesucht wurde. "Der Sex ist dann meist besonders schön und das will man öfters haben." Meist dauere solch eine Affäre drei bis sechs Monate, One-Night-Stands hätten nur etwa zwölf Prozent der untreuen Partner.

Beruf : Lockvogel
Es ist nur wie eBay. Nichts weiter. Nur wie eBay. Das sagt sich Therese Kersten immer
wieder, als sie sich mit 19 Jahren zum ersten Mal selbst auf einer Sexplattform versteigert. An den höchstbietenden Mann. So schreibt sie es in ihrem Buch: "Lockvogel. Mein Leben als Treuetesterin".
Nach mehreren solcher Versteigerungen verlässt sie Deutschland und zieht zum Höchstbietenden, einen vermögenden Mann, nach Wien.
Er sorgt für ihren Unterhalt, für die Wohnung, für ein angenehmes Leben, so schildert es Therese Kersten. "Er erwies sich als Bankomat mit Sprachsteuerung. Sagte ich: Ich brauche 500 Euro, spuckte er sie im nächsten Moment aus." Doch sie ahnte früh, dass sie nicht die Einzige für ihn war. Dennoch wird sie von Stefan, so nennt sie den Mann in ihrem autobiografischen Buch, schwanger. Sie beschreibt diesen Mann als Weiberheld, der immer mehrere Frauen gleichzeitig an der Nase herumführte, sie inklusive. Als es ihr zu bunt wurde, begann sie, ihm gezielt nachzuspionieren: Nachrichten lesen, E-Mail-Account knacken, Gespräche abhören. Als Therese Kersten Gewissheit hatte, gab sie dem Freund den Laufpass – und gründete ihre Agentur.
An die dreihundert Testerinnen und Tester aller Altersgruppen arbeiten inzwischen für sie, Männer und Frauen mit ganz unterschiedlichem Aussehen. Schließlich soll für jedes Beuteschema der passende Lockvogel dabei sein. Tester kann prinzipiell jeder werden, der ein sicheres Auftreten, ein gepflegtes Äußeres und Spaß am Umgang mit Menschen hat. Etwa 15 Euro erhält ein Lockvogel pro Stunde, so die Information auf der Internetseite von Therese Kerstens Agentur. Endlich Gewissheit haben, das verspricht sie ihren Kunden.
Diese wollen herausfinden, ob ihr Partner ihnen untreu ist und wie weit er oder sie gehen würde, wenn sich die Gelegenheit bietet. Je nachdem, was der Klient möchte, geht das über einen SMS-Test für 34 Euro, über den E-Mail-Test für 139 Euro oder einem Chat für 199 Euro, auch ein Test auf Spermaproben oder ein Vaterschaftstest gehören zum Angebot. 89 Euro kostet ein persönliches Treffen pro Stunde.
Die erste Kontaktaufnahme der Lockvögel läuft meist über eine kurze Nachricht, einen netten Flirt. Mit dem Hintergrundwissen über die Interessen der Zielperson fällt es den Testern leicht, im Gespräch Anknüpfungspunkte zu finden. Dann geht es darum, ob die Zielperson intime Texte schickt, ob sie auf schlüpfrige Nachrichten eingeht, vielleicht sogar Nacktbilder schickt oder sich auf ein persönliches Date einlässt. Parallel dazu stehen die Tester im Kontakt mit den Auftraggebern, wie Therese Kersten in ihrem Buch beschreibt. Ihre Mitarbeiter fertigen Gedächtnisprotokolle an über Telefonate und Treffen, Screenshots von Textnachrichten und E-Mails.
Diese Beweise wiederum bekommt der Auftraggeber. Der muss dann entscheiden, wie er mit dem neu gewonnenen Wissen umgeht. Zumindest ist er dann in der Lage, dem Untreuen oder der Untreuen schwarz auf weiß Belege unter die Nase zu halten. Ausflüchte wie "das ist nur eine Arbeitskollegin" oder "das ist der Sohn eines Bekannten" helfen dann nicht mehr. "Wo endet Treue und wo beginnt Untreue?", fragt Therese Kersten in ihrem Buch. Auf diese Frage gibt es keine allgemeingültige Antwort. Letztlich muss in Beziehungen jeder seine eigenen Grenzen ziehen.

Fremdgänger sind aber nicht automatisch abgebrühte Wiederholungstäter. "Die meisten sind sehr liebe Menschen, die nie von sich gedacht hätten, dass sie mal untreu werden", sagt Ragnar Beer. Der beste Hinweis auf zukünftiges Verhalten sei darum das derzeitige Verhalten. Wer untreu war, ist zum Teil auch selbst mitverantwortlich für die Gründe – und werden diese nicht bearbeitet, beeinflussen sie auch eine zukünftige Beziehung. Selbst wenn die Untreuen angeben, ihren Partner wirklich zu lieben. Eindeutige Hinweise, dass der Partner untreu ist, gibt es nicht. Doch wenn Gewohnheiten sich plötzlich ändern, dann fällt das auf. "Wer nicht chronisch eifersüchtig ist und plötzlich merkt, da stimmt doch was nicht, sollte nachfragen und genau hinschauen", rät Ragnar Beer. Ob der Partner es dann auch zugibt, steht auf einem anderen Blatt.

Denn der Seitensprung an sich ist nicht immer das Hauptproblem. Mit dem Fremdgehen einher gehen Lügen und Vertrauensverlust, und das macht es schwer, eine Partnerschaft fortzuführen. Der vielzitierte Rat, nur das zuzugeben, was zweifelsfrei bewiesen ist, sei der dümmste Weg, um eine Beziehung zu retten, so der Experte. Der Betrogene suche nach Sicherheit, nach der ganzen Wahrheit. Immer weiter zu vertuschen mag verlockend sein, aber nicht zielführend.

"Viele Paare kommen zu mir in Therapie nach einem Seitensprung, sie wollen zusammenbleiben und wir schauen, was zur Untreue führte. Wenn man diese Gründe abschalten kann, kriegen viele es wunderbar in den Griff", schildert Beer. In solchen Fällen kann ein Seitensprung auch eine Chance sein, die Weichen neu zu stellen.

Er hat einen Test entwickelt, den Partner online unabhängig voneinander ausfüllen können, ohne dass sie persönlich in eine Praxis müssen, ohne die Hemmschwelle, mit jemandem über ihre intimsten Wünsche sprechen zu müssen. Das Computerprogramm sucht Deckungen und zeigt den Partnern dann die Wünsche an, die beide haben oder die zu erfüllen sie bereit sind. "Ich war erst sehr skeptisch, weil so die Partner ja nicht miteinander reden müssen, aber die Rückmeldungen waren sehr positiv, nach dem Test konnten die Partner miteinander sprechen", schildert er.

Einen Treuetester auf den Partner anzusetzen, hält Ragnar Beer hingegen nicht für klug. "Man überprüft ja nur, ob der Partner unter bestimmten Umständen auf einen Seitensprung eingehen würde und nicht, ob er dies schon tut. Das kann einem auch ganz schnell um die Ohren fliegen", meint er. Ob Untreue in den vergangenen Jahren zugenommen hat, vermag er nicht abzuschätzen. "Dafür spricht aber, dass die Gelegenheiten gestiegen sind. Es gibt viele anonyme Quellen wie Seitensprungagenturen und Kontakt-Apps, die Hemmschwelle sinkt bei Seitensprungwilligen."

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