Nachfolger gesucht Marktredwitzer Tafel vor dem Aus?

Acht Freiwillige stehen jeden Donnerstag hinter dem Tresen, um Lebensmittel und vieles mehr an Bedürftige zu verteilen. Im Hintergrund und an den Tagen vor der Ausgabe arbeitet ein Team von über 30 Leuten. Foto: /David Trott

Vorsitzende Elsa Richter und ihr Mann Edgar ziehen sich aus Altersgründen zurück. Niemand mag die Nachfolge übernehmen. Hier werden 500 Menschen pro Woche versorgt.

 
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Marktredwitz - Müssen 500 Menschen in Marktredwitz in Zukunft hungern? Und das, obwohl es Lebensmittel in Hülle und Fülle gibt? Dieser schlimme Fall könnte durchaus eintreten, wenn nicht in Kürze ein Wunder geschieht. Denn die Marktredwitzer Tafel steht vor dem Aus. Und das, obwohl es in dem Laden in Oberredwitz, der sich in 15 Jahren fast zu einem mittelständischen Unternehmen entwickelt hat, bestens floriert. Denn die treibenden Kräfte – Elsa und Edgar Richter – ziehen sich aus Altersgründen zurück. Und niemand will die Nachfolge übernehmen.

Menschen nicht allein lassen

Elsa Richter ist richtig wehmütig ums Herz: „Wir können die Menschen doch nicht allein lassen.“ Andererseits ist es Zeit für sie und ihren Mann, einen Schlussstrich zu ziehen (siehe Bericht unten). Auch wenn die Pandemie die Tafel extrem gefordert hat und viel Fantasie und Kreativität entwickelt werden musste, um die Menschen in Zeiten des Lockdowns weiter versorgen zu können, ist wohl erst jetzt die schwärzeste Stunde über den Verein hereingebrochen.

33 Mitarbeiter

Eine Tafel wie die in Marktredwitz sucht eigentlich ihresgleichen. Üppiger bestückt als mancher Lebensmittelladen, gibt es für 500 Bedürftige aus rund 150 Familien – „es sind vorwiegend Migranten, aber auch etliche Rentner“ – jede Woche ein unglaublich großes Angebot an frischester Ware. Elsa Richter ist es ein großes Bedürfnis, nach anfänglichem Klinkenputzen vor 15 Jahren Dank zu sagen für „die vielen großen und kleinen Sach- und Geldspenden“. Nur dadurch habe man die Aufgaben erfüllen können. Besonderer Dank gelte dem Edeka-Zentrallager in Marktredwitz, das einen Löwenanteil der Ware beisteuere. Nicht zu vergessen die vielen freiwilligen Helfer – „wir haben einen Stamm von 33 Mitarbeitern“ –, die hinter und vor den Kulissen ehrenamtlich im Einsatz sind.

Viele Schicksale

„Wir haben so viele Menschen persönlich kennenlernen dürfen, die uns an ihrem Schicksal haben teilhaben lassen“, erzählt die Noch-Vorsitzende, die die Stelle kommissarisch bis zu einer außerordentlichen Versammlung besetzt, wo abermals der Versuch unternommen werden soll, eine neue Vorsitzende oder einen Vorsitzenden zu finden. „Wir haben Menschen durch Tod verloren, haben erlebt, wie die Partner von Bedürftigen gestorben sind. Und es sind so viele Schicksale von Migranten!“ Und dennoch sei die Aufgabe immer erfüllend gewesen, versichert Elsa Richter. Und ihr Mann Edgar, der sich zusammen mit zehn Männern allwöchentlich um das Abholen der Waren kümmert, bestätigt mit einem Nicken: „Die meisten Menschen sind sehr dankbar.“

Neues Fahrzeug

Das Ehepaar, das die Marktredwitzer Tafel aus dem Boden gestampft hat, weil es nicht mehr mit anschauen wollte, dass Abend für Abend gute Lebensmittel in der großen Tonne landen, hinterlässt ein bestens bestelltes Feld. „Wir haben erst kürzlich ein neues Fahrzeug angeschafft, mit dem wir die Lebensmittel abholen.“ Und auch das Team, das bereitsteht, sei hoch motiviert. Natürlich seien altersbedingt schon zwei Drittel der Mitarbeiter aus den Anfangsjahren ausgeschieden. „Doch es sind immer wieder Leute nachgerückt, die die 500 Bedürftigen versorgen.“

Bei Auflösung geht Geld an die Stadt

Doch jetzt, jetzt ist die Lage prekär. Bei der nächsten Mitgliederversammlung – „die muss vor Weihnachten stattfinden“, sagt Elsa Richter – entscheidet sich die Zukunft des Vereins. Denn würde auch bei einer weiteren Wahl niemand den Vorsitz übernehmen – „die Arbeit könnte künftig ganz anders und vor allem auf mehrere Schultern verteilt werden“ – müsste die Tafel schließen, der Verein würde aufgelöst. „Der Satzung nach bekäme dann die Stadt Marktredwitz das angesparte Geld, „das jedoch ausschließlich für soziale Zwecke eingesetzt werden dürfte“. Die 500 Bedürftigen indes stünden vor dem Nichts.

Im Interesse des sozialen Friedens weitermachen!

Noch ist es nicht so weit. Elsa Richter und ihr Mann Edgar appellieren an die Marktredwitzer, die Tafel nicht sterben zu lassen. Nicht nur, dass 30 Helfer jede Woche schnippelten, aussortierten, einräumten und die Ware verteilten, die die zehn Männer von all den Firmen heranschaffen, zu denen die Tafel ein enges Verhältnis aufgebaut hat. „Wir haben noch Beschäftigte, die uns unterstützen: eine Reinigungskraft, ein Steuerberater, ein Mann, der Hausmeistertätigkeiten übernimmt, und jetzt haben wir noch eine 450-Euro-Kraft als Springer und quasi Mann für alles eingestellt.“ Die Tafel sei in angenehmen Räumen nicht nur sehr gut aufgestellt, „der Verein ist rundum gesund“, unterstreicht die scheidende Vorsitzende.

„Nicht zum Selbstzweck, sondern im Interesse eines nicht geringen, unterprivilegierten Personenkreises und damit im Interesse des sozialen Friedens in unserer Stadt bleibt zu wünschen, dass die Existenz des Vereins sichergestellt werden kann“, hofft Elsa Richter.

Kommentar
Bedürftige nicht vergessen!

Zunächst einmal allen Respekt vor Menschen wie dem Ehepaar Richter. Denn die beiden – und mit ihnen viele andere Ehrenamtliche – springen da ein, wo sich der Staat klammheimlich zurückgezogen hat. Sie kümmern sich um die Menschen, die Monat für Monat am Existenzminium herumkrebsen. Außerdem wollten die Richters einfach nicht mehr mit ansehen, wie täglich Lebensmittel auf dem Müll landen, nur weil ein paar welke Blättchen außen am Salat hängen, der Brotaufstrich kurz vor dem Verfallsdatum ist oder Schachteln ein wenig eingedrückt sind, ohne dass der Inhalt beschädigt ist.

In 15 Jahren hat das Ehepaar mit vielen Mitstreitern einen wunderbaren Lebensmittelladen aufgebaut, der unter den Tafeln in deutschen Landen seinesgleichen sucht. Kühlhaus, Tiefkühlhaus, Lagerräume, Vorbereitungs- und Verkaufsräume vom Feinsten in einer ehemaligen Metzgerei. Woche für Woche bestens bestückt.

Und dankbar stehen die Menschen hier jeden Donnerstag an, um üppig gefüllte Tüten mit Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs in Empfang zu nehmen, weil ihr Monatsbudget nicht ausreicht, um sich selbst ausreichend versorgen zu können. Das ist ohnehin ein Armutszeugnis in einer Gesellschaft, in der die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinanderklafft.

Daher der wirklich dringende Appell an die Menschen, einmal darüber nachzudenken, vielleicht ein paar Stunden wöchentlich zu investieren, um jenen, die im Schatten stehen, weiterhin unter die Arme greifen zu können.

Auch die Stadt oder die Kirche sind hier gefordert. Denn was sollen die 500 Menschen, die jede Woche Unterstützung bekommen, ohne die Tafel tun!?

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