Ein Zeitzeuge berichtet Als Menschen einfach so verschwanden

Manfred Casper erzählt von seinem bewegten Leben als Schüler in der DDR, über seine gescheiterte Flucht und wie er es doch noch in den Westen schaffte.

lick in eine rekonstruierte, sogenannte Freikaufzelle im früheren Stasi-Gefängnis auf dem Kaßberg in Chemnitz. Foto: /Hendrik Schmidt/dpa

Seine ganz persönliche und von Höhen und Tiefen geprägte deutsch-deutsche Geschichte hat der 73 Jahre alte Manfred Casper jetzt am Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium (MGF) erzählt und damit viele Schüler der 10. Klassen erreicht. Die Veranstaltung war gemeinsam von der Schule und der Akademie für Neue Medien in Kulmbach organisiert und durch die Friedrich-Naumann-Stiftung sowie die Thomas-Dehler-Stiftung unterstützt worden.

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Manfred Casper, aufgewachsen in Stollberg im Erzgebirge, berichtete den Schülern anschaulich von seiner Kindheit in der DDR. Da gab es viele positive Erinnerungen. Es gab aber auch die Menschen in seiner Umgebung, die von einem Tag auf den anderen plötzlich verschwanden. Dazu gehörten sein Mathematik- und Physiklehrer, der örtliche Kinderarzt sowie seine Nachbarn. Der Grund? „Entweder waren solche Leute geflüchtet oder man hatte sie festgenommen“. Diese Erlebnisse prägten seine Sicht auf den Staat. Seine Eltern warnten ihn früh, politische Themen nicht außerhalb der Familie anzusprechen.

Ein Wendepunkt in Caspers Leben war der Bau der Mauer im Jahr 1961, der die regelmäßigen Besuche bei seiner Großmutter in Braunschweig abrupt beendete. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ein Arzt mit gefälschten Attesten ermöglicht, dass Casper mit seiner Mutter in den Westen reisen konnte, um die angeblich todkranke Oma zu besuchen. Besonders tragisch: Genau während eines solchen Besuchs erfuhren die beiden vom Beginn des Mauerbaus. Was tun? Caspers Mutter entschied sich, mit ihm in die DDR zurückzukehren, weil sie ihre Familie nicht im Stich lassen wollte. Der Mauerbau bedeutete für den Zeitzeugen einen tiefgreifenden Einschnitt in sein Leben, den er als „ Paukenschlag“ beschrieb. Obwohl er seine Schulzeit danach so gut es ging beendete, wuchs in ihm immer stärker der Wunsch nach einer Ausreise oder Flucht. Seine Zukunft sah er nicht in der DDR. Im fehlten zum Beispiel die „akademischen Impulse“, wie er es jetzt in Kulmbach sagte.

Besonders bewegend schilderte seinen missglückten Flucht-versuch im Jahr 1969. Während eines Urlaubs mit einem Freund in Bulgarien versuchte er, über die Grenze nach Jugoslawien zu entkommen. Aus Rücksicht auf seinen Mitreisenden, der nichts von der Flucht wissen sollte, verabschiedete er sich mit einem Abschiedsbrief im Koffer und der Auskunft, er ginge vor der Abreise schnell noch spazieren. Der Fluchtversuch scheiterte, Casper wurde festgenommen und in der DDR zu 17 Monaten Haft verurteilt. Die Bedingungen im Zuchthaus Cottbus, die er den Schülern eindrucksvoll schilderte, waren bedrückend und für ihn schwer zu ertragen. Immer wieder leistete er Widerstand, was zu weiteren Haftverschärfungen führte. Hier war es auch, wo er seinen Vater zum letzten Mal sah, da man ihm den weiteren Zugang zu seinem Sohn verwehrte und der Vater dann starb.

1970 kaufte ihn die Bundesrepublik frei. Das ermöglichte ihm ein neues Leben. Er studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft und wollte Gymnasiallehrer werden. Wegen des damaligen Überangebots an Lehrkräften wechselte er dann aber in die Betriebswirtschaft. Nach einigen Stationen wurde er für 25 Jahre Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Braunschweig. Dennoch blieb er auch in der Bundesrepublik im Visier der Stasi, die ihn überwachte.

Nach seinem Vortrag stellten die Schüler zahlreiche Fragen. Besonders eindrucksvoll war sein Bericht über seine Stasi-Akten, die über 700 Seiten an Informationen über ihn enthielten und zeigten, dass er nach seiner Flucht versucht hatte, Freunden im Osten ebenfalls zur Flucht zu verhelfen.

Mit großem Applaus würdigten die Schüler und Lehrkräfte den Gast, der ihnen eindrucksvoll die Bedeutung von Freiheit und Demokratie näherbrachte. Casper tritt bundesweit als Zeitzeuge auf und engagiert sich aktiv für das gegenseitige Verständnis von Ost- und Westdeutschland.

Abschließend überreichte Manfred Casper zwei Exemplare seiner Biografie „Vom Wachsen der Flügel“.