Auf den ersten Blick wirkt die Struktur unscheinbar. Aber wenn sie tatsächlich von Menschen stammt, wäre sie wohl eine der ältesten Anlagen weltweit und die früheste in Europa.
In der Mecklenburger Bucht haben Forscher auf dem Grund der Ostsee einen fast einen Kilometer langen steinernen Wall entdeckt. Dieser Blinkerwall wurde vermutlich vor mehr als 10.000 Jahren von Jägern und Sammlern der Steinzeit angelegt. Damit ist er diese älteste Anlage dieser Art in Europa.
Auf den ersten Blick wirkt die Struktur unscheinbar. Aber wenn sie tatsächlich von Menschen stammt, wäre sie wohl eine der ältesten Anlagen weltweit und die früheste in Europa.
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In der Mecklenburger Bucht haben Forscher auf dem Grund der Ostsee einen fast einen Kilometer langen steinernen Wall entdeckt. Er wurde dem Anschein nach vor mehr als 10 000 Jahren angelegt, von einer damals hier lebenden Jäger-und-Sammler-Gemeinschaft.
Die Anlage liegt rund 10 Kilometer nordwestlich des Ostseebades Rerik in etwa 21 Metern Tiefe. Sie besteht aus fast 1700 Steinen, ist 971 Meter lang, bis zu zwei Meter breit und meist weniger als einen Meter hoch.
Damals war das Gelände noch nicht überflutet, schreibt die Gruppe um Jacob Geersen vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) und Marcel Bradtmöller von der Universität Rostock.
Der sogenannte Blinkerwall könnte den damaligen Jägern und Sammlern geholfen haben, Rentiere zu erbeuten, vermutet das Forschungsteam im Fachmagazin „PNAS“ („Proceedings of the National Academy of Sciences“).
Entstanden ist sie nach dem Ende der letzten Eiszeit entlang einer leichten Anhöhe nahe am Ufer eines Sees, der vor gut 9000 Jahren verschwand. Der Wall selbst wurde vor etwa 8500 Jahren von der Ostsee überflutet. Etwas Vergleichbares gebe es in Europa nicht, schreiben die Forscher.
Entdeckt wurde der Steinwall zufällig im September 2021 bei Kartierungen des Meeresbodens, wie der Geologe Geersen erläutert. „Wir hatten gleich den Verdacht, dass es sich nicht um eine geologische Struktur handelt.“
Untersuchungen etwa per Fächerecholot und autonomem Unterwasserfahrzeug ergaben Erstaunliches: Die 1673 Steine des Walls haben ein Volumen von fast 53 Kubikmetern und wiegen zusammen mehr als 142 Tonnen.
Die weitaus meisten davon – knapp 1400 - sind deutlich unter 100 Kilogramm schwer, die übrigen 288 wiegen mehr. Der mit Abstand mächtigste Brocken bringt mehr als elf Tonnen auf die Waage, drei weitere wiegen zwischen zwei und 5,8 Tonnen.
„Der Blinkerwall stellt eine außergewöhnliche Struktur dar, die sonst noch nirgends in der Ostsee dokumentiert wurde“, schreibt die Gruppe. Natürliche Ursachen für die Anlage – etwa einen Tsunami, sich zurückziehende Gletscher oder Strömungen unter Wasser – hält das Team aus verschiedenen Gründen für äußerst unwahrscheinlich.
Auch andere menschliche Eingriffe als Ursache seien unplausibel, etwa das mancherorts betriebene und 1906 verbotene Steinfischen oder der Bau der gut drei Kilometer entfernt gelegenen Stromleitung Baltic Cable auf dem Meeresgrund.
„Insgesamt schließen die oben diskutierten Aspekte einen natürlichen Prozess als Ursache des Blinkerwalls zwar nicht völlig aus“, erklären die Archäologen. Aber jede Vermutung lasse viele Fragen offen. Und vor allem: „Letztlich gibt es eine Beobachtung, die sich überhaupt nicht durch natürliche Prozesse erklären lässt und die auf einen menschlichen Ursprung hindeutet“, heißt es.
„Dies ist der bevorzugte Ort der größten und schwersten Steine an Knickpunkten entlang des Blinkerwalls“ – also an jenen Orten, an denen die Anlage etwas die Richtung ändert. Die damaligen Erbauer, so die Vermutung, hätten jene dicken Brocken, die ohnehin vorhanden waren, durch die kleineren Steine miteinander verbunden.
Aber wenn Menschen die Anlage erbaut haben, wozu diente sie? Das Team vermutet, dass Wildbeuter-Gruppen sie zur Jagd nach Rentieren nutzten, deren Herden damals hier saisonal vorbeizogen.
Direkt datiert wurde die Struktur zwar nicht, aber ab vor etwa 10 000 Jahren war die Region bewaldet und Rentiere zogen seltener vorbei. Da hätte eine solche Anlage keinen Sinn mehr ergeben, sagt der Archäologe Bradtmöller.
Beispiele für steinerne Begrenzungen als Jagdhilfen sind auch aus anderen Weltregionen bekannt. Das Team verweist auf steinzeitliche Funde aufeinander zulaufender Steinreihen etwa im Nahen Osten oder in Nordamerika – wie beispielsweise die Fundstelle Drop 45 im Lake Huron (US-Bundesstaat Michigan), die im Jahr 2014 entdeckt wurde. Auch diese Konstruktionen wurden vermutlich vor etlichen Jahrtausenden dazu genutzt, bei der Jagd Tiere zusammenzutreiben.
Im Vergleich zu Drop 45 ist der Blinkerwall um ein Vielfaches länger. Auf eine Doppel-Steinreihe weist hier allerdings nichts hin. Möglicherweise habe man die gar nicht gebraucht, sagte Geersen. Denn damals war das Seeufer vermutlich nur wenige Dutzend Meter entfernt. Es könnte bei der Treibjagd als zweite Barriere gedient haben. Möglich sei auch, dass jüngere Ostsee-Sedimente eine vorhandene zweite Steinreihe unter sich begraben haben.