Immer wieder hat man sich die Frage gestellt, wie es einer so kleinen Schar von Abenteurern gelang, das Aztekenreich zu erobern, ein Imperium in Zentral- und Südamerika, das sich 1519 über knapp 130 000 Quadratkilometer vom Pazifik bis zum Golf von Mexiko erstreckte. „Eine der hervorragendsten Eigenschaften von Cortés war es, durch scharfe Beobachtung die Schwächen seiner Gegner auszumachen und Rivalitäten in eigenen Vorteil umzumünzen“, glaubt der britische Historiker Hugh S. Thomas. Und einer dieser Schwachpunkte waren die Völker, die von den Azteken unterjocht wurden. Cortés wusste: Um zu siegen, musste er die indigene Bevölkerung gegeneinander ausspielen.
Lernen von der sprachbegabten Sklavin
Dass er diese überhaupt auf seine Seite ziehen konnte, verdankte der Conquistador einer sprachbegabten Sklavin, die ihm von den Mayas zum Geschenk gemacht wurde. Malinche, mit christlichem Taufnamen Marina, beherrschte das Náhuatl der Azteken. Cortés nahm sie zur Geliebten, und schnell lernte sie Spanisch. Sitten und Gebräuche der Einheimischen erschlossen sich ihm durch ihren Mund. Von ihr erfuhren auch die von den Azteken geknechteten Indianer, dass sie von der Tributpflicht befreit würden, wenn sie sich den Spaniern anschlössen.
Cortés gelang es tatsächlich, ein Heer von Verbündeten um sich zu scharen. Nicht wenige Historiker glauben, dass die Eroberung Mexikos größtenteils ein Krieg zwischen Indianern war, den die Spanier mit Glück und Geschick dirigierten. Hinzu kam ein aztekischer Götterzwist. Einst, so geht die Sage, sei Quetzalcoatl, der Gott des Handwerks, im Streit mit dem Sonnengott Huitzilopochtli fortgegangen, aber seine Wiederkehr war verheißen. Im Jahr des Schilfes werde der Gott heimkehren – und 1519 war ein Schilfjahr. Als Cortés mit seiner Flotte an der Ostküste Mexikos landete und von den Abgesandten des Montezumas begrüßt wurde, hielt man ihn für den wiedergekehrten Quetzalcoatl. Und der weiße Ankömmling ergriff die Chance und spielte Gott.
Montezuma, der Aztekenherrscher auf dem Jaguar-Thron, Gebieter über drei Millionen Untertanen, beschloss, Quetzalcoatl mit aufwendigen Geschenken zu überhäufen – in der Hoffnung, er könnte ihn dadurch zur Abreise bewegen. Doch was der König als Opfergabe bringen ließ, hielten die Spanier für Großzügigkeit, und sie verlangten nach mehr. Vor allem nach Gold, „nach dem sie gierten wie hungrige Schweine“, wie es in einer aztekischen Quelle heißt.
Für die Azteken war das völlig unverständlich. Sie nannten das Gold „Exkremente der Götter“ und davon gab es mehr als genug. Dass Quetzalcoatl so begierig war auf seine eigenen Exkremente, das machte die Eingeborenen, die mit den Fremden in Kontakt standen, misstrauisch. Denn die benahmen sich sehr sterblich.
Die psychologische Wirkung von Geschützdonner
Mit Diplomatie, List und brachialer Gewalt bahnte Hernán Cortés sich seinen Weg durch Mittelamerika und setzte des Öfteren auch auf die psychologische Wirkung von Geschützdonner und Pferdeparaden. Pferd und Reiter, solche Wesen, die miteinander verwachsen waren, hatten die Eingeborenen noch nie gesehen.
Hinzu kamen unsichtbare Verbündete, die die Eindringlinge in die Neue Welt einschleusten: Pocken, Masern, Typhus und Grippe grassierten unter der einheimischen Bevölkerung und rafften sie millionenfach dahin. Nicht durch das Schwert der Spanier ging das Aztekenreich unter, sondern durch Seuchen, gegen die die Menschen der Neuen Welt nicht immun waren. „Beim Zusammenprall von Alter und Neuer Welt zahlte die indigene Bevölkerung einen hohen Preis“, so der amerikanische Ethnohistoriker Alfred Crosby. Bis zum Vordringen der Spanier zählte Mexiko 25 Millionen Einwohner, um 1568 waren es nur noch drei Millionen.
Und Cortés? Sein Ruhm war nur von kurzer Dauer. Er fiel bei Kaiser Karl V. in Ungnade und starb am 2. Dezember 1547 in der Nähe von Sevilla, ohne dass die Welt Notiz davon nahm.