Eroberung Mittelamerikas Der Dirigent der Vernichtung

Theodor Kissel
Die Begegnung von Azteken­könig Moctezuma II. und Hernán Cortés am 8. November 1519 in Tenochtitlán. Der Künstler ist unbekannt Foto: IMAGO/UIG/_

Im November 1519 begann der Untergang der Azteken. Bis heute versteht niemand, weshalb die Hochkultur vor einer Handvoll Spanier in die Knie gehen konnte. Schwerter allein können es nicht gewesen sein.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

„Wir beginnen einen gerechten, guten Krieg, der uns Ruhm bescheren wird. Gott, der Allmächtige, in dessen Namen und Glauben wir kämpfen, wird uns den Sieg schenken. Ich werde Euch in kürzester Zeit zu den reichsten Männern machen, die je die Meere befuhren.“ Mit diesen Worten, so der spanische Chronist López de Gómara, stimmte Hernán Cortés 1519 eine kleine Schar verwegener Abenteurer auf das ein, was folgte – die Eroberung des Aztekenreichs.

Seitdem Christoph Kolumbus 1492 das Tor zu einem unbekannten Kontinent aufgestoßen hatte, war Europa wie elektrisiert. Man erzählte sich von Goldfunden und unermesslichem Reichtum. Abenteuerlust, aber auch die Perspektivlosigkeit in der engen Heimat spülte viel menschliches Treibgut an die Gestade der Neuen Welt. Entdeckung, das hieß Eroberung, und wo erobert wurde, da meldete die Kirche ihre Ansprüche an. Unzählige Missionare suchten bis zum Ende des 16. Jahrhunderts den wahren Glauben in Übersee zu verbreiten.

Der Eroberer als Werkzeug Gottes

Auch der junge Mann aus der spanischen Provinz Extremadura wuchs in dem Bewusstsein heran, als Werkzeug Gottes zu dienen. Das legitimierte den Einsatz aller Mittel. Hernán Cortés, 1485 in Medellín geboren, war der Spross einer verarmten Familie aus dem niederen Landadel. Wer in dieser kargen Landschaft aufwuchs, der musste frühzeitig kämpfen lernen, um zu überleben.

Mit 14 verließ er das Elternhaus, um in Salamanca Latein und Jurisprudenz zu studieren. Mit wenig Erfolg. Bereits zwei Jahre später kehrte er, ohne Abschluss, in die Heimat zurück. Da ihm das Hemd in der Extremadura zu eng wurde, versuchte er sein Glück in der Fremde und heuerte für eine Reise zum spanischen Außenposten Hispaniola an. Hier erwarteten ihn ein Stück Land und Indianer als Arbeitskräfte. Hielt er fünf Jahre durch, ging dies in sein Eigentum über. Hier nahm das so folgenreiche Herrenrecht seinen Anfang, das den Spaniern ihre Vorrangstellung in Amerika sicherte und die Eingeborenen zu Sklaven machte.

Cortés schaffte es sieben Jahre, bevor er zum Leiter einer Expedition zur Ostküste Mexikos ernannt wurde. Dort, auf der Halbinsel Yucatán, war man 1518 auf ein sagenumwobenes Königreich mit angeblich unermesslichen Schätzen gestoßen. Cortés rüstete auf eigene Faust einen Trupp von knapp mehr als 500 Soldaten und 200 indianischen Trägern aus und landete am 21. April 1519 an der Ostküste Mexikos.

Immer wieder hat man sich die Frage gestellt, wie es einer so kleinen Schar von Abenteurern gelang, das Aztekenreich zu erobern, ein Imperium in Zentral- und Südamerika, das sich 1519 über knapp 130 000 Quadratkilometer vom Pazifik bis zum Golf von Mexiko erstreckte. „Eine der hervorragendsten Eigenschaften von Cortés war es, durch scharfe Beobachtung die Schwächen seiner Gegner auszumachen und Rivalitäten in eigenen Vorteil umzumünzen“, glaubt der britische Historiker Hugh S. Thomas. Und einer dieser Schwachpunkte waren die Völker, die von den Azteken unterjocht wurden. Cortés wusste: Um zu siegen, musste er die indigene Bevölkerung gegeneinander ausspielen.

Lernen von der sprachbegabten Sklavin

Dass er diese überhaupt auf seine Seite ziehen konnte, verdankte der Conquistador einer sprachbegabten Sklavin, die ihm von den Mayas zum Geschenk gemacht wurde. Malinche, mit christlichem Taufnamen Marina, beherrschte das Náhuatl der Azteken. Cortés nahm sie zur Geliebten, und schnell lernte sie Spanisch. Sitten und Gebräuche der Einheimischen erschlossen sich ihm durch ihren Mund. Von ihr erfuhren auch die von den Azteken geknechteten Indianer, dass sie von der Tributpflicht befreit würden, wenn sie sich den Spaniern anschlössen.

Cortés gelang es tatsächlich, ein Heer von Verbündeten um sich zu scharen. Nicht wenige Historiker glauben, dass die Eroberung Mexikos größtenteils ein Krieg zwischen Indianern war, den die Spanier mit Glück und Geschick dirigierten. Hinzu kam ein aztekischer Götterzwist. Einst, so geht die Sage, sei Quetzalcoatl, der Gott des Handwerks, im Streit mit dem Sonnengott Huitzilopochtli fortgegangen, aber seine Wiederkehr war verheißen. Im Jahr des Schilfes werde der Gott heimkehren – und 1519 war ein Schilfjahr. Als Cortés mit seiner Flotte an der Ostküste Mexikos landete und von den Abgesandten des Montezumas begrüßt wurde, hielt man ihn für den wiedergekehrten Quetzalcoatl. Und der weiße Ankömmling ergriff die Chance und spielte Gott.

Montezuma, der Aztekenherrscher auf dem Jaguar-Thron, Gebieter über drei Millionen Untertanen, beschloss, Quetzalcoatl mit aufwendigen Geschenken zu überhäufen – in der Hoffnung, er könnte ihn dadurch zur Abreise bewegen. Doch was der König als Opfergabe bringen ließ, hielten die Spanier für Großzügigkeit, und sie verlangten nach mehr. Vor allem nach Gold, „nach dem sie gierten wie hungrige Schweine“, wie es in einer aztekischen Quelle heißt.

Für die Azteken war das völlig unverständlich. Sie nannten das Gold „Exkremente der Götter“ und davon gab es mehr als genug. Dass Quetzalcoatl so begierig war auf seine eigenen Exkremente, das machte die Eingeborenen, die mit den Fremden in Kontakt standen, misstrauisch. Denn die benahmen sich sehr sterblich.

Die psychologische Wirkung von Geschützdonner

Mit Diplomatie, List und brachialer Gewalt bahnte Hernán Cortés sich seinen Weg durch Mittelamerika und setzte des Öfteren auch auf die psychologische Wirkung von Geschützdonner und Pferdeparaden. Pferd und Reiter, solche Wesen, die miteinander verwachsen waren, hatten die Eingeborenen noch nie gesehen.

Hinzu kamen unsichtbare Verbündete, die die Eindringlinge in die Neue Welt einschleusten: Pocken, Masern, Typhus und Grippe grassierten unter der einheimischen Bevölkerung und rafften sie millionenfach dahin. Nicht durch das Schwert der Spanier ging das Aztekenreich unter, sondern durch Seuchen, gegen die die Menschen der Neuen Welt nicht immun waren. „Beim Zusammenprall von Alter und Neuer Welt zahlte die indigene Bevölkerung einen hohen Preis“, so der amerikanische Ethnohistoriker Alfred Crosby. Bis zum Vordringen der Spanier zählte Mexiko 25 Millionen Einwohner, um 1568 waren es nur noch drei Millionen.

Und Cortés? Sein Ruhm war nur von kurzer Dauer. Er fiel bei Kaiser Karl V. in Ungnade und starb am 2. Dezember 1547 in der Nähe von Sevilla, ohne dass die Welt Notiz davon nahm.

Bilder