Evangelisches Bildungs-und Tagungszentrum Was das Virus die Kirchen lehrt

Raimund Kirch
Sieht einen fortschreitenden Bedeutungsverlust der Kirchen: der Leipziger Theologe und Pfarrer Christian Wolff. Foto: Raimund Kirch

Der Leipziger Pfarrer Christian Wolff ist zu Gast bei einem spannenden „Alexandersbader Gespräch“. Von Landrat Peter Berek kommt ein beeindruckendes Bekenntnis.

 
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Bad Alexandersbad - Am Beginn stand ein beeindruckendes Bekenntnis: Es kam vom Landrat des Kreises Wunsiedel, wo die Inzidenzwerte zeitweise beängstigend hoch gelegen hatten. Wer jeden Abend die Toten zähle, lerne wieder das Beten, sagte Peter Berek in seinem Grußwort zum ersten „Alexandersbader Gespräch“ nach Lockerung der Vorschriften im Evangelischen Bildungs-und Tagungszentrum.

„Nach Corona – Welchen Beitrag können die christlichen Kirchen zu einer neuen ethischen Grundorientierung leisten?“ lautete die Frage an den Leipziger Theologen und früheren Pfarrer an der dortigen Thomaskirche, Christian Wolff. Der sprach zwar von einem Aufatmen nach dem Rückgang der Fallzahlen und den Impffortschritten, warnte aber gleichzeitig vor einer Atemlosigkeit, die durch den Wunsch, Verpasstes nachzuholen, allerorten festzustellen sei. Wolff machte deutlich, dass ohne eine ethische Grundorientierung keine Gesellschaft auskommen kann – vor allem in Krisenzeiten nicht.

Neu über Grundwerte verständigen

Wenn man nicht wolle, dass in gesellschaftlichen Krisen allein die Angst das Handeln bestimmt und damit die ideologischen Angstmacher das Sagen bekommen, sei es notwendig, sich immer wieder neu über Grundwerte zu verständigen. Kirchen, Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften und alle Bildungseinrichtungen seien gefordert, sich im öffentlichen Diskurs an dieser Aufgabe zu beteiligen.

Wolff bezog sich auf eine entsprechende Aussage von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der zum Wohl der Gesundheit rechtspolitische Ausnahmen verteidigte, die Menschenwürde als unantastbar bezeichnete, aber gleichzeitig auch relativierend deutlich machte, dass der Mensch eben sterblich sei. Solche Worte, so Wolff, habe er auch von den Kirchen erwartet, denen er zu ängstliches Reagieren, Zögerlichkeit und mangelnde Kreativität in den Lockdown-Phasen bescheinigte. Vor allem auf die ernsthafte Frage, welche Botschaft Gottes wir aus der Pandemie heraushören sollten, sei zu wenig eingegangen worden.

Wolff sieht in diesem Zusammenhang einen fortschreitenden Bedeutungsverlust der Kirchen. Die Säkularisierung gehe soweit, dass das Grundgesetz die Rolle der heiligen Schriften eingenommen habe.

Kein Rechtsanspruch auf Gesundheit

Die Coronakrise habe die Grundbedingungen des biblischen Menschenbildes neu hinterfragt: Alles Leben ist endlich, begrenzt, fehlbar, vergänglich. Gesundheitsschutz ist nicht alles. Die Übernahme von Verantwortung sei eine Grundanforderung Gottes an die Menschen. Es gebe keinen Rechtsanspruch auf Gesundheit, wohl aber den Anspruch, ja die Pflicht, dass in jeder Lebenslage, auch im Sterben, die Würde eines jeden Menschen gewahrt wird. Vor diesem Hintergrund müsse den Menschen ihre Endlichkeit immer neu bewusst gemacht werden.

Als großen Fehler bezeichnete Wolff die Rolle der kirchlichen Sozialverbände (Caritas und Diakonie) bei der Frage des Mindestlohns für Pflegekräfte. In dieser Frage hätte die Kirche an der Seite der Gewerkschaften streiten müssen.

Drei Grundvoraussetzungen schreibt Wolff den Kirchen ins Stammbuch: zur Demokratie stehen; dem Kapitalismus widerstehen und nicht den Versuchungen des Rechtsnationalismus erliegen.

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