Mehrheitsfindung weiterhin schwierig
Ob der gebürtige Ostfranzose und Vater dreier Kinder aber tatsächlich eine mehrheitsfähige Regierung aufstellen kann, bleibt abzuwarten. Seine Konservativen hatten zwar noch vor wenigen Tagen betont, nicht Teil einer Regierung sein zu wollen, Barnier dürften sie aber zumindest dulden. Auch Macrons Mitte-Lager wird dem neuen Regierungschef wohl folgen.
Für eine Mehrheit bräuchte Barnier aber auch Stimmen aus dem linken Lager oder vom rechten Rand. Die Rechtsnationalen um Marine Le Pen, die zuvor bei etlichen möglichen Premiers die Keule des Misstrauensvotums schwangen, möchten erst einmal die Regierungserklärung des Neuen abwarten. Möglich, dass auch sie Barnier am Ende stützen. Zumindest seine restriktiven Positionen im Bereich Migrationspolitik und seine durchaus kritische Haltung zu EU-Vorschriften verfingen bei ihnen.
Das linke Lager aber, das bei der Wahl vorn landete und deren Wunschkandidatin für den Premier-Posten Macron wegen der fehlenden Mehrheit eine Absage erteilt hatte, reagierte erbost auf die Ernennung. Die Sozialisten sprachen von einer "Verweigerung der Demokratie", Grünen-Vorsitzende Marine Tondelier fühlte sich veräppelt und Kommunisten-Chef Fabien Roussel verglich die Personalie mit der beleidigenden Geste des erhobenen Unterarms - vergleichbar mit dem gestreckten Mittelfinger in Deutschland. Unterstützung von links wird es für den Unternehmersohn Barnier wohl kaum geben.
Politisches Kräftemessen im Parlament steht bevor
Den neuen französischen Premier erwarten nicht nur wegen der Lagerkämpfe im Parlament große Herausforderungen. Zu einem ersten Kraftakt dürfte die Verabschiedung des nächsten Haushalts werden, denn Frankreich steht wegen einer zu hohen Neuverschuldung ein EU-Defizitverfahren ins Haus. Um einen strikten und unpopulären Sparkurs dürfte die künftige Regierung unter Barnier kaum herumkommen.
Die linken Wahlgewinner könnten dennoch auf die im Wahlkampf versprochene Anhebung des Mindestlohns pochen sowie einer Aufweichung der von Macron durchgepeitschten Rentenreform. All dies verspricht ein politisches Kräftemessen und Proteste auf der Straße, die noch nicht absehen lassen, wie lange eine Regierung Barnier durchhält.
Spannend wird auch, wie sich das Verhältnis zwischen Staatschef Macron und Premier Barnier gestaltet. Macron dürfte seine Linie zwar nicht einfach fortführen können, doch weil seine Liberalen wohl Teil der Regierung sein werden, muss sich zeigen, wie viel Spielraum Barnier ihm zugesteht. Zumindest in der Außenpolitik behält Macron die Oberhand. Für Brüssel und Berlin verspricht das einen recht verlässlichen französischen Kurs.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gratulierte Barnier zu seiner Ernennung. "Ich freue mich darauf, dass unsere Regierungen weiter gemeinsam die deutsch-französische Freundschaft zum Wohle unserer Länder und Europas gestalten." Der britische Regierungssitz Downing Street teilte mit, man wünsche Barnier alles Gute für die neue Rolle. "Wir wollen unsere Beziehungen zur EU neu ausrichten und den Brexit für die britische Bevölkerung besser gestalten", sagte eine Sprecherin.