Friedrich Merz in Hof „Wir sind denkfaul geworden“

Friedrich Merz (CDU) versteht es, Wahlkampf fast ohne Polemik zu machen. Am Hofer Theresienstein nennt er die politischen Gegner kaum und bittet die Deutschen, aus ihrer Komfortzone zu kommen.

 
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Hof - 44 Minuten und 24 Sekunden dauert es, bis Friedrich Merz (CDU) es endlich schafft, einen langen Zug aus seinem Wasserglas zu nehmen. Es ist das Ende seiner freien Rede vor 300 Gästen, die am Dienstagabend in den Biergarten des Hofer Theresiensteins gekommen sind, um den vielleicht kommenden deutschen Wirtschaftsminister zu hören, der „extra für diesen einen Termin“ nach Bayern gekommen sei, verkündet Hans-Peter Friedrich, CSU-Bundestagskandidat für den Wahlkreis Hof-Wunsiedel. Gefühlt sei Merz immer noch „mein Fraktionsvorsitzender“. 2000 bis 2002 war er das.

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Harald Fichtner, früherer Hofer Oberbürgermeister und nur noch wenige Wochen Kreisvorsitzender der Hofer CSU, sieht im Merz-Besuch „die größte politische Veranstaltung seit 18 Monaten“. Ein Gruß ins Publikum zur Eröffnung des Abends und ins neu besetzte rote Rathaus.

Mitten hinein in den Glockenschlag um 20 Uhr drängt sich der Applaus für Friedrich Merz. Er dauert lang, obwohl der Jurist in den Minuten zuvor nicht mit Kritik an den eigenen Leuten gespart hat („Die CDU/CSU muss geschlossen auftreten. Wahlen werden von der Opposition nicht gewonnen, sondern von der Regierungspartei verloren.“). Drei Wochen vor der Bundestagswahl sei es „wurscht, ob jemand mal falsch gelacht oder Fehler beim Verfassen eines Buches gemacht hat.“ Friedrich, der Große, verliert sich nicht im Kleinklein. Sein Blick ist geweitet. Für ihn geht darum „wie wir im nächsten Jahrzehnt leben werden“. Diese Wahl, ist Merz überzeugt, ist die wichtigste nach der US-Wahl. „Die Welt will wissen, wer da jetzt auf Merkel folgt. Unser Beitrag in der Welt muss überdurchschnittlich gut sein.“

Hier hätte sich nun angeboten, einzudreschen auf alles, was links der CDU/CSU steht, was aus Sicht der Schwarzen die alte Reihung gefährdet. Stattdessen: „Bestreite bitte niemand den Klimawandel.“ Ausrufezeichen. Mancher Zuschauer sinkt bei diesem Satz tiefer in den Stuhl. Merz, erzählt er, blickt von seinem Büro aus „auf sterbenden Wald“. Er streite nicht warum, dass es ein Problem gibt, „sondern wie wir es lösen“. Die Menschen hätten sich zuletzt genug vorschreiben lassen müssen vom Staat.

Er selbst fahre unheimlich gerne Auto, „aber in Zukunft eben andere“. Gemeinsam müssten Politik, Industrie und Bevölkerung ausloten, was möglich sei. Wer das Auto bekämpft verstehe nicht, welche Bedeutung es für viele Menschen auf dem Land habe.

Deutschland sei in den vergangenen Jahren, und nun wird Merz vehement, „nur ausgestiegen“. Kohle. Atomkraft. „Wann steigen wir eigentlich mal wieder ein?“ Diese Zeit sei „unsere“. Deutschland, das Land der Ingenieure. „Wir reden nur darüber, was wir nicht wollen.“ Alles müsse betrachtet werden. Der Operateur stellt fest: „Wir sind denkfaul geworden.“ Auch deshalb, weil der Staat vieles abnehme, vielleicht zu viel. Innovationen aber kämen nicht aus Amtsstuben, das habe die Geschichte gezeigt. „Was praktikabel ist, kommt aus den Unternehmen.“ Diese gelte es zu stärken, Bürokratie abzubauen, um die Kreativität zu erhalten und zu fördern. Was er auf den Gebieten Fotovoltaik, Windkraft und CO2-Recycling in Deutschland sehe, stimme ihn froh. Dies gelte es zu fördern. Wer Steuererhöhungen „in dieser epochalen Umbruchzeit“ in sein Wahlprogramm schreibt, verstehe nichts von Wirtschaft und sei ganz weit weg.

Es gelte, Deutschland fit zu machen, auch mit Blick auf die Renten, die Arbeitnehmer endlich zu beteiligen am Erfolg ihrer Unternehmen (‚Kapitalgedeckte Altersvorsorge“) und den Markt nicht den ausländischen Investoren zu überlassen. Ansonsten, prophezeit Merz, würden die geburtenschwachen Jahrgänge, die nun das Rückgrat des Landes seien, nicht mehr viel Rente erwarten können. Dass Biontech lieber an die US-Börse geht, beschäftigt Merz. „Was ist hier los?“, fragt er in die Runde und erntet Schweigen. Der Deutsche arbeite fleißig, werde auch meistens ganz gut entlohnt, spüre aber vom wirklichen Aufschwung kaum etwas. Die Niederlande, Dänemark und Schweden seien hier viel weiter. Genauso wie in der Einwanderungspolitik: „Wir brauchen 150 000 bis 200 000 Zuwanderer, um unsere Stellen zu besetzen. Wir sind längst ein Einwanderungsland – aber eines der ungeordneten Einwanderung.“ Die falsch verstandene Toleranz führe zur Radikalisierung in der Gesellschaft. Die ständige Eurorettung verschärfe solches Denken. „Der Deutsche versteht nicht, warum er die Vier-Tage-Woche der Spanier und die Rente des Italieners ab 58 finanzieren soll.“