Die Gehörlosen-Jugend macht mit einem Video in sozialen Medien auf mögliche schwerwiegende Folgen aufmerksam, die eine unzureichende Kommunikation haben kann: Identitätskrisen, starke Unsicherheitsgefühle, Depressionen oder auch Angstzustände. Auch die Beziehung zu den Eltern könne sehr problematisch sein. Jasko spricht von einem "unsichtbaren Riss" zwischen Eltern und Kindern, der sich im Laufe des Lebens noch vertiefen könne.
"Kinder lernen auch schwerer, sich in andere Menschen hineinzuversetzen oder Konflikte zu lösen. Sie können aggressiv werden oder sich zurückziehen", erklärt die Wissenschaftlerin Claudia Becker.
Thekla Werk, Präsidentin des Bundeselternverbands gehörloser Kinder und Gebärdensprach-Dozentin sagt, dass taube Kinder oft die Diagnose ADHS erhielten. Doch die Kinder seien oft nur vermeintlich wild oder aggressiv, weil sie sich nicht ausdrücken könnten. "Wenn ich in den Familien bin und dort die Gebärdensprache unterrichte, erlebe ich, dass die Kinder und die Familien insgesamt viel entspannter werden, wenn sie eine gemeinsame Sprache finden."
Kurse sind teuer und schwer zu bekommen
Gebärdensprachkurse für Familien finden meist zu Hause statt, damit die Familien lernen, im Alltag zu kommunizieren. Anfangs seien es etwa vier bis sechs Stunden pro Woche, später weniger, erklärt Werk. Der Unterricht sei oft über Jahre nötig. Mit etwa 75 Euro pro 45 Minuten seien die Kurse relativ teuer und viele Familien deshalb auf Unterstützung angewiesen.
Wenn sich Eltern für das Erlernen der Gebärdensprache entscheiden, würden ihnen mitunter viele Steine in den Weg gelegt, berichten Betroffene. "Mein Antrag auf einen Haus-Gebärdensprachkurs lag zwei Jahre auf dem Tisch eines Sachbearbeiters, dann zog sich die Gerichtsverhandlung über vier Jahre, bis meine Tochter überhaupt zweieinhalb Stunden pro Woche einen Kurs bekommen hat", sagt Ann-Cathrin Wehmeier, Leiterin der Geschäftsstelle des Bundeselternverbands gehörloser Kinder.
Kleine Gebärden - etwa für Hunger, Durst, Schlafen, Mama, Papa - könne man sich am Anfang selbst "zusammenpuzzeln", darüber hinaus sei es ohne Unterricht schwierig, erklärt Wehmeier. Gebärdensprachen sind ebenso komplex wie gesprochene Sprachen. Sie verfügen über ein umfassendes Vokabular und eine eigenständige Grammatik.
"Es ist oft auch ein Problem der Fläche. Manchmal ist auch Geld da ist, aber dann wohnt jemand in einer sehr ländlichen Gegend, in der es keine taube Lehrkraft gibt, die die Familie unterrichten kann", sagt Claudia Becker. Verlässliche Daten darüber, wie viele Eltern gehörloser Kinder die Gebärdensprache lernen, gibt es der Wissenschaftlerin zufolge nicht. Der Elternverband schätzt, dass nur in einer von zehn betroffenen Familien die Gebärdensprache erlernt wird.
Eltern und Kinder haben plötzlich eine gemeinsame Sprache
"Die Grundbedürfnisse können auf einmal geäußert werden, man hat auf einmal eine gemeinsame Sprache", berichtet Romy Ballhausen aus der Erfahrung mit ihrem Kind. "Es gab plötzlich einen Entwicklungsschub, mein Sohn konnte Fragen stellen, vorher war er dazu gar nicht in der Lage."
Dass ihr Kind nun eine andere Erstsprache habe als sie selbst, sei durchaus eine Herausforderung im Familienalltag, sagt Ballhausen. "Aber wenn eine Vokabel fehlt, beschreibt man das eben etwas noch einmal mit anderen Worten." Aus ihrer Sicht war das Erlernen der Gebärdensprache ein großer Schritt, der das Frustrationspotenzial deutlich gesenkt und dem Kind den Zugang zum Weltwissen ermöglicht habe. Das Erlernen sei eine herausfordernde, aber auch erfüllende Reise: "Mit jeder Gebärde, die die Eltern lernen, öffnet sich ein weiteres Fenster in die Welt ihres Kindes", sagt Robert Jasko.
Verband fordert unabhängige Beratung
Ballhausen betont, dass der Elternverband nicht gegen Technik wie CIs sei: "Jede Familie muss ihren Weg finden, mit oder ohne technische Unterstützung, aber Gebärdensprache muss auf jeden Fall angeboten werden", sagt sie. Der Verband fordert eine unabhängige Beratungsstelle, die alle Optionen aufzeigt. "Eltern sollen sehen, dass ein erfülltes Leben ohne CI eine dieser Optionen ist, die sie ebenso frei für ihre Kinder wählen können. Sie sollen eine informierte Entscheidung treffen", so Ballhausen.