Gewalt im Verborgenen Ehemann schlägt seine Frau über Jahre

Christl Schemm

Der Mann einer jungen Frau aus dem Landkreis Wunsiedel schlägt und würgt sie und wirft mit einem Messer nach ihr. Das besonders Perfide: Durch betrügerische Machenschaften hat er zudem einen Berg von Schulden auf den Namen seiner Frau angehäuft.

 
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Über Jahre hinweg war eine Frau aus dem Landkreis Wunsiedel täglich Gewalt durch ihren Ehemann ausgesetzt. Jetzt hat sie endlich den Absprung geschafft und ist froh, sich getrennt zu haben. Foto: Rawf8 - stock.adobe.com

Der Mann von Anita S. hat Geburtstag. Er wünscht sich ein großes Essen mit der Familie. Seine Frau soll kochen. Detailliert schreibt er ihr vor, was am Abend alles auf dem Tisch zu stehen hat. Das ist für Anita S., die in Wirklichkeit anders heißt, nicht zu schaffen. Sie muss zur Arbeit gehen und sich um ihr Kind kümmern. Die Zeit für die Zubereitung eines aufwendigen Geburtstagsmenüs reicht nicht aus. Als sie dies ihrem Mann sagt, reagiert er wie immer, wenn ihm etwas nicht passt: Er schlägt seine Frau ins Gesicht, schreit sie an, ist aggressiv, beleidigt sie, wirft mit Geschirr.

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Szenen wie diese gehören zum Alltag von Anita S. Seit sieben Jahren ist sie täglich der Gewalt durch ihren Mann ausgesetzt. Sieben Jahre, in denen der Mann sie schlägt, ihr mit einem zerbrochenen Glas ins Gesicht schneidet, so stark ihre Kehle zudrückt, dass deutliche Würgemale am Hals zu sehen sind. Einmal wirft er sogar ein Messer auf sie, das dann im Kühlschrank stecken bleibt. Dabei ist dem Gewalttäter offensichtlich vollkommen egal, dass die Spuren seiner Angriffe für andere sichtbar sind. Die inzwischen 29-Jährige muss mehrfach ins Krankenhaus. Dort nähen Ärzte ihre Platz- und Schnittwunden, versorgen die großen Hämatome, die sie immer wieder davonträgt, behandeln ihre blutunterlaufenen Augen, kümmern sich um ihre Probleme mit dem Kreislauf.

Sichtbare Spuren der Gewaltexzesse

Tagelang verbirgt Anita S. ihre Wunden und Hämatome hinter Sonnenbrillen. Sie trägt Make-up auf, versucht so, ihre Verletzungen zu kaschieren. Der Ehemann fühlt sich sicher, dass ihm keiner was kann. Dass Bekannte oder Kollegen Fragen stellen, macht ihm nichts aus. Schließlich sieht er sich als großen Zampano. Schließlich sind er und seine Familie hoch angesehen im Ort. Schließlich sind sie sehr bekannt und genießen ein hohes Image. Eine gutbürgerliche Familie, bei der niemand vermuten würde, dass sich hinter verschlossenen Türen derartige Gewaltexzesse abspielen.

Seit elf Jahren ist Anita S. mit ihrem Mann zusammen. Auch ein Kind, mittlerweile im Grundschulalter, gehört zur Familie. „Mit der Zeit haben sich seine Aggressionen aufgebaut, es wurde immer schlimmer“, schildert sie im Gespräch mit unserer Redaktion ihr Martyrium. Dabei ist es nicht nur die körperliche Gewalt, die ihr zusetzt. Ihr Mann perfektioniert zusehends seine Respektlosigkeit ihr gegenüber, setzt sie herab, befiehlt, ordnet an, verlangt Gehorsam, kontrolliert sie, überwacht jeden Schritt, nimmt ihr jegliches Selbstwertgefühl. Anita S. fühlt sich minderwertig, muss funktionieren wie eine Maschine. Jedes vermeintliche Fehlverhalten führt zum Exzess, bei dem ihr Mann sie grün und blau prügelt, hauptsächlich im Gesicht. „Manchmal hat er hinterher gesagt, dass es ihm leid tut, aber im gleichen Atemzug betont, dass es sein gutes Recht sei, mich zu schlagen“, sagt die Betroffene.

Schwiegereltern halten zum Sohn

Mit der Zeit geht Anita S. an der aussichtslosen Lage kaputt. Sie widerspricht nicht, nimmt alles hin, gibt sich selbst die Schuld, überlegt sich ständig, was richtig ist und was falsch. „Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Schon morgens beim Aufstehen habe ich mir überlegt, was ich alles falsch mache, ob ich mit dem rechten oder dem linken Fuß aufstehen soll, ob ich lächeln soll oder nicht“, erinnert sich die junge Frau unter Tränen. „Ich stand ständig unter Beobachtung, konnte mich nicht frei bewegen, mit niemandem sprechen.“ Erschwert wird die Situation durch die Haltung der Schwiegereltern, die voll hinter ihrem Sohn stehen und Anita S. die alleinige Schuld dafür geben, dass dieser sich so gewalttätig danebenbenimmt.

Mann verstrickt Ehefrau in betrügerische Machenschaften

Neben der Brutalität und den immerwährenden Herabsetzungen hat sich der Ehemann eine besonders perfide Hinterhältigkeit einfallen lassen: Er hat seine Frau in betrügerische Machenschaften verwickelt und ihr vorgegaukelt, dass sie krankenversichert ist. Da dies in Wirklichkeit nicht so war und Anita S. zudem Papiere unterzeichnet hat, mit denen sie zur Verantwortlichen für finanzielle Angelegenheiten wurde, hat sich im Laufe der Jahre auf ihren Namen ein Berg von Schulden aufgehäuft, etwa für das Begleichen der Krankenhausrechnungen.

Mit der Hilfe einer Nachbarin und des Jugendamts, bei dem der Ehemann unter anderem wegen einer Morddrohung gegen seine Frau bekannt ist, hat es Anita S. inzwischen geschafft, sich zu trennen und samt ihrem Kind in einer Schutzeinrichtung Unterschlupf und Betreuung gefunden. „Ich war jung, dumm und naiv. Aber jetzt bin ich froh, dass ich hier komplett abgeschottet und nicht in seiner Nähe bin“, sagt sie. „Meinem Kind geht es übrigens genauso.“ Hilfe bekommt die junge Frau von einer Sozialpädagogin. Sie begleitet Anita S. dabei, Schritt für Schritt psychisch stabil zu werden, wieder ein Stück Normalität zu leben, die Frage des Sorgerechts zu regeln und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Schulden im fünfstelligen Euro-Bereich abzubauen, sowie dem Mann die betrügerischen Machenschaften nachzuweisen.

Unverschuldet in finanzieller Zwangslage

Gewalt gegen Frauen kommt laut der Expertin in allen gesellschaftlichen Schichten vor. In 50 Prozent der Fälle, die sie betreue, seien die Ehemänner Deutsche. Das Besondere im Fall von Anita S. sei, dass sich der Mann für unantastbar halte, denn „normalerweise“ fügten die prügelnden Männer ihren Frauen dort Verletzungen zu, wo diese unter der Kleidung verborgen sind. Die Sozialpädagogin sagt, dass der Ehemann offensichtlich in einem völlig antiquierten Rollenbild der Frau verhaftet ist. „Er betreibt eine bewusste Täter-Opfer-Umkehr: Die Frau ist an allem schuld, er hat eine weiße Weste. Wir brauchen Zeit. Es wird sich zeigen, ob Anita S. aus der finanziellen Zwangslage befreit werden kann und sie und ihr Kind irgendwann in Ruhe leben können.“

Spenden

Hilfe für Nachbarn
Der Verein „Hilfe für Nachbarn“ unterstützt Menschen aus der Region, die unverschuldet in Not geraten sind. Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, insbesondere Anita S. helfen wollen, überweisen Sie Ihre Spende auf das Konto von „Hilfe für Nachbarn“ bei der Sparkasse mit dem Verwendungszweck „Anita S.“. Die Spenden sind steuerlich absetzbar. Für Beträge von mehr als 300 Euro gibt es eine Quittung (Adresse vermerken). Für kleinere Beträge reicht der Kontoauszug zu Vorlage beim Finanzamt.

IBAN: DE 29 7805 0000 0220 0204 16BIC: BYLADEM1 HOF